Analyse zum Machtkampf um EZB-Spitzenposten Spanien blockiert die Idealbesetzung
Einer der sechs Posten im EZB-Direktorium ist seit Mai vakant. Er wird es auch noch einige Zeit bleiben, denn Spanien blockiert die Berufung des luxemburgischen Notenbankchefs Yves Mersch. An dessen Qualifikation zweifelt niemand. Tatsächlich spielen bei der Personalie ganz andere Dinge eine Rolle.
Eine Analyse von Rolf-Dieter Krause, ARD-Studio Brüssel
Es war am Montag wenige Minuten vor zwölf Uhr mittags - da zog die spanische Regierung die Notbremse: Einspruch gegen das schriftliche Verfahren, mit dem der Luxemburger Yves Mersch nun doch noch in das Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) gewählt werden sollte. Im schriftlichen Verfahren sind solche Entscheidungen jedoch nur einstimmig möglich.
Politik der EZB endgültig von den Südeuropäern bestimmt?
Ein beispielloser Machtkampf um die EZB geht damit in eine weitere Runde, und in der geht es nur vordergründig um die Person des Luxemburgers. Es geht darum, ob die Politik der EZB endgültig von den Südeuropäern bestimmt wird, oder ob die geldpolitischen Vorstellungen aus den traditionell eher an Stabilität orientierten Ländern des Nordens noch eine Chance haben.
Sechs Mitglieder hat das Direktorium der EZB, einer der Posten ist frei. Der Präsident ist Italiener, der Vizepräsident Portugiese, zwei weitere Mitglieder kommen aus Frankreich und Belgien - allesamt Staaten mit hoher Verschuldung, verloren gegangener Wettbewerbsfähigkeit und Vorstellungen von Geldpolitik, die die Stabilität des Geldwertes nicht unbedingt als höchstes Ziel einer Zentralbank einstufen. Nur ein Mitglied lässt sich da nicht einreihen: der Deutsche Jörg Asmussen.
Der Luxemburger Mersch hätte dieses Ungleichgewicht nicht völlig ausgleichen können. Aber seine Vertrautheit mit den geldpolitischen Traditionen sowohl der Franzosen als auch der Deutschen hätte ihm eine wichtige Rolle beim Überbrücken dieser Gegensätze gegeben. Diese Vertrautheit reicht Jahrzehnte zurück: Schon an den Verhandlungen über den Maastrichter Vertrag war Mersch als persönlicher Beauftragter des damaligen luxemburgischen Finanzminister Jean-Claude Juncker intensiv beteiligt.
Ein nicht behebbarer Mangel: Mersch ist keine Frau
Eine Idealbesetzung also, möchte man meinen. Aber leider hat Mersch einen nicht behebbaren Mangel: Er ist keine Frau. Das jedenfalls war das Argument für eine Mehrheit des Europäischen Parlaments, den Luxemburger abzulehnen. Ein Jahr zuvor, als Direktoriumsmitglieder aus Deutschland und Frankreich zu benennen waren, hatten die Parlamentarier zwar gemurrt, dass ihnen wieder nur Männer präsentiert wurden. Aber sie trauten sich nicht, Kandidaten aus diesen beiden großen Ländern durchfallen zu lassen. Erst jetzt, bei einem Kandidaten aus einem kleinen Land, kämpften sie mit Heldenmut für die Gleichberechtigung. Die Frage, ob in der europäischen Geldpolitik eher Frauen und Männer unterschiedlich vorgehen, oder eher Nord- und Südeuropäer - sie spielte keine Rolle.
Obwohl das Parlament hier formal eigentlich nichts zu sagen hat, entfaltet diese Abstimmung seither politische Wirkung. Inzwischen versucht Spanien, eine weibliche Kandidatin zu präsentieren und so die Wahl von Mersch zu verhindern. Das schriftliche Verfahren hat es jetzt erst einmal gestoppt.
Die Frage ist, ob Spanien und mit ihm der ganze Süden auch Mersch stoppen wollen. Denn wenn sich die Staats- und Regierungschefs gegenübersitzen, dann entscheiden sie diese Personalie mit qualifizierter Mehrheit - und nicht mehr einstimmig. Die nächste Gelegenheit dazu besteht noch in diesem Monat. Aber Ratspräsident Hermann van Rompuy traut sich bisher nicht, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen.
Die EU-Staaten können Beschlüsse im schriftlichen Verfahren fällen. Dazu sind dann keine Minister- oder Gipfeltreffen nötig. Beschlüsse gelten als gebilligt, wenn es binnen einer gewissen Frist aus keinem EU-Land einen Widerspruch gibt. Den hat Spanien im Falle Merschs nun eingelegt. Ihre Regierung habe lediglich gegen das schriftliche Abstimmungsverfahren protestieren wollen, sagte eine Sprecherin der spanischen EU-Botschaft. Mit der Person Mersch habe die Blockadehaltung nichts zu tun.
Die Personalie muss nun von den Staats- und Regierungschefs der EU höchstpersönlich entschieden werden - allerdings nicht mehr einstimmig, sondern nur noch mit der so genannten qualifizierten Mehrheit. Dazu werden die EU-Staaten nach ihrer Einwohnerzahl gewichtet: Kleine Staaten (wie Malta) erhalten mindestens drei Stimmen, große (wie Deutschland oder Frankreich) höchstens 29. Die qualifizierte Mehrheit ist bei 255 von 345 Stimmen erreicht, die von mindestens der Hälfte der EU-Staaten stammen müssen. Ein einzelner Staat kann hier also keinen Beschluss blockieren.