Spielraum für Lohnerhöhungen Gewinne steigen in Deutschland besonders stark
Verglichen mit anderen Industriestaaten sind die Gewinne der Unternehmen in Deutschland deutlich stärker gestiegen. Das eröffnet laut OECD größeren Spielraum für Lohnerhöhungen.
Die Gewinne der Unternehmen in Deutschland sind einer Studie zufolge in den vergangenen Jahren stärker gestiegen als in vielen anderen Industriestaaten. Seit Ende 2019, also dem letzten Quartal vor Ausbruch der Corona-Pandemie, hätten die sogenannten Stückgewinne um 24 Prozent zugelegt, teilte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) heute mit. Die Lohnstückkosten wuchsen danach mit 13 Prozent deutlich langsamer. Als Stückgewinn wird die Differenz zwischen Erlös und Kosten pro Einheit bezeichnet, während die Arbeitskosten für eine bestimmte Einheit auch Lohnstückkosten genannt werden.
Die OECD ist eine internationale Organisation mit 38 Mitgliedsländern. Ziel der OECD ist es eigenen Angaben zufolge eine Politik zu gestalten, die Wohlstand, Gleichheit, Chancen und Wohlergehen für alle fördert.
Hinweis auf "Gierflation"?
"Der Anstieg der Stückgewinne liegt in Deutschland über dem OECD-Durchschnitt, der Anstieg der Lohnstückkosten dagegen darunter", lautet das Fazit der Studienautoren. "Der Abstand zwischen den beiden Werten ist in Deutschland deutlich größer als in Frankreich, Italien, Spanien und im Vereinigten Königreich." Man könnte das als einen Hinweis auf die sogenannte Gierflation interpretieren. So wird das Phänomen genannt, bei dem Unternehmen mehr auf den Endpreis schlagen, als es die gestiegenen Kosten rechtfertigen würden.
Das könnte im Ergebnis sogar positive Folgen für Arbeitnehmer haben, weil es als Argument für großzügigere Lohnerhöhungen taugt: "In vielen OECD-Ländern sind die Gewinne stärker gestiegen als die Arbeitskosten, was wesentlich zum Preisdruck beiträgt", sagte OECD-Analystin Anja Meierkord der Nachrichtenagentur Reuters angesichts der Inflation.
Das eröffne Spielraum, um weitere Lohnerhöhungen aufzufangen und so den Kaufkraftverlust zumindest für Geringverdiener abzufedern, ohne dass ein erheblicher zusätzlicher Inflationsdruck entstehe. "Dies gilt auch für Deutschland", sagte Meierkord. Eine faire Verteilung der Inflationskosten könne einen weiteren Anstieg der Ungleichheit verhindern.
Lagarde meldet sich zu Wort
Auch die EZB hatte sich unlängst zum Thema Gierflation geäußert, allerdings nicht spezifisch auf Deutschland bezogen. Vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europaparlaments hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde gesagt, die meisten Unternehmen hätten "den Vorteil genutzt, die höheren Kosten völlig auf die Kunden abzuwälzen." Und einige von ihnen hätten die Preise über den bloßen Kostendruck hinaus erhöht.
Bei den Nahrungsmittelpreisen könnte das Thema ebenfalls noch aktuell sein. Den Inflationsdaten aus Deutschland zufolge war der Preisauftrieb im Juni bei Nahrungsmitteln mit plus 13,7 Prozent erneut sehr hoch. Nahrungsmittel bleiben damit unter allen Güterbereichen der stärkste Preistreiber.
Für den Lebensmittelbereich hatte der Kreditversicherer Allianz Trade den europäischen Markt untersucht und war in einer Studie im April dieses Jahres zu dem Schluss gekommen, das Profitstreben in Deutschland sei besonders hoch und könne nicht mit traditionellen Kostentreibern erklärt werden. "Es scheint zunehmend Anzeichen für Gewinnmitnahmen zu geben sowie unzureichenden Wettbewerb", hatte der Allianz-Trade-Experte Andy Jobst festgestellt.
Reallöhne sinken
Die OECD hat sich auch mit den Folgen der gestiegenen Verbraucherpreise für die Arbeitnehmer befasst. Danach hat die nach dem russischen Angriff gegen die Ukraine beschleunigte Inflation hat der OECD zufolge die Reallöhne in fast allen der 34 untersuchten Mitgliedsländern sinken lassen.
In Deutschland gingen sie danach im ersten Quartal dieses Jahres um 3,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurück. Im Verlauf der drei Jahre seit Beginn der Pandemie, von Ende 2019 bis Ende 2022, haben die Reallöhne um 3,2 Prozent nachgegeben. Der OECD-Schnitt liegt bei 2,2 Prozent.
Bei Geringverdienenden sei dies durch die im vergangenen Oktober erfolgte Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro pro Stunde etwas abgefedert worden. Inflationsbereinigt (real) sei dieser verglichen mit Anfang 2022 um 12,4 Prozent gestiegen und damit deutlicher als in den meisten anderen OECD-Ländern.