Blick auf eine Neubausiedlung bei München.
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Krise am Wohnungsmarkt Wie der Erbpachtzins Wohnträume platzen lässt

Stand: 15.06.2024 15:25 Uhr

Erbpacht sollte Menschen mit geringerem Einkommen Wohneigentum ermöglichen. Die Idee: Ein Haus wird gebaut, der Boden darunter ist gemietet. Doch die Rechnung geht inzwischen nicht mehr auf.

Von Robert Hübner, hr

Im Stadtteil Heddernheim im Nordwesten von Frankfurt stehen in einem ganzen Straßenzug fast nur Erbpachthäuser. Das sind Anwesen, bei denen die Häuser den Privatleuten gehören, die auch selbst drin wohnen. Die dazugehörigen Grundstücke aber sind Eigentum der Stadt Frankfurt - und in der Regel 99 Jahre an die Hausbesitzer verpachtet.

Rentnerin Anette Fuchs ist eine von vielen, die vor Jahrzehnten hier ein Haus auf einem Erbpachtgrundstück erworben hat: "Es war ja eigentlich die Idee früher, dass man Familien mit mittlerem Einkommen ermöglicht, Eigentum zu schaffen und sich etwas zu leisten. Und das gibt es nicht mehr."

Bei Verkauf schnappt Zinsfalle zu

Als Anette Fuchs gekauft hat, lag der Erbpachtzins noch bei 80 Euro pro Monat. Diesen Zins zahlt sie bis heute. Die vergleichsweise geringe Summe ermöglichte ihr, dass sie sich die Finanzierung des Kredits für das Haus und die Miete des Grundstücks, also den Erbpachtzins, leisten konnte. Auch Instandhaltung und Modernisierungen waren drin.

Mittlerweile ist sie Rentnerin, das Haus ist zu groß und macht zu viel Arbeit. Jetzt möchte sie verkaufen. Doch der mittlerweile um 900 Prozent gestiegene Erbpachtzins der Stadt Frankfurt - in ihrem Fall also auf 800 Euro für Neubesitzer pro Monat - macht ihr einen Strich durch die Rechnung. Und den interessierten Familien auch: "Es gibt viele junge Familien, die sich für mein Haus interessieren, aber dann feststellen, dass sie den hohen Erbpachtzins nicht bezahlen können und dem zufolge dann doch wieder absagen", erzählt Anette Fuchs.

Lukratives Geschäft für die Stadt

Der Erbpachtzins für Neubesitzer liegt in Frankfurt am Main aktuell bei 2,5 Prozent. Für die Stadt ergibt sich daraus ein lukratives Geschäft, denn die Kommune hält rund 5.000 Erbrechte im Stadtgebiet. Die Summe der Einnahmen ergibt sich aus dem Bodenrichtwert multipliziert mit den 2,5 Prozent Erbpachtzins.

Auch Bernd Oettinghaus interessiert sich für die Immobilie von Anette Fuchs. Die finanziellen Verhältnisse des Gärtnermeisters sind gut, aber nicht für unbegrenzte Abenteuer geeignet. Oettinghaus ärgert sich über den hohen Erbpachtzins. "Ich finde es nicht fair." Für Oettinghaus wird auf dem ohnehin umkämpften Frankfurter Wohnungsmarkt ein Potenzial nicht ausgeschöpft.

Erbbaurecht und Erbpacht
Nach dem sogenannten Erbbaurecht können Hausbesitzer das Grundstück für eine bestimme Zeit pachten. Der Boden, auf dem ihre Immobilie steht, gehört also nicht ihnen - sondern zum Beispiel der Kommune, der Kirche oder einer Stiftung. Im Sprachgebrauch ist der Begriff Erbpacht üblich, der sogenannte Erbbauzins wird auch Erbpachtzins genannt. Er wird individuell vereinbart und muss monatlich, quartalsweise oder jährlich bezahlt werden. Üblicherweise laufen Erbbauverträge über lange Zeiträume, etwa 75 oder 99 Jahre. Verlängert der Grundstücks-Eigentümer den Vertrag danach nicht, fällt das Haus an ihn - er muss allerdings eine Entschädigung zahlen.

Eigentlich wollte Oettinghaus ein Erbpachthaus kaufen. Denn ihm und seiner Familie droht eine Eigenbedarfskündigung - auch das ist Alltag auf dem Wohnungsmarkt. Doch angesichts des hohen Erbpachtzinses denkt er nun darüber nach, vielleicht doch ein Haus auf dem freien Markt zu kaufen: "Wenn ich jetzt ein Haus kaufen würde mit Grundstück, dann würde ich am Ende preiswerter da raus kommen, als wenn mit bei der Stadt einen Erbpachtvertrag schließe."

Würde Oettinghaus die 99 Jahre, auf die ein Erbpachtzins ausgelegt ist, für das Grundstück zahlen, würde er das Grundstück im Vergleich umgerechnet dreimal abbezahlen - und gehören würde es ihm noch immer nicht. "Der Staat sollte nicht der Profiteur sein", findet Oettinghaus.

"Eine verfehlte Bodenpolitik"

Ist die Stadt Frankfurt wirklich teurer als der freie Markt? Birgit Kasper vom Netzwerk Frankfurt für Gemeinschaftliches Wohnen e.V. sieht frühere Versäumnisse als Grund für die Zinssteigerung und sieht den damit verbundenen Auftritt der Stadt wie ein geldgieriger Makler, der dem größten Profit hinterherjagt. "Der Punkt ist, dass wir in den letzten Jahren einfach eine verfehlte Bodenpolitik gehabt haben, die darauf setzte, dass das freie Spiel der Kräfte den Markt schon regelt." Ihre Faustregel: Würde die Stadt niedrige Preise vorgeben, würden sogar niedrige Preise auf dem Markt folgen.

Der Verein hat nun immerhin durchgesetzt, dass im Koalitionsvertrag der Stadtparteien das Ziel steht, den Erbpachtzins wieder zu senken. Nach Informationen des Hessischen Rundfunks gibt es sogar eine Einigung, den Erbpachtzins von 2,5 auf 1,5 Prozent zu senken. Das zuständige Amt für Bau und Immobilien hat der Politik deshalb Vorschläge zur Umsetzung gemacht. Jetzt liegt der Ball wieder bei den Stadtpolitikern. Der Zins ist aber noch immer unverändert hoch.

Für Familien nicht mehr bezahlbar?

Würde der Erbpachtzins wie vorgeschlagen um einen Prozentpunkt auf 1,5 Prozent gesenkt, würde das in der Praxis einen enormen Unterschied machen. Legt man die 800 Euro pro Monat des Beispiels von Frau Fuchs zugrunde und eine klassische Kreditlaufzeit von 32 Jahren, dann muss ein potenzieller Käufer insgesamt 307.200 Euro bezahlen.

Bei einem Erbpachtzins von nur 1,5 Prozent verringert sich diese Summe um mehr als 100.000 Euro. Die Stadt Frankfurt räumt aktuell immerhin eine Ermäßigung für Familien mit Kindern ein. Pro Kind gibt es 20 Prozent Senkung des Zinses, maximal vier Kinder werden angerechnet.

Trotzdem scheint das nicht zu helfen, so die Beobachtung von Anette Fuchs: "Die Stadt verdient auf meine Kosten. Ich muss im Verkaufspreis runtergehen, damit es zusammen mit dem hohen Erbpachtzins keine utopische Summe wird." Deshalb sucht sie nun nicht mehr nach einer Familie mit Kindern, sondern nach Menschen mit höheren Gehältern. Es scheint, als ob die Stadt sich nicht so sozial und familienfreundlich verhält wie sie könnte.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der HR in der Sendung "mex" am 12. Juni 2024 um 20:15 Uhr.