Deutsche Wachstumskrise Industrie fällt als Jobmotor aus
Die Zahl der Industrie-Beschäftigten hat 2023 leicht zugenommen. Doch weiterhin liegt sie unter dem Vor-Corona-Niveau - und zuletzt zeigte der Trend nach unten. Der DIHK warnt vor der größten Wirtschaftskrise seit 20 Jahren.
Trotz der Auftrags- und Produktionsflaute hat die deutsche Industrie ihre Belegschaft im vergangenen Jahr unter dem Strich aufgestockt. Die Betriebe des Verarbeitenden Gewerbes zählten im Jahresdurchschnitt knapp 5,6 Millionen Beschäftige. Das waren 62.000 oder 1,1 Prozent mehr als 2022, wie das Statistische Bundesamt heute mitteilte. In der Statistik berücksichtigt werden nur Betriebe mit mindestens 50 Mitarbeitern.
Doch zuletzt zeigte der Trend nach unten: Im Dezember sank die Zahl der Beschäftigten um 21.000 oder 0,4 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Das könnte sich mit Blick auf die jüngsten Nachrichten aus der Industrie fortsetzen. So kündigten zuletzt Schwergewichte der Branche der Reihe nach Massenentlassungen an.
So planen etwa der Chemiekonzern BASF, die Autozulieferer Bosch, ZF Friedrichshafen und Continental, Volkswagen sowie Bayer einen Stellenabbau an. Zur Begründung werden vor allem die sich verändernden äußeren Rahmenbedingungen und die sinkende Konkurrenzfähigkeit genannt.
"Schlechte Stimmung verfestigt sich"
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) warnte heute vor der größten Wirtschaftskrise seit über 20 Jahren. In diesem Jahr rechnet die DIHK erneut mit einer schrumpfenden deutschen Wirtschaft. Nach der Befragung von mehr als 27.000 Unternehmen aus allen Branchen und Regionen erwartet der Verband ein Minus von 0,5 Prozent. 2023 ging das Bruttoinlandsprodukt bereits um 0,3 Prozent zurück.
"Die schlechte Stimmung der Unternehmen verfestigt sich", so die DIHK. Träfe die Prognose des Verbands ein, wäre es erst das zweite Mal in der Nachkriegsgeschichte, dass die deutsche Wirtschaft in zwei aufeinanderfolgenden Jahren schrumpfen würde. Nur 2002 und 2003 war dies bisher der Fall.
Die EU-Kommission senkte heute angesichts der Wachstumsschwäche in der größten Volkswirtschaft des Kontinents die Konjunkturprognose für die gesamte Europäische Union. Für Deutschland erwartet sie jetzt nur noch einen leichten Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 0,3 Prozent, für die Europäische Union insgesamt ein Plus von 0,9 Prozent.
Energiepreis-Schock wirkt nach
Der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, Sebastian Dullien, wies darauf hin, dass die Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe derzeit noch spürbar unter dem Vor-Corona-Niveau von 2018/2019 liege. "Die Jahre, in denen die deutsche Industrie Job- und Wachstumsmotor für die deutsche Wirtschaft war, sind vorerst vorbei." Vor allem der Energiepreis-Schock nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wirke weiter fort.
Seit Monaten setzen der exportabhängigen Industrie hohe Zinsen, teure Energie, geopolitische Risiken und eine maue Weltkonjunktur zu. Dadurch fiel etwa die Produktion in der chemischen Industrie im vergangenen Jahr so schwach aus wie seit 1995 nicht mehr. Insgesamt schrumpften die Neuaufträge der Industrie im zurückliegenden Jahr um 5,9 Prozent.
"Im laufenden Jahr ist mit keinem spürbaren Beschäftigungsaufbau im Verarbeitenden Gewerbe zu rechnen", sagte der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Sebastian Dullien. "Vielmehr besteht sogar das Risiko, dass angesichts der anhaltende Produktions- und allgemeinen Konjunkturschwäche Stellen abgebaut werden."
"Herausforderung für alle" in Europa
Nach Einschätzung der EU-Kommission muss sich Deutschland seinen strukturellen Problemen stellen. Auch wenn sich die Konjunkturaussichten 2025 verbessern sollten, dürften diese Probleme nicht ignoriert werden, mahnte EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni.
Die wirtschaftliche Schwäche wirke sich auch auf andere Staaten aus. "Das ist eine Herausforderung für uns alle", sagte der Italiener. Strukturelle Probleme wie die Alterung der Gesellschaft und der Fachkräftemangel träfen auch andere Länder in der Euro-Zone. Doch stelle die starke Exportorientierung Deutschlands eine spezielle Herausforderung dar - zumal angesichts der Versuche, die Abhängigkeit von einzelnen Handelspartnern wie China zu senken.