Leerer Flur der JVA Frankenthal

Häftlinge Mehr Geld, aber keine Rente?

Stand: 25.06.2024 08:47 Uhr

Die Bundesländer müssen nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Gefängnisarbeit reformieren. Erste konkrete Vorschläge sorgen für Kritik. Doch die Zeit drängt.

Von Philip Raillon, ARD-Rechtsredaktion

Fünf Tage die Woche geht Tobias von seiner Zelle in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Frankenthal zur Arbeit, einen Haftblock weiter. Der 36-Jährige ist zu fast fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden, unter anderem wegen Betruges. Nun arbeitet er in der JVA-eigenen Druckerei. "Ich kann so den Haftalltag etwas auflockern", sagt er. Ein Haftjob wie dieser ist für die meisten Häftlinge in Deutschland Pflicht.

Dafür zahlt der Staat Tobias Geld, eine Art Lohn. Der liegt derzeit im Schnitt bei rund 15 Euro - am Tag. Arbeit und Bezahlung sollen der Resozialisierung dienen, sagt die Justiz. Sie will Gefangene so auf das Leben draußen vorbereiten, damit sie dort nicht wieder Straftaten begehen.

Doch das funktioniert so nicht, urteilte im vergangenen Juni das Bundesverfassungsgericht. Die Karlsruher Richterinnen und Richter erklärten - konkret im Fall von Bayern und Nordrhein-Westfalen - die Regelungen zur Häftlingsarbeit für verfassungswidrig. Sie sei derzeit nicht zur Resozialisierung geeignet und verletze die Grundrechte der beiden Kläger, so das Gericht.

Nötig sei ein Konzept, nach dem Arbeit eine angemessene Anerkennung findet. Das Gericht setzte Bayern und NRW eine Frist für eine Reform. Sie läuft noch bis Sommer 2025.

Alle Bundesländer planen Reformen

Da aber die Regelungen in allen Bundesländern ähnlich sind, wollen alle 16 Landesregierungen die Häftlingsarbeit neu aufstellen. Dafür haben sie in einer Arbeitsgruppe Ideen gesammelt. In Nordrhein-Westfalen wurde das neue Konzept kürzlich in einen Gesetzentwurf gegossen und veröffentlicht. Wann die anderen Länder folgen, ist unklar.

Der nordrhein-westfälische Entwurf zeigt aber die Richtung aller Bundesländer. Es soll drei zentrale Änderungen geben: eine Anhebung des Lohns, der Erlass der Kosten aus dem Strafverfahren - und Häftlinge können die Haftzeit durch die Arbeit stärker verkürzen.

Künftig zehn Euro mehr am Tag

Statt wie bislang neun Prozent des deutschen Durchschnittseinkommens sollen es künftig 15 Prozent sein. Für Häftlinge wie Tobias wären das aktuell im Schnitt zehn Euro mehr am Tag, also ein Tageslohn von etwa 25 Euro. Der soll auch bei Ausbildungs- oder Therapiemaßnahmen gezahlt werden und orientiert sich am Mindestlohn für Auszubildende.

"Für uns war wesentlich, einen Konsens zwischen den Ländern herzustellen", sagt der nordrhein-westfälische Justizminister Benjamin Limbach. Außerdem habe man ein Gesamtpaket schnüren wollen, das den Häftlingslohn und die Ausgaben der Länder berücksichtigt, so der Grünen-Politiker. Im Schnitt kostet jeder Häftling den Staat über 200 Euro am Tag, etwa für medizinische Versorgung, Verpflegung und Unterbringung.

Doch die Bausteine sorgen für Kritik. "Die Anhebung bringt gar nichts", sagt Manuel Matzke. Er ist Bundessprecher der Gefangenengewerkschaft "GG/BO", die sich für Häftlinge einsetzt. Die GG/BO fordert eine Anhebung um weitere fünf Prozent oder gar den gesetzlichen Mindestlohn.

Auch die Kriminologin Kirstin Drenkhahn von der Freien Universität Berlin hält es für sinnvoller, den Häftlingen mehr Lohn zu zahlen, dann aber die Kosten für die Haft abzuziehen. "Das wäre aus der Resozialisierungsperspektive besser", sagt die Professorin. So könnten Häftlinge selbst sehen und dabei lernen, wie teuer die Haft ist.

NRW will teils auf Verfahrenskosten verzichten

Häftlingen sollen künftig auch die Kosten des Strafverfahrens erlassen werden können. Bislang fordert der Staat nämlich die Ausgaben für Gericht und Pflichtverteidiger zurück - häufig eine der Ursachen für Schulden im Knast. Auch die anderen Bundesländer halten einen solchen Erlass für möglich.

"Im Entwurf stehen aber keine Bedingungen", sagt GG/BO-Sprecher Manuel Matzke. Und für viele Häftlinge habe der Erlass kaum Auswirkungen, da viele in eine Privatinsolvenz gerieten und dann schon heute die Verfahrenskosten erlassen würden.

Außerdem sollen nach dem Entwurf Häftlinge durch Knastarbeit früher freikommen können. Das geht auch schon jetzt. Allerdings sollen sie künftig mit einem Jahr Arbeit die Haftzeit um zwölf statt aktuell acht Tage verkürzen können.

Von der Regel profitieren aber nicht alle Gefangenen, so Kriminologin Drenkhahn. Manchmal ordnen Gerichte nach zwei Dritteln der Haftzeit eine sofortige Entlassung an. Die Häftlinge kommen dann zwar direkt frei, die mit der Arbeit angesparten Tage sind dafür aber egal.

Häftlingsorganisation: "Eine vertane Chance"

Die größte Kritik gibt es beim Thema Rente, denn die soll es weiterhin nicht geben. Für Häftling Tobias aus Frankenthal bedeutet das: Wenn er aus dem Gefängnis kommt, wird er dort zwar über vier Jahre gearbeitet haben, aber für den Knastjob keine Rentenpunkte bekommen.

"Das ist eine vertane Chance", sagt Christina Müller-Ehlers, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe (BAG-S). Seit Jahren fordern BAG-S und andere Organisationen eine Eingliederung in die Rentenversicherung.

Auch das Bundesarbeitsministerium geht davon aus, dass das ein Anreiz sein könnte, um auch nach der Entlassung weiterzuarbeiten. Das geht aus einer aktuellen Antwort auf eine Regierungsanfrage der Linken-Gruppe im Bundestag hervor. Sie liegt der ARD-Rechtsredaktion vor.

Ohne Rente drohe vielen Häftlingen Altersarmut. "Wenn ich dann auf Grundsicherung angewiesen bin, ist das wie eine zweite Strafe", sagt Kriminologin Drenkhahn.

Rentenbeschluss schon in den 1970er-Jahren

Die Justizminister der Länder sprachen sich schon vor fünf Jahren für eine Einbeziehung in die Rente aus, der Bundestag beschloss es sogar per Gesetz. Das war vor fast 50 Jahren, 1975. Passiert ist: nichts. Denn niemand will die Kosten dafür tragen. Das wäre Aufgabe der Länder, die für den Strafvollzug verantwortlich sind, heißt es dazu von der Bundesregierung.

Jura-Professorin Drenkhahn teilt diese Einschätzung. Auch sie meint, dass die Länder zahlen müssten.

Nordrhein-Westfalens Justizminister Limbach sieht die Verantwortung für die fehlende Rente beim Bund. Man stehe einer Diskussion zum Thema offen gegenüber. "Es wäre ein großer Gewinn, wenn der Bund mit uns Ländern reden würde und nicht über die Länder hinweg", so der Minister.

Häftling Tobias nützt das Gerangel um die Zuständigkeit nichts. Er will stattdessen versuchen, nach der Haft umso mehr fürs Alter vorzusorgen. Vielen Häftlingen gelingt das aber nicht. Sie rutschen stattdessen in die Altersarmut oder werden rückfällig.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete WDR 5 am 20. Juni 2023 um 18:00 Uhr.