Inflation und gestiegene Zinsen Rekord-Stornierungswelle im Wohnungsbau
Die Probleme beim Wohnungsbau strahlen immer mehr auf die deutsche Wirtschaft ab. Jedes fünfte Unternehmen bekommt die Folgen stornierter Projekte zu spüren. Die Stimmung der Branche ist am Boden.
Die Stimmung im deutschen Wohnungsbau ist so schlecht wie noch nie seit mindestens 32 Jahren. Das vom ifo-Institut erhobene Geschäftsklima in der Branche fiel im September auf den tiefsten Stand seit Beginn der Erhebung im Jahr 1991. "Viele Projekte sind wegen der höheren Zinsen und gestiegenen Baukosten nicht mehr wirtschaftlich umsetzbar", sagte ifo-Experte Klaus Wohlrabe. "Die Wohnungen, die heute nicht begonnen werden, werden uns in zwei Jahren auf dem Mietmarkt fehlen."
Dabei entwickelt sich der Wohnungsbau immer mehr zum Problem für die gesamte deutsche Wirtschaft. Im September waren 21,4 Prozent der Firmen von stornierten Projekten im Wohnungsbau betroffen - so viele, wie seit elf Jahren nicht mehr. Auch die Klagen über einen Auftragsmangel in der Branche werden immer lauter: Derzeit zeigen sich 46,6 Prozent der Firmen davon betroffen. "Das ist eine Verdreifachung innerhalb der letzten zwölf Monate", sagte Wohlrabe. Die Entwicklung bezeichnete er als "dramatisch".
"Schockstarre" und "neue Realitäten"
Erst im kommenden Jahr rechnen Experten mit einer Erholung. Derzeit befinde sich der Markt in einer Konsolidierungsphase, so der Deutsche Anlage-Immobilien Verbund (DAVE). Das Verkaufsvolumen für Wohn- und Gewerbeobjekte befinde sich auf dem Stand von 2012. "Es ist aber auch festzustellen, dass der Markt nach der Schockstarre infolge der Multikrisen mit Ukrainekrieg, Zinswende, wirtschaftlicher Stagnation, hoher Inflation und gestiegenen Baukosten zwischenzeitlich in eine Findungsphase eingetreten ist", erklärte DAVE-Geschäftsführer Guido Stracke.
Banken, Investoren und Objektverkäufer stellten sich auf neue Realitäten ein. Die Inflation habe sich verlangsamt und manche Kosten - etwa für Baumaterialien - seien wieder auf Normalniveau gesunken. "Diese Entwicklungen tragen dazu bei, dass Immobilieninvestitionen wieder planbarer sind." Die ifo-Umfrage wurde noch vor dem Wohnungsbaugipfel Ende September erhoben, bei dem Bundesregierung und Vertreter der Baubranche zusammenkamen. Dabei wurden 14 Maßnahmen beschlossen, darunter eine großzügigere Ausgestaltung der Regeln für Abschreibungen.
Auf die Zinsen kommt es an
Zumindest spielt Materialknappheit in der Bauwirtschaft keine nennenswerte Rolle mehr. Dennoch blieben die Rahmenbedingungen für den Neubau mehr als schwierig, heißt es. Entsprechend schlecht sei die Stimmung auch in den Unternehmen: Das ifo-Geschäftsklima im Wohnungsbau notiere mittlerweile auf dem tiefsten Stand seit Beginn der Erhebung 1991, sagte Wohlrabe. "Kurzfristig ist keine Besserung in Sicht und es bleibt abzuwarten, ob die Talsohle bereits durchschritten ist", so die ifo-Forscher.
Mittelfristig werde vor allem entscheidend sein, wie sich die Leitzinsen entwickeln. Die kriselnde Baubranche belastet mittlerweile auch die Konjunktur. Die Bauproduktion und damit auch die Bauinvestitionen dürften in den kommenden Monaten deutlich zurückgehen, erwartet Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen. Ein Rückgang von insgesamt zehn Prozent erscheine dabei realistisch. "Damit dürfte die Krise am Bau dazu beitragen, dass die Wirtschaftsleistung in Deutschland im Winterhalbjahr weiter schrumpfen wird", sagte Solveen.