Ein Mann in Lyon betrachtet an Wahlkampfplakate.
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Frankreich vor der Wahl Geldgeschenke trotz Rekordverschuldung?

Stand: 27.06.2024 08:27 Uhr

In Frankreich dominiert ein Thema den äußerst kurzen Wahlkampf: die Kaufkraft. Alle Lager versprechen mehr Geld in der Tasche. Dabei steht das rekordverschuldete Land finanziell mit dem Rücken zur Wand. 

"Wir oder das Chaos", lautet die Botschaft der Regierung. Egal, ob das extrem rechte Lager gewinnt oder das - wie die Regierung es nennt - extrem linke: Es drohe der Ruin. Wirtschaftsminister Bruno le Maire warnt davor, dass Frankreich unter EU-Finanzaufsicht gestellt werden könnte wie einst Griechenland.

Premierminister Attal kritisiert, dass die Programme beider Lager schlicht zu teuer seien. 140 Milliarden Euro, rechnet er vor, würden die Vorhaben des Rassemblement National kosten, dabei biete die Partei "nicht den Schimmer einer Finanzierungsstrategie." Und er warnte, "wenn die Ausgaben explodieren, explodieren die Schulden, und die Kaufkraft geht in die Knie."

Die Regierung hat selbst schlecht gehaushaltet

Diese Aussagen klingen alarmistisch - und das sollen sie auch. Allerdings: Die Regierung selbst hat so schlecht gehaushaltet, dass die EU gerade ein Defizitverfahren gegen Frankreich eröffnet hat. Das Haushaltsdefizit liegt bei 5,5 Prozent.

Unter Macrons Präsidentschaft ist die Staatsverschuldung rasant gewachsen: von 98 auf 110 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die Energiesparbremse und die Corona-Hilfen schlagen ins Kontor; aber auch die Tatsache, dass Macron zu Beginn seiner ersten Amtszeit Steuergeschenke an Gutverdienende gemacht hat.

Seine Regierung hatte deshalb einen milliardenschweren Sparkurs vorgesehen. Doch mit der Botschaft "den Gürtel enger schnallen" kann sie diese Wahlen nicht gewinnen. Also verspricht auch Macrons Wahlbündnis neue Kaufkraft-Maßnahmen. "Unsere Devise ist: mehr verdienen, weniger ausgeben", erklärt Attal.

Man plane ein Aktionspaket für die hart arbeitende Mittelklasse: So sollen die Notarkosten beim Kauf eines ersten Eigenheims gesenkt, die Renten der Landwirte verbessert, die Schulmaterialien für alle billiger, eine Rentenversicherungen für einen Euro pro Tag eingeführt werden. Und man wolle eine "goldene Regel" per Gesetz festschreiben: "Keine Steuererhöhungen, was auch immer geschieht."

Dem gegenüber stehen die Programme des Rassemblement National und des neu geschaffenen Nouveau Front Populaire aus Sozialisten, Kommunisten, Grünen und extrem Linken. Das Linksbündnis verspricht, die Gehälter an die Inflation anzupassen, Gratis-Schulessen für alle.

Und eine krasse Kehrtwende bei der Rentenreform: Das gerade eingeführte Renteneintrittsalter von 64 Jahren werde man wieder abschaffen. Die Rente mit 60 ist das Ziel. "Und wir sind die einzigen, die das vorhaben", betont Fabien Roussel von den Kommunisten. Um das zu finanzieren, wollen die Linken die Vermögenssteuer wieder einführen und eine Übergewinnsteuer beschließen. Außerdem soll der Mindestlohn deutlich von derzeit 1.380 auf 1.600 Euro netto steigen.

Ein Alptraum für die Chefs kleiner und mittlerer Unternehmen, erklärt deren Präsident Michel Picon: "Die Auswirkung dieser Maßnahme in den Unternehmen wäre katastrophal. Das werden viele Betriebe einfach nicht stemmen können." Picon befürchtet, dass so Hunderttausende Arbeitsplätze verloren gehen könnten.

Konkurrenz von rechts

Der Rassemblement National wiederum legt gerade viele seiner Versprechen auf Eis. Erstmal brauche es einen Kassensturz, fordert deren Chef Jordan Bardella. Die Rentenreform soll nun doch nicht gekippt, sondern nur leicht angepasst werden. Alle, die vor ihrem 20. Lebensjahr begonnen haben zu arbeiten, sollen nach 40 Beitragsjahren schon im Alter von 60 in Rente gehen dürfen.

Zwei Maßnahmen allerdings sind für Parteichef Bardella nach wie vor prioritär: Erstens will er die Unternehmen anregen, höhere Gehälter zu zahlen, indem er ihnen die Sozialabgaben für diese Erhöhungen erlässt. Und zweitens will er die Mehrwertsteuer auf Strom, Gas und Treibstoff von 20 auf 5,5 Prozent senken. "Das ist wichtig für die Kaufkraft und für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen", erklärt Bardella.

Wirtschaftsfachleute rechnen vor, dass dieser Schritt Milliardenlöcher in die Staatskasse reißen würde. Hinzu kommt, dass in der EU ein Mindeststeuersatz auf Sprit und Heizöl von 15 Prozent gilt. Bardella müsste sich also mit Brüssel anlegen, um diese Maßnahme durchzusetzen.

Erkaltete Liebe zwischen Macron und den Unternehmern

Wirtschaftsminister le Maire wünscht sich, dass die Unternehmer endlich aus der Deckung kommen und die kostspieligen Programme der Linken und Rechten als unseriös geißeln. Doch der Aufschrei in der Business-Welt hält sich in Grenzen.

Statt für Macrons Wahlsieg zu kämpfen, ziehen sich viele Bosse entsetzt und enttäuscht zurück, schreibt die wichtigste Wirtschaftszeitung Les Echos und zitiert einige von ihnen: "Macron reitet uns in die Scheiße!", "Diese Art, immer alles allein zu entschieden, das geht nicht mehr", "Die Lösung, um das Land zu reparieren, ist vielleicht der Abgang Macrons".

Vergessen scheint, dass Macron zu Beginn seiner ersten Amtszeit die Vermögenssteuer abschaffte, das Arbeitsrecht unternehmerfreundlich reformierte und Frankreich zum Investitionsstandort Nummer eins in Europa gemacht hat.

Viele Unternehmer wählen ohnehin schon den RN

Wäre es nun opportun, Bande mit dem mit mutmaßlichen Wahlsieger, dem Rassemblement National, zu knüpfen? Die Unternehmerwelt ist unentschlossen. Eine neue Umfrage des IFOP Instituts gibt an, dass 41 Prozent der Unternehmenschefs ohnehin den RN wählen würden.

Gleichzeitig warnte der Chef des Arbeitgeberverbandes MEDEF, Patrick Martin, jüngst in der Tageszeitung Le Figaro, das Programm des RN sei "gefährlich für die französische Wirtschaft". Dieser Vorstoß hat nicht allen in seinem Verband gefallen. Eigentlich hatte man sich auf die Linie geeinigt, vor beiden Lagern, links und rechts, zu warnen. Denn auch das Programm des linken Nouveau Front Populaire sei schädlich und völlig illusorisch.

Viele Topmanager scheinen aber hinter den Kulissen bereits damit begonnen zu haben, Gespräche mit dem mutmaßlichen Wahlsieger aufzunehmen. "Man kann ja schlecht die Zukunft beschimpfen" heißt es im MEDEF, schließlich repräsentiere der Rassemblement National mittlerweile mehr als 30 Prozent der Bevölkerung, mehr als jede andere Partei.

Frankreich schwankt

Die Unsicherheit, die Macron mit seiner Entscheidung für Neuwahlen, ausgelöst hat, schadet Frankreich. In der Woche nach Macrons Entschluss sackte der Leitindex CAC 40 deutlich ab. Der Zinsabstand zwischen deutschen und französischen Staatsanleihen stieg so schnell wie seit 13 Jahren nicht mehr.

Je nachdem, wie die Wahl ausgeht, könnte es für Frankreich deutlich teurer werden, Kredite aufzunehmen. Die Schuldenlast könnte weiter steigen. Damit droht der wichtigste Partner Deutschlands, handlungsunfähig zu werden.

Julia Borutta, ARD Paris, tagesschau, 25.06.2024 14:37 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 21. Juni 2024 um 09:10 Uhr.