Urteil des Verfassungsgerichts Häftlinge sollen mehr Lohn bekommen
Dass Häftlinge arbeiten müssen, ist vielerorts gesetzlich vorgeschrieben. Im Durchschnitt erhalten sie aber nur rund zwei Euro pro Stunde. Zwei Strafgefangene klagten dagegen - zu Recht, urteilte nun das Bundesverfassungsgericht.
Geklagt hatten zwei Häftlinge aus Bayern und Nordrhein-Westfalen, weil sie den Lohn für ihre Arbeit für zu niedrig halten. In den meisten Bundesländern ist gesetzlich vorgeschrieben, dass Strafgefangene arbeiten müssen. Dies soll der Resozialisierung dienen und ist nach dem Grundgesetz ausdrücklich erlaubt. Nur in Sachsen, Brandenburg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland können die Inhaftierten selbst entscheiden, ob sie arbeiten wollen.
Die Vergütung ist allerdings bescheiden: Im Schnitt verdiente ein Strafgefangener im Jahr 2020 nach Angaben des Gerichts - je nach Tätigkeit - zwischen 1,37 Euro und maximal 2,30 Euro pro Stunde. Das Bundesverfassungsgericht hat nun entschieden: Die derzeitige Vergütung in Nordrhein-Westfalen und Bayern ist verfassungswidrig.
Gründe wie Wertschätzung oder Unterhalt
Die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats sagen: Ein Gefangener muss das Gefühl haben, dass seine Arbeit wertgeschätzt wird und Anerkennung findet - gerade mit Blick auf eine spätere Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Dies sei bei den aktuellen Regelungen in Bayern und Nordrhein-Westfalen aufgrund der niedrigen Löhne nicht gewährleistet.
Die niedrigen Löhne seien aber noch aus einem anderen Grund inakzeptabel: "Die Gefangenen sollen einerseits dazu angehalten werden, den durch ihre Straftat verursachten Schaden auszugleichen. Zudem sollen sie für Unterhaltsberechtigte sorgen und mit der Tilgung von Schulden beginnen", so die Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Doris König.
Bei den derzeitigen Stundenlöhnen sei dies nicht möglich, sagte König. "Angesichts der geringen monetären Vergütung (…) erschließt sich nicht, wie die gesetzlich festgelegten Zwecke von den Gefangenen tatsächlich erreicht werden sollen, ohne dass ihnen mehr Lohn zur Verfügung stünde." Das bedeutet: In Bayern und Nordrhein-Westfalen müssen die Regelungen geändert und die Vergütung der Gefangenen verbessert werden. Da es auch in anderen Bundesländern vergleichbare Vergütungsregelungen gibt, ist das Urteil bundesweit von Bedeutung.
Gericht gibt Spielraum bei Vergütung
Wie stark die Stundenlöhne gegebenenfalls angehoben werden müssen, dazu macht das Bundesverfassungsgericht keine Vorgaben. Neben mehr Geld ist es nach der Entscheidung grundsätzlich auch denkbar, dass Gefangene andere Formen der Vergütung erhalten, zum Beispiel indem sie früher aus der Haft entlassen werden, wenn sie regelmäßig arbeiten. Bei der Vergütung und deren Ausgestaltung habe der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum, so das Gericht. Nach der heutigen Entscheidung dürfte es allerdings schwer vorstellbar sein, dass es bei den aktuellen Stundensätzen bleibt.
Manuel Matzke von der Gefangenengewerkschaft GG/BO, der sich vor dem Verfassungsgericht für höhere Löhne stark gemacht hat, sieht nun die Bundesländer in der Pflicht, die Stundensätze anzuheben. "Wir hoffen, dass die Vergütungssätze dann wirklich so sind, dass sich ehrliche Arbeit für Gefangene lohnt, dass ihnen vermittelt wird, dass sich das auszahlt", sagt er. "Ich hoffe, dass wir einen guten Sprung nach oben machen: Fünf, sechs oder sieben Euro pro Stunde wäre schon die Summe, die wir uns vorstellen."
NRW will "Entscheidung sorgfältig auswerten"
Caroline Ströttchen vom Justizministerium Nordrhein-Westfalen kündigte an, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sorgfältig zu prüfen: "Wir werden die Entscheidung sorgfältig auswerten und im Rahmen der gesetzten Frist unserem Gesetzgeber einen Vorschlag machen, wie nach den Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts die Regelungen im nordrhein-westfälischen Justizvollzugsgesetz weiterzuentwickeln sind."
In seiner Entscheidung rügte das Bundesverfassungsgericht außerdem, dass die Wirkung der Gefangenenarbeit in Bayern und Nordrhein-Westfalen bisher nicht wissenschaftlich begleitet und untersucht wurde. Auch in diesem Punkt werden die Bundesländer nachbessern müssen. Für die Neuregelungen haben sie bis Mitte 2025 Zeit.
Aktenzeichen: 2 BvR 166/186 und 2 BvR 1683/17