Nach 45 Versicherungsjahren Weniger als 1.200 Euro Rente für jeden Fünften
Mehr als eine Million Menschen in Deutschland erhalten eine Rente von weniger als 1.200 Euro. Die Durchschnittsrente in Österreich liegt da deutlich höher. Kann das Land als Vorbild dienen?
Rund jede und jeder Fünfte mit mindestens 45 Versicherungsjahren erhält in Deutschland eine Rente von weniger als 1.200 Euro. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von Sahra Wagenknecht, Chefin der nach ihr benannten Bundestagsgruppe BSW, hervor, die der Nachrichtenagentur dpa vorliegt.
Ende vergangenen Jahres betrug die monatliche Rentenzahlung bei rund 1,08 Millionen von insgesamt 5,24 Millionen Altersrenten mit mindestens 45 Versicherungsjahren weniger als 1.200 Euro.
Ostdeutsche öfter betroffen
In den ostdeutschen Ländern liegen die Anteile der besonders lange Versicherten mit kleiner Rente sogar höher als im Westen. So beziehen in Brandenburg rund 71.000 Menschen eine Rente nach 45 Jahren von unter 1.200 Euro, 212.000 dieser besonders lange versicherten Rentnerinnen und Rentner liegen darüber.
In Sachsen liegt das Verhältnis bei 145.000 zu 363.000, in Thüringen sind es 74.000 mit niedrigerer und 189.000 mit höherer Rente.
Schlusslicht Thüringen
Auch nach der Durchschnittsrente nach mindestens 45 Versicherungsjahren fragte Wagenknecht - die Antwort: bundesweit 1.604 Euro. Im Westen sind es Stand Dezember 2023 1.663 Euro, im Osten 1.471 Euro. Angeführt von Hamburg mit 1.721 und Nordrhein-Westfalen mit 1.709 Euro liegen alle westdeutschen Länder sowie Berlin über 1.600 Euro.
Darunter liegen dagegen Brandenburg (1.500 Euro), Sachsen (1.458), Mecklenburg-Vorpommern (1.455), Sachsen-Anhalt (1.452 Euro) und als Schlusslicht Thüringen (1.437 Euro) - die ostdeutschen Flächenländer.
Allerdings hatte Wagenknecht nur nach den Renten nach mindestens 45 Jahren gefragt. Anders sieht es bei den Durchschnittsrenten aus: Sie sind im Osten höher als im Westen - denn viele haben hier länger gearbeitet, vor allem Frauen.
"Politischer Skandal"
"1.604 Euro Durchschnittsrente nach mindestens 45 Arbeitsjahren - dieser Wert zeigt, wie leistungsschwach die deutsche Rentenversicherung ist", sagte Wagenknecht der dpa. "Dass jeder fünfte Rentner nach 45 Arbeitsjahren sogar weniger als 1.200 Euro Rente bekommt, ist ein politischer Skandal."
Der anstehende Bundestagswahlkampf werde nach ihrer Erwartung auch eine Volksabstimmung über die gesetzliche Rente, so die frühere Linksfraktionschefin. "Die Deutschen sollten sich derart niedrige Renten, die dann auch noch hoch besteuert werden, nicht länger bieten lassen."
Warum sind die Renten niedrig?
Niedrige Renten haben mehrere Ursachen. Zum einen beziehen auch viele Selbstständige, Beamte oder Hausfrauen eine gesetzliche Altersrente, weil sie irgendwann in ihrem Leben mindestens fünf Jahre lang Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt haben, wie das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung erläutert. Fünf Jahre sind die Mindestdauer für eine Rente. Die daraus folgenden Bezüge bleiben gering.
Rentenmindernd bei vielen westdeutschen Frauen wirken zudem längere Arbeitspausen, mehr Teilzeit und niedrigere Löhne. Das Bundesarbeitsministerium betont in seiner Antwort an Wagenknecht zudem, aus der Rentenhöhe könne nicht auf die Höhe des Einkommens insgesamt geschlossen werden. Bei vielen Seniorinnen und Senioren kommen weitere Einkommen dazu. Das Ministerium verwies ferner auf den Haushaltskontext - also Fälle von meist Partnerinnen mit kleiner Rente, aber auskömmlicher Gesamtsituation.
Österreich als Vorbild?
Wagenknecht fordert, Deutschland möge sich ein Beispiel an einem Nachbarland nehmen: Österreich. Dort liege die Durchschnittsrente für langjährig Versicherte 800 Euro höher. "Was dort geht, muss auch bei uns möglich sein", sagte Wagenknecht. "Wir brauchen höhere Renten nach dem Vorbild Österreichs und eine Rentensteuerbremse." Im Vergleich zum EU-Schnitt sei das Rentenniveau in Deutschland rund zehn Prozentpunkte zu niedrig.
Was fällt beim Rentenvergleich mit Österreich auf? Tatsächlich spürbar frühere und höhere Renten. Als Hauptgrund gilt eine Rentenreform vor rund 20 Jahren: Fast alle Erwerbstätigen zahlen im Nachbarland in die gesetzliche Rentenkasse ein, auch die Staatsbeschäftigten. Sowohl der Steuerzuschuss für die Rente als auch die Beitragssätze sind noch höher als in Deutschland, und zwar deutlich.
Der Vergleich hinkt
Eine Rente bekommt man in Österreich auch erst nach 15 Jahren. Auch deshalb sind die Durchschnittsrenten höher. Der Beitragssatz ist in Österreich höher als in Deutschland. Der Arbeitgeber zahlt dabei mehr als der Arbeitnehmer, die Aufteilung ist nicht paritätisch.
Die Deutsche Rentenversicherung schrieb im vergangenen November zu einem Vergleich der deutschen mit der österreichischen Rente, dass in Deutschland auch die aus nur wenigen oder geringen Einzahlungen resultierenden "Minirenten" - zum Beispiel von Beamten, Hausfrauen oder Selbstständigen, die nur wenige Jahre versichert waren und deshalb niedrige gesetzliche Renten beziehen - den statistischen Schnitt senken. "Ein auf einzelne Kennziffern beschränkter Vergleich, etwa wonach die Durchschnittsrente in Österreich mehrere Hundert Euro höher sei als in Deutschland, ist daher nur bedingt aussagekräftig", hieß es dazu weiter.
Die Nachrichtenagentur dpa hat ihre Angaben korrigiert. Die korrekte Anzahl der Altersrenten nach 45 Versicherungsjahren beträgt 5,24 Millionen und nicht 5,4.
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen