Warnung des Mieterbundes "Mieten werden deutlich stärker steigen als Löhne"
Wer in Deutschland zur Miete wohnt, gibt einen Großteil seines Einkommens fürs Wohnen aus. Diese Belastung könnte für Millionen Haushalte auf mehr als 40 Prozent ansteigen, warnt der Deutsche Mieterbund.
Der Deutsche Mieterbund erwartet in den kommenden Jahren weiter deutlich steigende Mieten und immer mehr finanziell überforderte Haushalte. Verbandspräsident Lukas Siebenkotten sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, es dürften sich keine Illusionen gemacht werden - "alles, was legal ist, wird an Mietsteigerungen in den nächsten Jahren ausgenutzt werden". Die Mieten würden "deutlich stärker als die Löhne steigen", prognostizierte er.
Bald im Durchschnitt zehn Euro pro Quadratmeter?
Wenn die aktuelle Entwicklung anhalte, werde die Zahl derer, die 40 Prozent ihres Geldes oder mehr für die Miete ausgeben müssen, in den nächsten Jahren "drastisch" auf dann über fünf Millionen Haushalte steigen, sagte Siebenkotten weiter. Er rechnet damit, dass bei der Bruttokaltmiete im Bestand zeitnah ein Durchschnitt von zehn Euro pro Quadratmeter erreicht wird. Nach zuletzt verfügbaren Statistikzahlen lag der Durchschnitt 2022 bei 8,70 Euro.
"Es werden zu wenige Wohnungen gebaut, und die, die entstehen, richten sich nicht an jene, die sie am dringendsten benötigen", sagte Siebenkotten weiter. Er warnte vor "sozialen Verwerfungen" und warf der Politik vor, den "sozialen Sprengstoff" bei dem Thema noch nicht erkannt zu haben. Es seien mehr Fördermittel nötig, um das Wohnen bezahlbar zu halten. Zudem müssten wieder private Finanzierer dazu gebracht werden, in den Sozialen Wohnungsbau zu investieren.
Wohnungsbauziel abermals verfehlt
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden im vergangenen Jahr in Deutschland 295.300 neue Wohnungen und damit 0,6 Prozent oder 1900 mehr gebaut als im Jahr davor. 2021 hatte es erstmals einen Rückgang gegeben, nachdem die Zahl von 2011 bis 2020 stetig gestiegen war. "Allerdings wurde das Niveau des Jahres 2020 von 306.400 Wohnungen im Jahr 2022 nicht erreicht", betonten die Statistiker. Das Ziel der Ampelkoalition von jährlich 400.000 neuen Wohnungen wurde abermals klar verfehlt.
Zu den neuen Zahlen erklärt Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik der Diakonie Deutschland: "Angemessene, bezahlbare Wohnungen sind eine zentrale Frage sozialer Gerechtigkeit. Deshalb muss die Bundesregierung die Wohnungspolitik neu und konsequent denken - sozial und ökologisch. Die Wohnsituation ist an vielen Orten desolat, die Mietsteigerungen in Ballungsräumen sind dramatisch, die Zahl der Sozialwohnungen nimmt immer weiter ab."
Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum habe längst die Mittelschicht erreicht. Besonders betroffen seien Menschen mit Behinderungen, alte Menschen, Familien mit vielen Kindern, Wohnungslose und andere am Wohnungsmarkt strukturell Benachteiligte. Die Diakonie fordert unter anderem die Einführung einer echten Wohngemeinnützigkeit, um einen nicht gewinnorientierten Sektor auf dem Wohnungsmarkt zu schaffen.
"Weckschrei an Politik notwendig"
Die verfehlten Wohnungsbauziele der Bundesregierung stoßen bei Gewerkschaften gleichermaßen auf Besorgnis. "Wenn jetzt politisch nichts passiert, dann ist der Wohnungsbau am Ende", warnte der Bundesvorsitzende der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau), Robert Feiger. "Notwendig ist deshalb kein Weckruf mehr an die Politik. Notwendig ist ein Weckschrei."
Die IG Bau fordert etwa ein Sondervermögen von 50 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau. "Nur dann kann es noch klappen, 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr zu bauen", sagte Feiger. 22 Milliarden Euro sollten für bezahlbaren Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden, um 60.000 Wohnungen pro Jahr mit einer Kaltmiete zwischen 8,50 und 12,50 Euro pro Quadratmeter bereitstellen zu können.
Auch 2024 kaum Besserung in Sicht
Die Bauindustrie geht davon aus, dass das Ziel der Bundesregierung weiter verfehlt wird. "Für das laufende Jahr rechnen wir bestenfalls mit 250.000 fertiggestellten Wohnungen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes, Tim-Oliver Müller. "Gerade in den Ballungsgebieten und ihrem Umland wird damit die Wohnungsnot zementiert." Auch 2024 sei kaum Besserung in Sicht. Die Fertigstellungen dürften angesichts dramatisch eingebrochener Baugenehmigungen weiter sinken.
Ähnlich auch die Einschätzung des Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). "Gestiegene Zinssätze sowie deutlich höhere Bau- und Energiekosten spielen dabei eine bedeutende Rolle." Hinzu komme, dass so mancher Bauträger auch aufgrund geplanter Gesetze und damit verbundener Unsicherheiten zögere. "Preisregulierung und Wohnraumlenkung können das Problem kaum lösen, während die Erweiterung der Wohngeld- und Bauförderung angesichts der damit verbundenen Inflationsgefahr und steigender Staatsverschuldung immer problematischer wird.", sagte DIW-Experte Konstantin Kholodilin.
Die Bauindustrie fordert die Politik auf, Vertrauen wiederherzustellen, damit Investoren zurück an den Markt kommen. "Der Dreiklang aus einer verlässlichen Neubauförderung, Steueranreizen und weniger Regulierung muss endlich Gehör finden", sagte Hauptgeschäftsführer Müller. "Die Ampelkoalition muss dringend Investoren für den Wohnungsneubau motivieren, dafür braucht es verlässliche Marktbedingungen." Insbesondere die Entschlackung der Überregulierung am Bau sei ein Hebel, Baukosten und damit Preise zu senken - etwa im Bereich der Baustandards oder der Gebäudeenergieeffizienz.
Überhang von genehmigten, aber nicht fertiggestellten Einheiten
Die Baugenehmigungen für Wohnungen gingen deutlich zurück: Deren Zahl sank im vergangenen Jahr um 7,0 Prozent auf 354.200, lag damit aber weiter über den Baufertigstellungen. Dies führte zu einem Überhang von genehmigten, aber noch nicht fertiggestellten Wohnungen von insgesamt 884.800 - ein Plus von 38.400 gegenüber 2021. Der seit 2008 anhaltende Anstieg des Bauüberhangs setzte sich damit "etwas abgeschwächt fort", hieß es. 2021 lag das Plus noch bei 67.000 Wohnungen.
"Der verlangsamte Zuwachs des Bauüberhangs dürfte zum Teil an der gestiegenen Zahl erloschener Baugenehmigungen liegen, bei denen in der Regel die mehrjährige Gültigkeitsdauer abgelaufen ist", hieß es. Diese fließen in die Berechnung nicht mehr ein und haben im vergangenen Jahr mit 22.800 den höchsten Stand seit 2006 erreicht.
Die Zahl der neuen Einfamilienhäuser sank im vergangenen Jahr um 1,5 Prozent auf 77.100. Bei Zweifamilienhäusern gab es dagegen einen Anstieg von 14,1 Prozent auf 23.000 Wohnungen, bei Mehrfamilienhäusern wurde eine Zunahme von 1,5 Prozent auf 150.200 gemeldet.