Historische Krise der Bauwirtschaft "Wer heute baut, geht bankrott"
Der Zentrale Immobilien Ausschuss warnt vor einem "dramatischen Einbruch" im Wohnungsbau. Die sogenannten Immobilienweisen erwarten, dass bereits in drei Jahren 830.000 Wohnungen in Deutschland fehlen werden.
Es sind düstere Zeiten für alle, die bauen wollen oder einfach nur eine Wohnung suchen: In diesem Jahr werden in Deutschland rund 600.000 Wohnungen fehlen, rechnet der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) in seinem neuen Frühjahrsgutachten vor. Bis zum kommenden Jahr werde diese Zahl auf 720.000 steigen, bis 2027 sogar auf 830.000. Das Land drohe "sehenden Auges auf ein soziales Debakel" zuzusteuern, sagte ZIA-Präsident Andreas Mattner.
Bauen laut ZIA "faktisch unmöglich" geworden
Die sogenannten Immobilienweisen warnen vor einem "dramatischen Einbruch bei Wohn-Fertigstellungen" auf voraussichtlich 150.000 pro Jahr. Die von der Bundesregierung angestrebte Marke von 400.000 rückt damit in weite Ferne. 2023 wurde diese Marke Schätzungen zufolge mit etwa 270.000 bereits deutlich verfehlt.
Um die Branche, die 19 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beisteuere, stehe es "so schlecht und kritisch wie nie in der Nachkriegsgeschichte", sagte Mattner in Berlin. Bauen sei heute "faktisch unmöglich" geworden, Deutschland auf diesem Gebiet nicht mehr wettbewerbsfähig. Neubauprojekte kämen erst bei einer Durchschnittsmiete von 21 Euro auf eine Schwarze Null. "Wer heute baut, geht bankrott", so der ZIA-Präsident.
Stornierungswelle im Wohnungsbau
Was sind die Gründe für diese historische Krise am Bau? Der ZIA verweist vor allem auf die gestiegenen Baukosten, zu hohe staatliche Abgaben und das hohe Zinsniveau - viele Bauvorhaben seien einfach "nicht mehr rentabel". So hätten im vergangenen Jahr 20,7 Prozent der Unternehmen von stornierten Projekten berichtet - das sei ein neuer Höchststand.
Diese Stornierungswelle beim Wohnungsbau könne sich "weiter fortsetzen, da die Rahmenbedingungen für Bauinvestitionen vorerst ungünstig bleiben dürften", warnte der frühere Wirtschaftsweise Lars Feld, im ZIA-Frühjahrsgutachten zuständig für das Kapitel zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Sinkende Bauzinsen - mit KfW-Geld?
Immerhin besteht Ökonomen zufolge die Aussicht, dass die Europäische Zentralbank (EZB) angesichts der nachlassenden Inflation in diesem Jahr ihren Leitzins mehrfach senken wird. Damit dürften auch die Bauzinsen nachgeben, was die Finanzierung günstiger macht. Investoren am Finanzmarkt hatten ihre Spekulationen auf eine rasche erste Zinssenkung der EZB zuletzt aber wieder zurückgenommen.
Der Spitzenverband der Immobilienwirtschaft sieht die Politik in der Pflicht, fordert von Bund und Ländern schnelle Gegenmaßnahmen. So schlägt der ZIA unter anderem vor, mit staatlichem Geld die Bauzinsen zu senken.
Den Experten schwebt ein KfW-Förderprogramm vor, das die Marktzinsen auf zwei Prozent reduziert - das brächte bei einer Fördersumme von drei Milliarden Euro 100.000 zusätzliche Wohnungen. "Neun Milliarden Euro brächten mit 300.000 Extra-Wohnungen die wichtige Wende", so der ZIA. Durch Umsatzsteuer und ersparte Kosten für Arbeitslosigkeit kämen für den Staat gleichzeitig 3,3 Milliarden Euro "wieder rein".
Degressive Abschreibung für Wohnungsbau gefordert
Auch einen vorübergehender Verzicht auf die Grunderwerbsteuer hält die Branche für sinnvoll. Die von Bundesregierung und Bundestag gewünschten steuerlichen Anreize stellt der Verband als unverzichtbar dar. Um die Bauwirtschaft zu stabilisieren, plant die Bundesregierung eine degressive Abschreibung für den Wohnungsbau. Für sechs Jahre sollen demnach fünf Prozent der Anschaffungs- und Herstellungskosten steuerlich abgeschrieben werden können.
Dies ist Teil des sogenannten Wachstumschancengesetzes, das aber im Bundesrat auf Widerstand stößt. ZIA-Chef Mattner appellierte an die Länder, dem Gesetz morgen im Vermittlungsausschuss zuzustimmen - das Gesetz dürfe "nicht mit anderen sachfremden Fragen verknüpft werden".
Lage beim deutschen Wohnungsbau besonders prekär
Dass in Deutschland die Lage beim Wohnungsbau besonders dramatisch ist, zeigen heute auch aktuelle Prognosen der Forschergruppe Euroconstruct, der auch das Münchner ifo-Institut angehört. Demnach wird in Europa die Zahl der Wohnungsfertigstellungen bis 2026 um 13 Prozent gegenüber 2023 zurückgehen. Für Deutschland ist ein Rückgang von 35 Prozent zu erwarten.
"Vor allem wegen der stark gestiegenen Bau- und Finanzierungskosten ist der Wohnungsneubau in Deutschland oftmals nicht mehr möglich. Die Politik hat die Rahmenbedingungen bislang nicht entscheidend verbessert", kritisierte ifo-Bauexperte Ludwig Dorffmeister.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kam unterdessen jüngst zu dem Ergebnis, dass der Wohnungsbau in Deutschland im laufenden Jahr um 5,4 Prozent schrumpfen wird. 2024 dürften den Studienautoren zufolge nur etwa 265.000 neue Wohnungen gebaut werden.