Modemarke Marc Cain Wie Mitarbeitende zu Unternehmern werden
Der Chef der Modemarke Marc Cain hat keine Kinder, also vermacht er sein Unternehmen seinen Mitarbeitern. Ein in dieser Größenordnung einmaliges Geschehen, mutig obendrein - aber auch sinnvoll?
Erst vor ein paar Wochen hat er investiert: "Fünf neue Maschinen haben wir bestellt, drei sind schon da. Schön, nicht?" Helmut Schlotterer freut sich über neue Rundstrickmaschinen. Und darüber, dass es vorangeht bei Marc Cain. Auch, wenn die Firma ihm bald nicht mehr gehören wird.
Erst Ende August hat das Imperium von Helmut Schlotterer in der schwäbischen Provinz 50-Jähriges Bestehen gefeiert. Auf dem Höhepunkt eines rauschenden Festes vor geladener Prominenz wiederholte der Firmenchef, was er bereits wenige Monate zuvor angekündigt hatte: Er werde sein Unternehmen verschenken - und zwar an seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: "Ich habe keine Kinder. Also musste ich mir überlegen, was ich mit der Firma mache", so der Gründer und Eigentümer von Marc Cain.
Immer wieder seien Kaufangebote an ihn herangetragen worden. "Aber das heißt dann auch weggehen, viel Geld haben", so Schlotterer. Und das wollte er nicht: Weder weggehen, noch ein Luxusleben führen. Er sehe bei Freunden, die ihre Unternehmen verkauft haben, was das mit denen mache, erzählt Schlotterer. Das sei nichts für ihn.
Die "Firmen-Gene" weitergeben
Also greift der Unternehmer zu einer ungewöhnlichen Maßnahme, vermacht sein Betriebs- sowie sein Privatvermögen seiner sozialen "Helmut Schlotterer Stiftung". Durch die Gründung einer neuen Mitarbeiterstiftung werden seine Stimmrechte an seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übertragen: "Die Mitarbeiter von Marc Cain sind automatisch Mitglieder der Mitarbeiterstiftung, und diese als Organschaft tritt das Erbe an", so Schlotterer.
Geleitet werden soll die Mitarbeiterstiftung durch einen Mitarbeiterrat, der aus allen aktiven Führungskräften besteht. Heißt: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bestimmen über die Geschicke der Firma und sind damit direkt verantwortlich für deren Erfolg oder auch Misserfolg.
So wolle er sicherstellen, dass "die Gene" von Marc Cain, wie Schlotterer sagt, erhalten blieben. Was genau das ist, lässt sich erahnen, wenn man sieht, wie der Chef durch die Produktionshallen läuft. Er kennt jeden Mitarbeiter, hat für jeden und jede ein freundliches Wort. "Das ist der beste Produktionsleiter, den wir je hatten", sagt er in einer Halle und schüttelt einem dunkelhaarigen Mann die Hand. Der strahlt.
Weltmode aus der Provinz
Für Schlotterer sei die Firma wie eine zweite Familie: "Meine Frau wollte keine Kinder, und ich habe am Anfang Tag und Nacht gearbeitet", so der Unternehmer. Und so hat er ein erfolgreiches Textilunternehmen in der Provinz geschaffen.
"Marc Cain" klingt kosmopolitisch, die Marke ist aber beheimatet im schwäbischen Bodelshausen. Eine kleine Gemeinde zwischen Stuttgart und Bodensee, viel grüne Wiese, viel frische Luft, viel Fachwerk. Mittendrin der Campus von "Marc Cain" aus Beton und Glas, fast 1.000 Beschäftigte, der größte Gewerbesteuerzahler der Gemeinde.
Schlotterers Vater hat die Strickwarenfabrik aufgebaut, der Junior hat sie übernommen und zu einer Weltmarke gemacht. "In meiner Branche sind sehr viele Mitbewerber verschwunden. Strenesse, René Lezard, St. Emile, alle weg. Neue Insolvenzen werden jeden Tag gemeldet", so Schlotterer. Die Corona-Krise habe auch Marc Cain gebeutelt, aber in diesem Jahr rechne man in Bodelshausen wieder mit einem Erlös um die 300 Millionen Euro.
Erfolgsmodell Mitarbeiterstiftung?
Nadine Kammerlander, Professorin an der Otto Beisheim School of Management, hält die Stiftung für eine gute Entscheidung: "Eine Mitarbeiterstiftung kann eine gute Sache sein, wenn es keinen Nachfolger in der Familie gibt. Für die Mitarbeiter ist das ein Motivationsschub, sich noch stärker für die Firma einzusetzen." So zeigten Studien, dass Stiftungsunternehmen im deutschsprachigen Raum einen leicht höheren Unternehmenserfolg aufweisen.
Allerdings bestünde auch ein gewisses Risiko, wenn Mitarbeiter ein Stimmrecht erhielten und mit weitreichenden Unternehmensentscheidungen betraut würden. "Man muss natürlich sicherstellen, dass die künftigen Entscheider auch die Fähigkeiten besitzen, die richtigen Entscheidungen zu treffen und nicht etwa im Eigeninteresse handeln", so Kammerlander.
Aus Mitarbeiter werden Unternehmer
Und deshalb ist der "Marc Cain"-Eigentümer Schlotterer in diesen Tagen viel unterwegs. Führt Gespräche, streift durch die Büros. "Das hier sind die Techniker, die die Strickprogramme machen", erklärt er im Vorbeigehen. Dass seine Mitarbeiter bald am Erfolg der Firma beteiligt sein werden, motiviere diese - aber stellt den Noch-Besitzer auch vor große Herausforderungen. "Ich bin gerade in einem Erziehungsprozess, aus Mitarbeitern Unternehmer zu machen. Und da bin ich mal gespannt, wie sie die Gewinne optimieren, denn ohne Gewinn keine Auszahlung. Ganz einfach."
Bis zum Ende des Jahres soll das Nachfolgekonstrukt stehen. Dann will Helmut Schlotterer in den Hintergrund treten. "Und dann schaue ich mal, was hier so Spannendes passiert."