EZB-Direktorin zur Inflation "Die Dynamik kann durchbrochen werden"
Manche Experten fürchten, dass die jüngsten Lohnerhöhungen den Anstieg der Verbraucherpreise weiter anheizen. EZB-Direktorin Schnabel hofft dagegen, dass die Gewinne der Unternehmen das auffangen.
EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel geht davon aus, dass die gesunden Gewinnmargen der Unternehmen den größten Teil der Lohnerhöhungen in diesem Jahr auffangen werden. Die Europäische Zentralbank gehe daher in ihrem Basisszenario von keiner Lohn-Preis-Spirale aus, sagte sie am Mittwoch auf einer Veranstaltung anlässlich des sechzigjährigen Bestehens des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Berlin.
Notenbank dämpft die Nachfrage
Konzerne hätten in der Energiekrise nicht nur ihre erhöhten Kosten weitergegeben, sondern gleichzeitig auch noch ihre Gewinne anheben können, erklärte Schnabel. "Daraufhin wollten die Gewerkschaften einen Teil des Kuchens zurückerobern." Nun komme es darauf an, ob Unternehmen den Lohndruck in ihren Profitmargen auffangen werden oder sie erneut in der Lage sind, die höheren Kosten an die Konsumenten weiterzugeben.
"Das ist abhängig von der gesamtwirtschaftlichen Situation, der aggregierten Nachfrage und der Geldpolitik", so Schnabel. Die Politik der EZB sorge für ein Dämpfen der Nachfrage, sodass Firmen ihre Preise schwieriger erhöhen und Gewerkschaften nicht mehr so einfach Tariferhöhungen durchbringen könnten. "Dadurch kann die Dynamik durchbrochen werden, die zur Lohn-Preis-Spirale führt."
Unsicherheit bleibt
Nichtsdestotrotz bleibe eine Unsicherheit, dass die Lohnsteigerungen den Preisanstieg anheizen und eine schwer zu durchbrechende Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen könnten, mahnte Schnabel. Ein solches Szenario könne dann eintreten, falls die Löhne stärker als erwartet stiegen und sich überdies auch die Produktivität nicht so gut wie von EZB-Fachleuten skizziert entwickeln sollte. Daher gelte es, "sehr aufmerksam" zu sein und das Risiko im Auge zu behalten.
Eine Lohn-Preis-Spirale sei nicht in Sicht, weil in den Tarifrunden viele Einmalzahlungen vereinbart worden seien, hieß es heute vom Münchener ifo-Institut. Die Lasten des Energiepreisschocks seien relativ gerecht verteilt, denn auch von den Umsatz- und Gewinnsteigerungen vieler Unternehmen "bleibt nach der Inflation nicht mehr viel übrig", sagte Konjunkturchef Timo Wollmershäuser.
"Es ist noch ein Weg zu gehen"
Nach den teils hohen Tarifabschlüssen befürchten einige Experten eine Situation wie in den 1970er-Jahren, als die Löhne die Preise weiter nach oben getrieben hatten. Die Inflationsrate in Deutschland lag im Mai bei 6,1 Prozent, nach 7,2 Prozent im April. "Es ist noch ein Weg zu gehen", sagte Bundesbank-Chef Joachim Nagel beim Jubiläum des Sachverständigenrats mit Blick auf die Zielmarke der EZB von zwei Prozent.
Er sei aber zuversichtlich, dass schon einiges erreicht worden sei. Zum Vergleich: Im November und Oktober verteuerten sich die Verbraucherpreise noch um 8,8 Prozent zum Vorjahr. In den vergangenen elf Monaten hatte die EZB die Leitzinsen auf mittlerweile 4,0 Prozent angehoben - der höchste Stand seit 15 Jahren. "Wir werden sehen, dass die Inflation in den kommenden Wochen und Monaten dadurch weiter sinken wird", so Nagel.
Allerdings müssten die Währungshüter beharrlich bleiben, da auch der Preisauftrieb hartnäckig sei: "Inflation ist für mich wie ein gieriges Biest. Und wir müssen gegen dieses gierige Biest kämpfen". Die Bundesbank erwartet für das laufende Jahr eine Inflationsrate in Deutschland von 5,0 Prozent und 3,1 Prozent 2024 für das kommende Jahr.
Mit Informationen von Till Bücker, ARD-Finanzredaktion.