Milliardengarantie des Bundes Muss der Staat Siemens Energy wirklich stützen?
Mehrere Wochen lang verhandelte Siemens Energy mit der Bundesregierung über staatliche Garantien, nun steht das Hilfspaket. Ökonomen sehen den Bund nicht in der Verantwortung.
Wochenlang haben Siemens Energy und der Bund über staatliche Garantien für künftige Großprojekte verhandelt. Seit gestern ist klar: Die Bundesregierung gewährt dem kriselnden Energietechnikkonzern eine Bürgschaft von 7,5 Milliarden Euro. Damit sichert der Bund die Hälfte des Hilfspakets ab, das insgesamt 15 Milliarden Euro umfassen soll. Der Rest soll von Banken und dem ehemaligen Mutterkonzern und Großaktionär Siemens kommen, der 25 Prozent der Anteile an Siemens Energy hält.
Neben Deutschland plant offenbar auch Spanien, sich an den Hilfen für den Energietechnikkonzern zu beteiligen: Am gestrigen Abend hatte die spanische Regierung mitgeteilt, man arbeite an Bankgarantien für neue Siemens-Gamesa-Projekte im Ausland. Damit könnte möglicherweise die aktuell noch offene Garantiesumme von drei Milliarden Euro gedeckt werden.
Marktprobleme und Managementfehler
Nötig geworden war das Hilfspaket aufgrund der massiven Probleme von Siemens Energy im Windgeschäft. Die seit Jahren krisengebeutelte spanische Windkraft-Tochter Siemens Gamesa ist hauptverantwortlich dafür, dass Siemens Energy im abgelaufenen Geschäftsjahr einen Verlust von 4,6 Milliarden Euro gemacht hat.
Dass der Konzern derzeit so unter Druck steht, liege - jedenfalls zum Teil - durchaus an Marktproblemen, so Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts, gegenüber tagesschau.de: "Die Marktprobleme resultieren daraus, dass die Rentabilität von Investitionen stark von künftigen politischen Entscheidungen abhängt, beispielsweise von der Höhe des CO2-Preises." Derzeit würden Investitionen nur zögerlich getätigt. "Wenn die Politik diese Hindernisse für den Ausbau der Windenergie überwinden will, kann man das durch staatliche Förderung auch in Form von Garantien tun", so Fuest.
Und doch hält es der ifo-Präsident für fragwürdig, ob einzelne Unternehmen durch derartige Garantien vom Staat gestützt werden sollten: "Bei Siemens Energy sind es nicht nur die beschriebenen Marktprobleme, Managementschwächen kommen hinzu. Ich würde es deshalb für sinnvoller halten, wenn die Politik sich auf Eingriffe konzentriert, die die Marktprobleme angehen, statt Siemens Energy in dieser Lage zu stützen."
"Vollkasko-Mentalität"
Ähnlich argumentieren andere Experten: Auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sieht die angekündigte Staatshilfe kritisch und bezeichnet sie als "Vollkasko-Mentalität". Nicht der deutsche Staat, sondern die Siemens AG als Haupteigentümerin solle die Garantien übernehmen.
Der Präsident des ZEW, Achim Wambach, äußert sich im Gespräch mit tagesschau.de ebenfalls skeptisch: "Staatshilfen an einzelne Unternehmen bergen immer die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung. Auch sollten die Aktionäre mit in die Pflicht genommen werden. Wenn die, die das Unternehmen besser kennen, nicht bereit sind, sich zu engagieren, dann sollte auch die öffentliche Hand Abstand davon nehmen."
Deutschland Spitzenreiter bei Staatshilfe
Siemens Energy ist durchaus kein Einzelfall. Immer wieder unterstützte der deutsche Staat in den vergangenen Jahren Unternehmen, die in finanzielle Schieflage geraten waren: Im Vergleich mit anderen EU-Ländern ist Deutschland Spitzenreiter bei der Gewährung von Staatshilfe. Laut der EU-Kommission wurden im vergangenen Jahr knapp 50 Prozent der genehmigten staatlichen Beihilfen von Deutschland angemeldet.
Das wohl bekannteste Beispiel aus dem vergangenen Jahr: Uniper. Der Konzern war nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine und der damit verbundenen Energiepreissteigerungen ins Straucheln geraten. Die Bundesregierung schnürte im September 2022 ein Rettungspaket für den Energiekonzern Uniper, das den deutschen Steuerzahler insgesamt fast 30 Milliarden Euro kostet. Der Bund hält seitdem 99 Prozent am Unternehmen.
Corona-Hilfen für TUI und Lufthansa
Auch während der Pandemie steckte der Konzern viel Geld in Unternehmen, deren Geschäft aufgrund der Einschränkungen zu Eindämmung der Pandemie plötzlich lahmgelegt war. So beteiligte sich der Staat etwa an dem Touristik-Konzern TUI. Im Januar 2021 stieg der Bund mit insgesamt bis zu 25 Prozent plus einem Anteilsschein bei dem weltgrößten Reiseanbieter ein. Im März 2022 gab der Reisekonzern einen ersten Teil der Kreditlinien aus dem staatlichen Rettungspaket zurück.
Auch für das größte deutsche Luftfahrtunternehmen schnürte der Bund im Mai 2020 ein Rettungspaket in Höhe von neun Milliarden Euro. Der Staat übernahm eine 20-prozentige Kapitalbeteiligung an Lufthansa. Im September 2022 hat der Bund seine Beteiligung mit einem Gewinn von 760 Millionen Euro beendet.
Höchste Unternehmenssteuern in Deutschland
ZEW-Präsident Wambach sieht das im Gespräch mit tagesschau.de aber nicht allzu kritisch. Die staatlichen Unterstützungen seien vielmehr darauf zurückzuführen, dass Deutschland wegen seiner vergleichsweise niedrigen Staatsverschuldung mehr Möglichkeiten habe, den Unternehmen in der Krise beizuspringen. Außerdem hätten die Unternehmen diese fiskalische Solidität mitfinanziert. "Im Vergleich zu anderen OECD-Ländern zahlen deutsche Unternehmen mittlerweile die höchsten Unternehmenssteuern", so Wambach.
Wambach hofft, dass Deutschland aus den Förderprogrammen in der Finanz- und Coronakrise gelernt hat. So sollte der Ausstieg aus der Förderung immer mitgedacht werden. "Fördermaßnahmen sind mit Auflagen zu versehen, damit die Unternehmen ein eigenes Interesse haben, anschließend wieder auszusteigen. Grundsätzlich geht die Förderung an Unternehmen, die solvent sind, und nicht an solche, die auch ohne Krise kein erfolgreiches Geschäftsmodell haben".
"Systemrelevant" für die Energiewende
Dass nun - trotz aller Kritik, die etwa von Ökonomen kommt - Siemens Energy, dessen Probleme auch hausgemachte sind, mit staatlichen Garantien gestützt wird, liegt wohl auch an der Relevanz des Unternehmens für die Energiewende. Laut dem "Handelsblatt" waren neben Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auch Finanzminister Christian Lindner und Bundeskanzler Olaf Scholz persönlich in die Verhandlungen involviert. Offenbar befürchten die Ampel-Koalitionäre, dass Konkurrenten die Aufträge etwa für Konverterstationen auf hoher See oder Übertragungsnetze aus Kapazitätsgründen nicht einfach übernehmen können.
Um zu verhindern, dass künftig weitere Unternehmen in eine ähnliche Situation wie Siemens Energy geraten, kündigte das Bundeswirtschaftsministerium gestern ein Programm zur Absicherung des Konverterplattformbaus an. Auch die Europäische Investitionsbank arbeitet derzeit an einem Garantieprogramm für die Windenergie-Branche, um europäische Hersteller zu stärken.