Nach neuen Konjunkturdaten Aufbruchstimmung an der Wall Street
Schwächere Wirtschaftsdaten haben Zinshoffnungen an der Wall Street geschürt und für deutliche Gewinne gesorgt. Die Anleger setzen auf ein Ende der Zinserhöhungen durch die Notenbank.
Die großen Wall Street-Indizes sind am Dienstag nach schwächeren Konjunkturdaten mit deutlichen Gewinnen aus dem Handel gegangen. Denn sowohl der überraschend deutliche Rückgang des Verbrauchervertrauens im August als auch weniger offene Stellen sprechen dafür, dass die Notenbank Federal Reserve (Fed) zumindest vorerst auf weitere Zinserhöhungen verzichtet.
Diese Aussicht kam an der Börse gut an. Auch die europäischen Märkte profitierten davon am Nachmittag. In New York schloss der Dow Jones, der Leitindex der Standardwerte, um 0,85 Prozent höher bei 34.852 Zählern. Er nimmt damit wieder Kurs auf die Marke von 35.000 Punkten. Der S&P-500-Index stieg um 1,45 Prozent auf 4497 Stellen.
Die zinssensitive Technologiebörse Nasdaq profitierte besonders von der gestiegenen Aussicht auf ein Ende des strengen Zinszyklus der Fed. Der Composite-Index rückte 1,74 Prozent vor, der Auswahlindex Nasdaq 100 um 2,15 Prozent auf 15.376 Punkte.
Ein überraschend schwach ausgefallenes US-Verbrauchervertrauen im August hat am Nachmittag den Anstoß für die positive Tagestendenz gegeben, nachdem die Indizes zunächst verhalten eröffnet hatten. Konkret sank der vom privaten Institut Conference Board ermittelte Indexwert im August auf 106,1 Punkten, was deutlich unter den Markterwartungen von 116,0 Punkten lag.
"Die Verbraucher setzen sich erneut mit steigenden Preisen im Allgemeinen und für Lebensmittel und Benzin im Besonderen auseinander", erläuterte die Chefökonomin beim Conference Board, Dana Peterson.
Rückenwind kam auch vom Arbeitsmarkt. Denn die Zahl der offenen Stellen in den USA fiel Ende Juli nach Daten des Arbeitsministeriums auf 8,827 Millionen. Befragte Experten hatten mit 9,465 Millionen gerechnet.
"Die Fed braucht einen schwächeren Arbeitsmarkt, um zuversichtlich zu sein, dass der Preisdruck nicht nur nachlässt, sondern erheblich und nachhaltig ist, und dieser Bericht ist ein Schritt in die richtige Richtung", sagte Craig Erlam, Analyst beim Handelshaus Oanda.
Im Fokus blieben auch tendenziell positive Nachrichten aus China, aber auch der Blick auf weitere Konjunkturdaten im Wochenverlauf. Von diesen erhoffen sich die Anleger nicht nur in New York neue Hinweise auf den Zinskurs der Fed. Vor allem die Arbeitsmarktdaten am Freitag gelten dabei wie stets als wichtiger Taktgeber.
"Wenn die Zahl schwächer ausfällt als erwartet, könnte der Markt dies sogar begrüßen", sagte Joe Saluzzi, ein Manager beim Broker Themis Trading im US-Bundesstaat New Jersey. "Dies würde nämlich darauf hindeuten, dass der Arbeitsmarkt ein wenig nachgibt und die Fed die Zinsen vielleicht nicht mehr so stark anheben wird."
Trotz der Zinshoffnungen heute bleibt der weitere Kurs der Fed unklar. Denn die mächtige Notenbank hält sich alle Optionen offen, Bankchef Jerome Powell hat immer wieder erklärt, die Währungshüter würden nach Datenlage entscheiden. Dies, weil ihnen die Inflation immer noch zu hoch ist und sie deren konsequenter Bekämpfung absolute Priorität beimessen. Powell hat im bisherigen Zyklus schon für so manche Ernüchterung bei den Anlegern gesorgt, so dass Vorsicht auch weiterhin kein schlechter Ratgeber sein dürfte. Die nächste Zinssitzung der Fed findet nach der Sommerpause ab dem 20. September statt.
Die Kurse der US-Staatsanleihen haben nach den schwachen heimischen Konjunkturdaten ihre anfänglichen knappen Verluste ebenfalls abgeschüttelt und klar ins Plus gedreht. Zuletzt gewann der Terminkontrakt für zehnjährige Anleihen (T-Note-Future) 0,66 Prozent auf 110,36 Punkte. Im Gegenzug sackte die Rendite für zehnjährige Anleihen auf 4,11 Prozent ab.
Der deutsche Leitindex DAX schloss heute im Sog der aufgekommenen US-Zinsfantasie bei 15.930 Punkten um 0,88 Prozent höher und verzeichnete damit den zweiten Gewinntag in Folge. Sogar die Marke von 16.000 Punkten ist nun wieder in Sicht.
Bereits gestern war es nach einer schwachen Vorwoche schon rund ein Prozent auf 15.793 Zähler nach oben gegangen. Der MDAX, der Index der mittelgroßen Werte, legte ebenfalls um 1,38 Prozent auf 27.664 Punkte zu.
"Selbst im saisonal schwachen August mit wenig sommerlicher Kauflaune zeigt sich der Markt erstaunlich widerstandsfähig gegenüber aufkommenden Unsicherheitsfaktoren", kommentiert Marktanalyst Jürgen Molnar vom Broker RoboMarkets. Mit dem Überspringen der 15.750er Marke habe der DAX die Börsenampel zunächst wieder auf Grün gestellt.
Auch die heimischen Anleger erwarten nun mit Spannung die US-Arbeitsmarktdaten am Freitag. "Fallen am Freitag auch die offiziellen Zahlen, könnte sich ein Ende der Zinserhöhungen der Fed weiter verfestigen", kommentierte Konstantin Oldenburger, Analyst vom Broker CMC Markets.
Die schwelende Wirtschaftskrise in China blieb derweil heute ein großes Thema, auch wenn sie derzeit ein wenig in den Hintergrund tritt. Die chinesische Regierung in Peking hatte gestern eine Kampagne angekündigt, um den schwächelnden Aktienmarkt anzukurbeln und das Vertrauen der Anleger in die angeschlagene Wirtschaft zu stärken. Bereits zuvor hatten die chinesischen Behörden Maßnahmen zur Förderung von bezahlbarem Wohnraum auf den Weg gebracht.
"Die Tatsache, dass wir jetzt einige ernsthafte Schritte der chinesischen Behörden sehen, um das Wachstum anzukurbeln, wird von den Anlegern unglaublich begrüßt", sagte Danni Hewson, Analystin bei AJ Bell.
Der etwas gestiegene Optimismus ist auch den steigenden Preisen für das Industriemetall Kupfer abzulesen. So kletterte etwa der Preis des für die Bauwirtschaft wichtigen Metalls um 0,8 Prozent auf 8419 Dollar je Tonne. "Wir erwarten weiterhin, dass überraschend schwache Daten die Wahrscheinlichkeit für ein großes Konjunkturpaket in China erhöhen, was unserer Meinung nach bis zum Jahresende positiv für die Preise von Basismetallen sein wird", konstatierten die Analysten der National Australia Bank.
Die Europäische Gemeinschaftswährung ist nach den US-Daten angesprungen und wurde zuletzt im US-Handel bei 1,0881 Dollar gehandelt, rund ein ganzer Cent höher als im Tagestief bei 1,0782 Dollar. Zuletzt hatte sie aber einen schweren Stand gegenüber dem Dollar. Denn vor allem der unklare Zinskurs der Fed, die weitere Zinserhöhungen nicht ausschließt, stützt derzeit den Greenback. Die Europäische Zentralbank setzte den Referenzkurs auf 1,0803 (Montag: 1,0808) Dollar fest.
Für mehr Spannung am Devisenmarkt dürften die in den kommenden Tagen anstehenden Daten zu den Verbraucherpreisen sorgen. So stehen am Mittwoch die August-Zahlen für Deutschland und am Donnerstag für den gesamten Währungsraum auf der Agenda. Der Markt sei immer noch unentschlossen, wie die EZB auf ihrer Sitzung in knapp drei Wochen entscheide, schreibt die Commerzbank in einem Kommentar. "Die Inflationszahlen, die ab morgen veröffentlicht werden, könnten entscheidend werden."
In den USA sind die Hauspreise im Juni weniger stark gestiegen als erwartet. Im Vergleich zum Vormonat legten sie um 0,3 Prozent zu, wie die Federal Housing Finance Agency (FHFA) am Dienstag in New York mitteilte. Volkswirte hatten im Schnitt mit einem Anstieg um 0,6 Prozent gerechnet. Im Mai waren die Preise noch um 0,7 Prozent gestiegen. Im Vergleich zum Vorjahresmonat stiegen die Hauspreise im Juni um 3,1 Prozent.
Dank kräftiger Lohnzuwächse ist die Kaufkraft der deutschen Arbeitnehmer im zweiten Quartal erstmals seit zwei Jahren wieder gestiegen. Von April bis Juni wuchsen ihre Bruttomonatsverdienste einschließlich Sonderzahlungen mit 6,6 Prozent zum Vorjahreszeitraum so kräftig wie noch nie seit Beginn dieser Statistik im Jahr 2008. Die Verbraucherpreise erhöhten sich in diesem Zeitraum mit 6,5 Prozent etwas langsamer, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Daraus ergibt sich ein leichter Anstieg der Reallöhne von 0,1 Prozent.
Die Aussicht auf eine Rezession und die anhaltend hohe Inflation in Deutschland lasten dennoch auf der Stimmung der Verbraucher. Die Konsumforscher der GfK haben für September einen Rückgang ihres Stimmungsbarometers um 0,9 auf minus 25,5 Punkte ermittelt. "Die Chancen, dass sich die Konsumstimmung noch in diesem Jahr nachhaltig erholen kann, schwinden damit mehr und mehr", so GfK-Experte Rolf Bürkl. "Anhaltend hohe Inflationsraten, vor allem für Lebensmittel und Energie, sorgen dafür, dass das Konsumklima derzeit nicht vorankommt."
Die Ölpreise sind am Dienstag etwas gestiegen. Ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent zur Lieferung im Oktober kostete zuletzt 84,83 US-Dollar. Das waren 38 Cent mehr als am Tag zuvor. Der Preis für ein Barrel der amerikanischen Sorte West Texas Intermediate (WTI) stieg um 35 Cent auf 80,45 Dollar. Die Kursausschläge halten sich seit Wochenbeginn in Grenzen. Tendenzielle Unterstützung kommt von der relativ freundlichen Stimmung an den Finanzmärkten.
Im DAX legten die Aktien des Immobilienunternehmens Vonovia knapp 3,0 Prozent zu und gehörten damit zu den größten Gewinnern im Index. Die US-Investmentbank Goldman Sachs hat Vonovia auf ihrer "Conviction Buy List" mit einem Kursziel von 36,30 Euro belassen.
Immo-Aktien haben einen langen Leidensweg hinter sich. Vor allem die gestiegenen Zinsen lasten auf der Bau- und Immobilienbranche, denn Finanzierungen werden für Kunden teurer, Buchwerte müssen so manches mal in der Bilanz abgeschrieben werden. Das Vonovia-Papier, einziger Immobilienwert im DAX, hat seit Anfang letzten Jahres mehr als die Hälfte seines Wertes eingebüßt. Auf niedrigerem Niveau kommen nun aber wieder erste Analystenempfehlungen.
Nach und nach steigende Fremdkapitalkosten zehrten am operativen Ergebnis (FFO) des Immobilienunternehmens, schrieb Metzler-Analyst Jochen Schmitt in einer am Dienstag vorliegenden Studie und erhöhte sein Kursziel für das Vonovia-Papier leicht von 20,40 auf 21 Euro. Auch wenn zuletzt Mietsteigerungen erzielt worden seien, geht der Experte davon aus, dass der FFO je Aktie (die zentrale Erfolgsgröße in der Immobilienwirtschaft) in den kommenden Jahren sinken dürfte. Damit steige auch der Druck auf die Dividende. Die Aktien seien günstig bewertet, für ein Investment sei aber mehr Klarheit erforderlich.
Die deutlichsten Ausschläge im Sektor verzeichnete aber die Aktie des Immobilienkonzern Grand City Properties, die im SDAX gelistet ist. Sie legte in der Spitze um bis zu acht Prozent zu, konnte die Gewinne aber nicht halten. Die Papiere profitierten von einer Hochstufung durch die Analysten von Goldman Sachs, die die Titel auf "Buy" von zuvor "Neutral" setzten.
Aktien des angeschlagenen Immobilien-Investor Adler Group kamen nicht so gut weg. Denn Adler hat im ersten Halbjahr den Wert seines Portfolios um rund eine Milliarde Euro abwerten müssen. Damit rutschte das Unternehmen tief in die roten Zahlen. Die vorgenommenen Abwertungen führten zu einer Bewertung des gesamten Portfolios von 7,4 auf 6,4 Milliarden Euro. Im ersten Halbjahr fiel damit ein Nettoverlust von rund einer Milliarde Euro an. Das vergangene Jahr hatte der Konzern erneut mit einem Milliarden-Verlust abgeschlossen. Wirtschaftsprüfer der KPMG hatten unter anderem für den Jahresabschluss 2021 das Testat verweigert.
Das TecDAX-Unternehmen hat im ersten Halbjahr wegen einer Cyberattacke eine Ergebnisbelastung bilanziert. So ging der um Sondereffekte bereinigte Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen um gut 22 Prozent auf 26,1 Millionen Euro zurück. Der Hackerangriff hat laut Evotec im zweiten Quartal für Kosten von 39,3 Millionen Euro gesorgt. Die für die Novartis-Tochter Sandoz erbrachten Leistungen sowie die Kooperation mit dem Pharmakonzern Bristol Myers Squibb hätten die geringe Kapazitätsauslastung jedoch teilweise kompensiert. Der Umsatz wuchs in den ersten sechs Monaten um 14 Prozent auf 383,8 Millionen Euro und damit etwas stärker als zuletzt avisiert.
Beim Autohersteller Toyota in Japan stehen alle Bänder still. Der Konzern habe wegen eines Fehlers in seinem Produktionssystem die Arbeit in allen 14 japanischen Montagewerken eingestellt, so ein Konzernsprecher. Der Fehler sei "wahrscheinlich nicht auf einen Cyberangriff zurückzuführen". Das Ausmaß des Produktionsausfalls sei noch unklar. Die Störung habe dazu geführt, dass das Unternehmen keine Bauteile bestellen konnte. Der Autobauer ist ein Pionier der Just-in-time-Lagerhaltung, die zwar die Kosten niedrig hält, aber auch bedeutet, dass ein Engpass in der Logistikkette die Produktion gefährden kann. Nach Berechnungen von Reuters machen die 14 Werke insgesamt rund ein Drittel der weltweiten Toyota-Produktion aus.
Der US-Mischkonzern 3M legt mit einer Milliardenzahlung den Streit um die Lieferung angeblich mangelhaften Gehörschutzes an das US-Militär bei. Der Hersteller von Klebebändern, Haftnotizen, Elektrowerkzeugen und medizinischen Produkten habe sich auf einen Vergleich in Höhe von sechs Milliarden Dollar geeinigt, teilte 3M heute vor Börsenstart mit und bestätigte damit einen Bericht der Nachrichtenagentur Reuters. Mit der Einigung will der Mischkonzern 260.000 Klagen aus dem Weg räumen.
Die im Leitindex Dow Jones enthaltene Aktie war bereits gestern angesprungen und lag auch heute an der Nyse weitere 1,4 Prozent im Plus. Analysten hatten mit höheren Belastungen bis zu zehn Milliarden Dollar gerechnet.