Eine Fluggastbrücke steht auf dem Vorfeld des Regionalflughafens Kassel.
Analyse

Airport Kassel-Calden Regionalflughafen als teure Fehlinvestition?

Stand: 04.04.2023 15:32 Uhr

Seit zehn Jahren gibt es in Kassel-Calden einen Verkehrsflughafen. Politiker hatten einen blühenden Betrieb vorhergesagt. Doch alle Prognosen wurden kassiert, jedes Jahr fallen Millionenverluste an.

Eine Analyse von Ingo Nathusius, HR

Schon in der Nazizeit gab es in Kassel einen Flugplatz für die örtliche Luftfahrtindustrie - dort wurde der "Fieseler Storch" gebaut. Im Dorf Calden in der Nähe der Stadt eröffnete später ein Flugplatz für Sport- und Geschäftsflieger, bis in den 1990er-Jahren Regionalflughäfen populär wurden. Die hessische Regierung unter Ministerpräsident Roland Koch (CDU) betrieb den Ausbau zum Verkehrsflughafen gegen die Regierung von Nordrhein-Westfalen unter Jürgen Rüttgers (CDU), die auf freie Kapazitäten des naheliegenden Flugplatzes Paderborn verwies. Koch wetterte, es komme nicht in Frage, dass Nordhessen "eine Untergruppe der Paderborner Region" werde.

Schrumpfender Bedarf schon in der Bauphase

Das teure Projekt in Kassel kam mitten im Boom des politisch vielerorts getriebenen Flughafenbaus. "Es war von Beginn an klar, dass eine Vervielfachung von solchen Strukturen nicht gelingen wird", sagt Eric Heymann von Deutsche Bank Research. "Es käme auch niemand auf die Idee, parallel zu einer nicht ausgelasteten Autobahn noch eine weitere zu bauen."

Schon während geplant wurde, zeigte sich schrumpfender Bedarf. Der Umsatz des bisherigen Kleinbetriebs sank, das ohnehin karge Frachtgeschäft brach ein. Nachdem der neue Flughafen stand, flogen im besten Jahr knapp 125.000 Passagiere. Das erledigt der Frankfurter Flughafen an einem Tag. Prognostiziert waren dauerhaft mehr als 600.000 Passagiere jährlich. Ein Blick auf den aktuellen Flugplan verrät im Osterreiseverkehr einen Betrieb zwischen null und zwei Abflügen pro Tag.

Was in Geschäftsberichten steht

Nur mühsam gelingt es dem Regional-Airport, kapitalschwache Ferienfluggesellschaften als Kunden zu werben. Dass die ihre Startgebühren nicht immer ordentlich bezahlten, wird im Geschäftsbericht des Flughafens nur versteckt erwähnt. Dafür schreibt die Geschäftsführung optimistisch über "partnerschaftliche Zusammenarbeit" mit einer insolventen Fluggesellschaft. 

Die kaufmännische Berichterstattung der "Flughafen GmbH Kassel" ist insgesamt eigenwillig: Mal fehlen Erläuterungen, mal eine Anlage, mal werden Zahlen im Nachhinein ohne Erklärung korrigiert. 2019 und 2021 wird in der Bilanz falsch addiert. 2018 fehlte in der gesetzlich vorgeschriebenen Veröffentlichung gar die halbe Bilanz. Erst nach gut einem Jahr wurde die Passivseite nachgereicht. Risikomanagement spielt im Geschäftsbericht gar keine Rolle. Die Geschäftsleitung ging auf einen Gesprächswunsch zu Details der Berichte nicht ein.

Jedes Jahr Millionenverluste

Der alte Sportflugplatz machte um 700.000 Euro Umsatz. Die Kosten waren seinerzeit dreimal so hoch. Der neue Flughafen erwirtschaftete um drei Millionen Euro. Für jeden eingenommenen Euro werden heute mehr als vier Euro ausgegeben. Zuletzt lag der Verlust bei 5,3 Millionen Euro im Jahr 2021. Zwei hochbezahlte Geschäftsführer scheiterten vor Ablauf ihrer Verträge. Die Geschäftsberichte lassen erkennen, dass das Management mittlerweile erfolgsabhängig bezahlt wird. Für offenbar langfristige Erfolgsbeteiligungen werden jährlich sechsstellige Tantiemen gebucht.

Die offiziellen Berichte erwecken den Eindruck, dass die Eigentümer an kaufmännischen Details wenig interessiert sind. Aktuell halten das Land 68 Prozent, Stadt und Kreis Kassel je 14,5 Prozent und die Gemeinde Calden drei Prozent der Anteile. Die Ausbaukosten von inzwischen rund 280 Millionen Euro hat das Land überproportional getragen. Die laufenden Millionenverluste des Unternehmens erstatten die Eigentümer nach ihren Anteilen. Auf bald sechzig Millionen Euro summieren sich die dauernden Verluste inzwischen.

Selbst die drei Prozent Anteil belasten den Haushalt von Calden schwer. In der kleinen Gemeinde mit rund 7500 Einwohnern steigen die Kindergartengebühren, die Gewerbesteuer wurde erhöht. Betrachtet man das Gewerbesteueraufkommen, zeigt sich: Vom versprochenen wirtschaftlichen Aufschwung durch den Flughafen ist in Calden nichts zu sehen.

Kaum Interesse bei Unternehmen

Der Hessische Rundfunk hat die siebzig größten Unternehmen der Region befragt. 35 antworteten. Drei gaben an, dass sie den Flughafen für einige Geschäftsflüge im Jahr nutzten, ein Unternehmen sprach von mehreren Flügen pro Monat. Für keines der Unternehmen hat der Flughafen Bedeutung bei unternehmerischen Entscheidungen.

Heute sitzt ein Mann aus der Region an der Spitze der Flughafengesellschaft. Muss er eine politisch eingebrockte Suppe auslöffeln? "Ich löffle hier erstmal gar nichts aus", sagt Geschäftsführer Lars Ernst, "sondern ich will hier immer noch den Luftverkehr und den Flughafenstandort gestalten und in die Zukunft bringen."

Mit Flugverkehr ist erkennbar kein Geschäft zu machen. Eigentümer und Management suchen neue Geschäftsfelder. Von Windrädern auf Flughafengelände ist die Rede. Abstellflächen werden vermietet und ein Gewerbepark soll entstehen. Ganz Optimistische haben die Idee eines Zentrums für autonom fliegende Leichtflugzeuge, die es freilich noch nicht gibt.

In einer ersten Fassung haben wir geschrieben, dass der Flugplatz in Calden bereits während der Zeit des Nationalsozialismus bestand. Tatsächlich eröffnete er 1970. Seit den 1920er-Jahren gab es zuvor einen Flugplatz im Kasseler Stadtteil Waldau. Den Fehler haben wir korrigiert.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die Doku "Abstürzen oder Durchstarten? 10 Jahre Kassel-Airport" im HR-Fernsehen am 03. April 2023 um 20:15 Uhr.