Erstmals seit 15 Jahren Bauindustrie rechnet mit Jobabbau
Die Baukrise wirkt sich auch auf den Jobmarkt aus: 10.000 Menschen könnten in diesem Jahr ihre Arbeit verlieren, befürchtet die Bauindustrie. Von einer Stütze der deutschen Konjunktur hat sich die Branche zum Sorgenkind entwickelt.
Deutschland steckt in einer Bau- und Wohnungskrise. Immer weniger Wohnungen werden errichtet, das belastet den Wohnungsmarkt - und die Bauindustrie. Erstmals seit der Finanzkrise vor 15 Jahren erwartet die deutsche Bauindustrie 2024 einen Stellenabbau in der Branche.
"Wir rechnen derzeit damit, dass in den kommenden Monaten etwa 10.000 Arbeitsplätze abgebaut werden müssen", sagte Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbands HDB, der Nachrichtenagentur dpa.
Einbruch der Erlöse im Wohnungsbau um 12 Prozent
Grund für den befürchteten Jobabbau sei die schwache Konjunktur am Bau. Während man im Wirtschaftsbau und im öffentlichen Bau 2023 noch mit einem blauen Auge davon gekommen sei und nur leicht sinkende Umsätze verzeichnet habe, seien die Erlöse im Wohnungsbau um 12 Prozent eingebrochen, sagte Müller. "Wir gehen davon aus, dass der Umsatz im Wohnungsbau auch 2024 um weitere 12 Prozent fällt", sagte Müller.
Das treffe die Branche. Einer Mitgliederumfrage des HDB zufolge erwarten 55 Prozent der 450 befragten Firmen 2024 eine Verschlechterung der Ertragslage. 60 Prozent wollten die Belegschaften stabil halten, 12 Prozent wollen Stellen ausbauen und fast ein Drittel (29 Prozent) will Jobs abbauen.
Von der Stütze zum Sorgenkind
Das Bauhauptgewerbe war laut HDB im Jahr 2023 Arbeitgeber für rund 927.000 Menschen. Beim Abbau von rund 10.000 Arbeitsplätzen geht es also lediglich um rund ein Prozent der Jobs in der Branche. Zugleich wäre es der erste Beschäftigungsverlust am Bau seit 2008 während der globalen Finanzkrise, als gut 700.000 Menschen in der Branche tätig waren.
Danach stieg die Beschäftigung im Immobilienboom stetig um insgesamt mehr als 200.000 Menschen bis 2022 an. Im vergangenen Jahr stagnierte sie laut HDB. Jahrelang war die Baubranche eine Stütze der deutschen Konjunktur, nun ist sie zum Sorgenkind geworden.
Die Aussichten seien besorgniserregend, da dem Bau allein wegen des demografischen Wandels 2030 rund 120.000 Fachleute fehlen dürften, sagte HDB-Hauptgeschäftsführer Müller. "Egal was kommt, wir müssen einstellen, um das Fachkräfteniveau annähernd zu halten - trotz Krise." Der Bau werde so dringend gebraucht wie nie. "Vor allem wenn der Wohnungsbaumotor wieder anspringt, fehlt uns dann jede einzelne Fachkraft, die uns jetzt droht, verloren zu gehen."
Krise wegen hoher Zinsen und steigender Materialkosten
Schon im Dezember hatte sich der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) pessimistisch gezeigt. Der Verband, der mittelständische Baufirmen vertritt, rechnete damals mit einem deutlichen Verlust von rund 30.000 Beschäftigten in diesem Jahr. Während in den Ausbaubereichen und im Tiefbau weiter Fachkräfte gesucht würden, seien die Kapazitäten im Wohnungsbau nicht ausgelastet.
Angesichts gestiegener Zinsen und teurer Materialien stockt der Wohnungsbau in Deutschland. Das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung erwartet, dass 2024 nur 225.000 Wohnungen fertiggestellt werden, nach geschätzt 270.000 im vergangenen Jahr.
Auch die DZ Bank sieht einen Abwärtstrend: Bis 2025 könne die Zahl der jährlichen Fertigstellungen auf 200.000 Wohnungen fallen. Das wäre nur halb so viel, wie sich die Ampelkoalition vorgenommen hatte. Eigentlich sollten laut Bundesregierung jährlich 400.000 neue Wohnungen gebaut werden. Gerade in Städten ist der Wohnungsmangel groß, was die Mieten stark nach oben treibt.
Zahl der Baugenehmigungen weiter rückläufig
Auch die rückläufigen Baugenehmigungen machen die tiefe Krise im Wohnungsbau überdeutlich, sagte Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW. Bis einschließlich November 2023 wurden dem Statistischen Bundesamt zufolge rund 238.500 Genehmigungen für Wohnungen erteilt - ein Rückgang um 25,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Die Genehmigungszahlen gehen seit Monaten mit zweistelligen Raten zurück, besonders bei Ein- und Zweifamilienhäusern, sagte Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe. So wurden 38,6 Prozent weniger Genehmigungen für den Bau von Einfamilienhäusern erteilt und 49,2 Prozent weniger für Zweifamilienhäuser. Bei Mehrfamilienhäusern betrug der Rückgang im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 23,8 Prozent.
"Wohnungsmangel könnte Spaltkeil der Gesellschaft werden"
Zwar sei für das neue Jahr ein leichter Rückgang bei den Baukosten zu erwarten, der sich bereits zum Jahresende 2023 zeigte, erklärte der HDB. Dennoch blieben die Kosten weiter hoch, auch aufgrund behördlicher Auflagen und Vorschriften.
"Wenn die Bundesregierung nicht sofort handelt und die Bedingungen insbesondere für den bezahlbaren Wohnungsbau spürbar verbessert, wird der Wohnungsmangel auf Jahre hin zum Spaltkeil für unsere Gesellschaft, sagte GdW-Präsident Gedaschko. Unter den anvisierten 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr sollten laut Ampelkoalition eigentlich 100.000 Sozialwohnungen sein.
KfW-Programm für günstigeren Wohnraum
Mit einem neuen KfW-Förderprogramm im Umfang von insgesamt zwei Milliarden Euro soll der angespannte Wohnungsmarkt entlastet werden. "Ich freue mich, dass wir zusätzliches Geld bekommen haben", sagte Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) dem "Handelsblatt". Am Donnerstag hatte der Haushaltsausschuss im Bundestag dem Programm grünes Licht erteilt.
"Wir werden die neue KfW-Förderung jetzt so zügig wie möglich auf den Weg bringen, damit das Milliarden-Programm schnell in den Markt kommen kann", so Geywitz. Der Ministerin zufolge stehen für 2024 und 2025 jeweils eine Milliarde Euro zur Verfügung. "Wir wollen ausschließlich Wohnungen des unteren und mittleren Preissegments fördern", betonte die Ministerin.
Baubranche lobt die Förderpläne
Die Bauindustrie begrüßte das neue Förderprogramm. Geywitz habe "den Haushaltsausschuss in den letzten Zügen seiner Beratungen von einem Zinsverbilligungsprogramm für den Wohnungsbau überzeugt - das ist angesichts der prekären Haushaltslage und vor dem Hintergrund der Situation auf dem Mietmarkt ein gutes Signal", erklärte HDB-Geschäftsführer Müller.
Auch Gedaschko vom GdW lobte die Entscheidung als "genau das richtige Signal". Pakleppa vom Zentralverband Deutsches Baugewerbe sprach von einem "kleinen Hoffnungsschimmer". Es gebe aber noch keinen Grund zur Entwarnung, es komme jetzt auf die Ausgestaltung des Programms an.