Kurs der Notenbanken Wann sinken die Zinsen wieder?
Die Wetten an den Börsen auf baldige Zinssenkungen im neuen Jahr laufen. Experten warnen aber vor überzogenen Erwartungen. Was bedeutet das für Anleger, Tagesgeld-Sparer und Hauskäufer?
An der Börse kennen die Kurse zurzeit kein Halten mehr. Der DAX stürmt von Rekordhoch zu Rekordhoch. Hintergrund ist die Hoffnung der Anleger auf baldige Zinssenkungen: Die machen riskante Anlagen wie Aktien attraktiver. Zwar dürften sowohl die US-Notenbank Federal Reserve heute als auch die Europäische Zentralbank (EZB) morgen auf ihren letzten Sitzungen in diesem Jahr die Zinsen unangetastet lassen.
Doch der Blick der Anleger richtet sich bereits aufs neue Jahr, und die Mehrheit geht von starken Zinssenkungen 2024 aus: So preisen die Fed-Funds-Futures spätestens für Mai eine erste Lockerung ein. Bis Jahresende sollen die Leitzinsen in den USA um einen vollen Prozentpunkt fallen. Im Euroraum geht der Marktkonsens sogar von Zinssenkungen um 1,5 Prozentpunkte bis Dezember 2024 aus, schon im März sollen die Währungshüter um EZB-Chefin Christine Lagarde die Zinsen erstmals senken.
Einlagenzins gibt Richtung für Tagesgeld und Hypotheken vor
Die Zinsfrage ist aber nicht nur für Anleger an den Aktienmärkten essenziell: Auch für Verbraucher, die überschüssiges Kapital auf Tagesgeldkonten parken oder als Festgeld oder in Anleihen angelegt haben, wäre es fein zu wissen, wie lange sie noch auf eine hohe Verzinsung hoffen dürfen. Für Häuslebauer (in spe) stellt sich die Frage: Können Sie sich eine Immobilie in absehbarer Zeit vielleicht doch noch leisten, weil die Hypothekenzinsen wieder sinken?
Zentral ist dabei der Einlagenzins, also der Zinssatz, zu dem Geschäftsbanken überschüssiges Geld bei der EZB parken können. Dieser Zinssatz liegt in der Eurozone aktuell bei 4,0 Prozent. Er gibt die Richtung vor für Tages- und Festgeldzinsen. Der Einlagenzins hat aber auch Einfluss auf die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe, die wiederum die Bauzinsen maßgeblich bestimmt.
Gesunkene Inflationsraten verstärken Zinsspekulationen
Auffällig ist: Bislang waren weder von Seiten der EZB noch der Fed Hinweise zu Zinssenkungen zu hören, darauf weist auch Marktexperte Robert Rethfeld von Wellenreiter-Invest hin. Warum also ist der Markt dennoch so fest davon überzeugt, dass die Notenbanker schon bald die Zinswende einläuten werden?
Es sind vor allem die stark gesunkenen Verbraucherpreise, die seit Wochen schon die Zinssenkungsspekulationen verstärken. So lag die Inflationsrate im Euroraum im November bei gerade einmal 2,4 Prozent - und damit nur noch knapp über dem EZB-Ziel von 2,0 Prozent. EZB-Direktorin Isabel Schnabel bezeichnete den Inflationsrückgang als "bemerkenswert".
Was gegen rasch sinkende Zinsen spricht
Experten warnen dennoch vor überzogenen Zinssenkungserwartungen. Vor allem der starke Lohnauftrieb macht ihnen Sorgen, hat er doch das Zeug dazu, eine Lohn-Preis-Spirale in Gang zu setzen. Im dritten Quartal stiegen die Tariflöhne dem EZB-Tariflohnindikator zufolge gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf 4,7 Prozent - den höchsten Wert seit Beginn der Zeitreihe. Die zuletzt neu geschlossenen Tarifverträge sehen laut EZB sogar einen Anstieg von 6,0 Prozent vor.
"Die stark steigenden Löhne sprechen dafür, dass sich die Kerninflation am Ende eher bei drei Prozent als bei zwei Prozent einpendelt", geben daher die Commerzbank-Ökonomen Marco Wagner und Christoph Balz zu bedenken. Auch Ulrike Kastens, Volkswirtin Europa beim Vermögensverwalter DWS, warnt davor, bereits den Sieg über die Inflation zu feiern. "Es ist noch zu früh, um über Zinssenkungen zu reden", so ihr Resümee.
Kastens geht davon aus, dass EZB-Präsidentin Lagarde auf der Ratssitzung morgen Forderungen nach sehr schnellen Zinssenkungen zurückweisen wird. Auch die Helaba-Ökonomen sind überzeugt, dass die EZB bestrebt sein dürfte, die überbordenden Zinssenkungsfantasien der Marktteilnehmer einzudämmen. Und Franck Dixmier, Anleihenchef Allianz Global Investors, meint, dass die EZB angesichts des "Markthypes" eine vorsichtige Haltung einnehmen und ihre Wachsamkeit betonen sollte.
Und was macht die Fed?
Anders sieht es womöglich in den USA aus: Hier scheinen die Hoffnungen auf eine rasche Zinswende im neuen Jahr eventuell eher berechtigt. Wie in Europa ist auch in den Vereinigten Staaten die Kerninflation stark gefallen, sie liegt nicht mehr weit vom Fed-Ziel von 2,0 Prozent entfernt. Doch im Gegensatz zum Euroraum haben sich die Lohnsteigerungen in den USA zuletzt wieder abgeschwächt.
"Damit dürfte die Fed früher als die EZB überzeugt sein, dass die Inflation gebrochen ist", erklären die Commerzbank-Ökonomen Wagner und Balz. Hinzu kommt: Die Fed hat die Zinsen früher und stärker als die EZB angehoben, liegt im Zinszyklus also weiter vorne. Zugleich verdichteten sich zuletzt die Anzeichen, dass die USA 2024 in die Rezession rutschen könnten.
Hohe Erwartungen an Lagarde und Powell
Doch auch hier wird es auf die korrekte Kommunikation ankommen: "Es darf nicht der Eindruck entstehen, die Fed fürchte eine tiefe Rezession im nächsten Jahr, indem sie vorgibt, hastig an der Zinsschraube drehen zu wollen. Das könnte die Anleger verunsichern", warnt Jochen Stanzl, Chefanalyst beim Broker CMC Markets.
Es bleibt also spannend, ob die Fed und EZB auf ihren Sitzungen in dieser Woche tatsächlich den Markterwartungen entgegenkommen und baldige Zinssenkungen in Aussicht stellen werden. Falls ja, können sich die Anleger an den Aktienmärkten über weitere vorweihnachtliche Kursgeschenke freuen - und Immobilienkäufer dürfen wieder hoffen. Das Enttäuschungspotenzial ist allerdings groß - außer für Sparer, die sich über länger hohe Zinsen gewiss freuen dürften.