Städtebau und Regenwasser Berlin will "Schwammstadt" werden
Die Kanalisation in Metropolen wie Berlin ist bei Starkregen überfordert. Politik und Wasserbetriebe der Hauptstadt denken daher jetzt um - damit Regen dort versickert oder verdunstet, wo er fällt.
Die Sonne scheint auf das Neubauquartier im Berliner Südosten. Ein breit angelegtes Wasserspiel plätschert die Stufen hinunter in ein riesiges künstliches Wasserbecken, begrenzt durch bunten Pflanzenbewuchs. In einer Ecke fahren zwei Jungen Wettrennen mit ihren ferngesteuerten Elektro-Booten. Eine Gruppe Kleinkinder planscht auf dem Wasserspielplatz nebenan, die Eltern sitzen im nahen Café. Was aussieht wie die perfekte Vorstadtidylle, ist ein hydrologisches Vorzeigeprojekt. Denn der Regen, der hier fällt, wird in dem zentralen Becken aufgefangen. Die Wasserspiele und Bepflanzungen schaffen einen Kreislauf, reichern Sauerstoff an und reinigen das Wasser. Ein Biotop - das im Sommer das ganze Wohngebiet kühlt.
Von der "Wüstenstadt" zur "Schwammstadt"
Darla Nickel ist begeistert von der Anlage. Seit drei Jahren leitet die promovierte Hydrologin die Berliner Regenwasseragentur. Mit ihrem Team berät sie Bauprojekte, Behörden und Stadtplaner. Das Ziel: Regenwasser soll in Berlin künftig dezentral bewirtschaftet werden. "Das hier wird sicher nicht der Standard. Aber einzelne Elemente wie Dachbegrünung, Versickerungsmulden oder die Nutzung von Regenwasser für die Toilettenspülung nehmen überall in der Stadt zu", sagt Nickel. Das ist politisch so gewollt und mittlerweile gesetzlich verankert. Denn in Berlin darf bei neubebauten Grundstücken nur so viel Regenwasser in die Kanalisation abfließen, wie es ohne Bebauung der Fall wäre.
Doch warum jagt die Hauptstadt dem Regenwasser dermaßen hinterher? Das hat zwei Gründe, erklärt der Sprecher der städtischen Wasserbetriebe, Stephan Natz. Zum einen liege Berlin in einer regelrechten Trockenzone, Niederschläge seien übers Jahr gerechnet Mangelware und die Stadt regenärmer als Barcelona. Zum anderen sei die historisch gewachsene Kanalisation bei Starkregen völlig überfordert, Überschwemmungen ganzer Straßenzüge und die Verschmutzung der umliegenden Gewässer die Folge. Das Zauberwort heißt deshalb "Schwammstadt". Die Wasserbetriebe sprechen von einem Paradigmenwechsel: Regen wird dort gespeichert, er versickert oder verdunstet dort, wo er fällt. Denn jeder Tropfen, der abfließt, sei ein verlorener.
Verdunstungskälte verbessert das Klima im Sommer
Schaut man sich in der Stadt genauer um, findet man schon jetzt große und kleine Bestandteile des "Schwammstadt"-Prinzips. Im Wissenschaftsquartier Adlershof etwa wurden in den Nebenstraßen klassische Gullys durch sogenannte Versickerungsmulden ersetzt. Regenwasser von Straße und Gehweg landet nicht in der Kanalisation, sondern auf diesen tiefergelegten Grünflächen. Dort bewässert es Pflanzen, trägt so zum Mikroklima bei und versickert ins Grundwasser. Werden Straßen oder Plätze in Berlin saniert, wird dieses Schwamm-Element künftig mitgedacht - auch in der Innenstadt. Zudem lässt die Umweltverwaltung prüfen, welche bislang noch zubetonierten oder anders versiegelten Flächen wieder entsiegelt werden können, um Wasser zu speichern.
Begrünte Dächer gehören zu den am meisten und am längsten verwendeten Elementen der "Schwammstadt". Ein frühes Beispiel ist ein riesiger, rundlicher Forschungsbau des Helmholtz-Zentrums Berlin für Materialien und Energie. Das herkömmliche Gründach des 1998 errichteten Gebäudes kann ohne viel Pflegebedarf etwa 50 Prozent der gefallenen Regenmenge aufnehmen. Modernere Varianten erreichen eine Speicherkapazität von bis zu 90 Prozent. Der angenehme Nebeneffekt bei all diesen Maßnahmen, egal ob am Boden oder auf den Dächern: Durch kühlende Verdunstung und bessere Luft erhöht sich die Lebensqualität in der Stadt.
Schafe grasen auf dem begrünten Dach der Berliner Max-Schmeling-Halle.
Mit kleinen Schritten zum Ziel
Doch der Umbau Berlins zur "Schwammstadt" steht noch ganz am Anfang. Das liegt vor allem am historisch gewachsenen Stadtbild und dem Bestand. Trotz diverser Förderprogramme ist etwa die Abkopplung ganzer Grundstücke von der Kanalisation für Bestandsbauten teuer. Nach Angaben der Regenwasseragentur wachsen letzten Erhebungen zufolge auf nur etwa vier Prozent der Dächer Berlins Pflanzen. Im bundesweiten Vergleich sei das viel, aber es gebe auch noch erhebliches Verbesserungspotenzial. Wie viele Dächer überhaupt statisch für Dachbegrünung geeignet sind, sei bisher nicht erhoben.
Bundesweit sieht sich Berlin dennoch als Vorreiter beim "Schwammstadt"-Prinzip. Und selbst wenn der Weg zur bestmöglichen Nutzung von Regenwasser noch weit ist - Darla Nickel von der Regenwasseragentur zeigt sich zuversichtlich. Ob Hamburg oder München, Paris oder Amsterdam: Auch in anderen Großstädten habe ein Umdenken stattgefunden. Jede Stadt habe unterschiedliche geographische, städtebauliche und hydrologische Bedingungen. Doch man stehe im regen Austausch, auch international, teilweise mit offizieller Kooperation. Am wichtigsten sei es, voneinander zu lernen und innovativ zu denken - um künftig immer mehr Regenwasser für die Stadt, ihre Bewohner und Pflanzen nutzbar zu machen.