Gemeinschaftliche Wohnprojekte Eine Antwort auf die Immobilienkrise?
Günstige Mieten, demokratische Mitbestimmung und ein lebenslanges Wohnrecht versprechen Wohnprojekte. Doch die Gemeinschaft kann auch Zeit und Energie kosten. Lohnt sich das Engagement im Wohnprojekt? Ein Überblick.
Die Mieten in Deutschland sind auf einem Rekordniveau, und die hohen Zinsen kündigen bereits den nächsten Preisschock an. Doch es gibt eine Alternative: Gemeinschaftliche Wohnprojekte wie Genossenschaften und Mietshäusersyndikate entziehen dem freien Markt Immobilien und bieten günstigeren Wohnraum.
Was sind gemeinschaftliche Wohnprojekte?
Gemeinschaftliche Wohnprojekte bieten eine Alternative zum Leben in einer Kleinfamilie oder im Singlehaushalt. Die Idee: Gruppen organisieren und gestalten ihre Wohnbedürfnisse gemeinsam und selbstbestimmt. Oft werden private und gemeinschaftliche Flächen mit funktionaler Architektur kombiniert.
Zum Beispiel können die einzelnen Wohneinheiten etwas kleiner ausfallen. Dafür ist zusätzlicher gemeinschaftlicher Raum wie eine Dachterrasse, ein Hobbyraum, eine Sauna oder ein großzügiger Garten möglich.
Das Besondere: Oft sind die Immobilien im kollektiven Besitz - weder externe Vermieter noch einzelne Bewohner besitzen das Haus allein. Stattdessen wird das Eigentum formell an eine Genossenschaft oder ähnliche Körperschaften übertragen. Die Mieter werden so zu ihren eigenen Vermietern. Da die Körperschaften nicht gewinnorientiert sind, können die Wohnungen dauerhaft günstig bleiben.
Welche Unterschiede gibt es zwischen den Projekten?
In Deutschland gibt es zwei weit verbreitete Projektformen: Wohnungsbaugenossenschaften und das Mietshäuser-Syndikat. Wohnungsbaugenossenschaften zählen zu den klassischen Projektformen mit mehr als 2000 Standorten bundesweit. Mitglieder, die oft zukünftige Bewohner sind, kaufen zunächst Genossenschaftsanteile. Mit diesem gemeinschaftlichen Kapital kann ein Baukredit angezahlt werden, der dann langfristig über die Mieteinnahmen abgestottert wird.
Dabei ist Mitbestimmung fest verankert: Alle Genossenschaftsmitglieder, unabhängig von ihrer finanziellen Beteiligung, haben das gleiche Stimmrecht in den Mitgliederversammlungen. Genossenschaftsanteile sind fest verzinst und werden bei einem Austritt wieder ausgezahlt.
Das Mietshäuser-Syndikat wiederum ist ein Solidarverbund, in dem deutschlandweit über 180 Hausprojekte organisiert sind. Das Wohneigentum der Projekte wird jeweils an eine eigenständige GmbH übertragen. Alle Mitbewohner sind automatisch Mitgesellschafter und können demokratisch mitentscheiden.
Mitbewohner sind, anders als bei Genossenschaften, nicht verpflichtet, Eigenkapital einzubringen. Eine Mitgliedschaft ist so unabhängig vom Geldbeutel möglich. Zur Finanzierung sammelt die Gruppe Direktkredite von Bekannten, Familienmitgliedern und anderen Unterstützern, bis ausreichend Eigenkapital für Baukredite vorhanden ist. Wie bei Genossenschaften werden die Direkt- und Baukredite langfristig über die Mieten zurückgezahlt.
Warum ist das Wohnen in den Projekten günstiger?
Das Mietshäuser-Syndikat und die Genossenschaften müssen mit den Mieteinnahmen keine Gewinne erzielen. Vielmehr orientieren sie die Mietpreise an den realen Kosten, die für die Finanzierung eines Wohnhauses anfallen. Die "Kostenmiete" umfasst bei Neubauten nur die Tilgung von Krediten und Zinsen, die Nebenkosten sowie die Bildung von Rücklagen für Instandhaltungsarbeiten. Wenn der Baukredit abbezahlt ist, können die Mieten sogar noch weiter sinken.
Für wen lohnen sich gemeinschaftliche Wohnprojekte?
Der Beginn eines gemeinschaftlichen Wohnprojekts ist aufwändig. Bis zum ersten Spatenstich können viele Jahre vergehen. "Man braucht viele Ressourcen, viel Know-how und Kontakte zu Architekten. Außerdem muss man sich mit komplizierten Finanzierungsfragen auseinandersetzen", erklärt Sebastian Schipper, Professor an der Goethe-Universität Frankfurt, der zu gemeinschaftlichem Wohnen forscht. Für viele Berufstätige, Eltern oder pflegende Angehörige sei die Mitarbeit an einem neuen Wohnprojekt deswegen schwer umsetzbar.
Der Arbeitsaufwand bei etablierten Wohnprojekten kann dagegen erheblich geringer ausfallen. Die Wohnhäuser sind bereits gebaut, Verantwortlichkeiten und Organisationen weitestgehend geklärt. Allerdings sind die Wartelisten bei Bestandsgenossenschaften und anderen etablierten Projekten meist sehr lang. Es können Jahre vergehen, bis eine Mitgliedschaft möglich ist und eine Wohnung frei wird. Bei allen gemeinschaftlichen Wohnprojekten gilt deswegen: Eine Mitgliedschaft wird dann sinnvoll, wenn man langfristige Wohnpläne an einem Ort hat und nicht plant, häufig umzuziehen.
Wie wirkt sich die aktuelle Baukrise auf die Projekte aus?
Explodierende Baukosten und hohe Zinsen belasten auch gemeinschaftliche Wohnprojekte. Viele Initiativen stehen deswegen auf der Kippe oder kämpfen um ihre Finanzierung. Einige Neubauprojekte mussten bereits in der Planungsphase aufgegeben werden.
Wo dennoch gebaut wird, müssen zukünftige Mieter mit erheblich höheren Mieten rechnen. Doch nicht nur Neubauprojekte leiden unter dieser Entwicklung. Auch Bestandsgenossenschaften sind betroffen: Hier steigen die Mieten, weil Betriebskosten, Instandhaltungsaufwendungen und Modernisierungsmaßnahmen erheblich teurer geworden sind. Obwohl die Mieten aktuell auch bei gemeinschaftlichen Wohnprojekten anziehen, sollte der Anstieg langfristig aber geringer sein als auf dem freien Markt.