Europäische Zentralbank Die EZB wagt noch keine Zinssenkungen
Die Inflationsrate sinkt und die Konjunktur schwächelt. Dennoch hält die Europäische Zentralbank die Füße still - und lässt die Leitzinsen unverändert. Die erste Senkung erwarten die Finanzmärkte im Juni.
Trotz einer rückläufigen Inflation und einer schwächelnden Konjunktur hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen der Eurozone zum vierten Mal nacheinander nicht verändert. Wie erwartet belässt sie den Hauptrefinanzierungssatz, zu dem sich die Geschäftsbanken frisches Geld bei der Notenbank besorgen können, auf dem aktuellen Niveau von 4,5 Prozent, wie der EZB-Rat mitteilte.
"Brauchen noch viel mehr Informationen"
Auch der am Finanzmarkt richtungsweisende Einlagensatz, den Geldhäuser für das Parken überschüssiger Gelder von der EZB erhalten, verharrt weiter auf dem Rekordniveau von 4,00 Prozent. Volkswirte hatten damit gerechnet, dass die Währungshüter erneut nicht an den Schlüsselsätzen rütteln. Bereits im Oktober, im Dezember und auch im Januar hatten sie nach zuvor zehn Zinserhöhungen in Folge still gehalten.
Nach Worten der Präsidentin Christine Lagarde hat sich die EZB heute noch nicht konkret mit der Möglichkeit von Zinssenkungen beschäftigt. "Wir haben auf dieser Sitzung keine Zinssenkungen besprochen", sagte sie in Frankfurt. Vielmehr habe der Rat gerade erst begonnen, über die Rücknahme der straffen Ausrichtung zu debattieren. Die jüngste Entwicklung der Teuerungsrate mache die Währungshüter zuversichtlicher, aber "nicht hinreichend zuversichtlich", um geldpolitisch zu reagieren.
"Wir brauchen noch viel mehr Informationen in den nächsten Monaten, um ausreichend sicher zu sein", so die Französin mit Blick auf die Zinswende. Kurz zuvor hatte Lagarde gesagt, dass man zur nächsten Zinssitzung im April "etwas mehr" wisse. Zur übernächsten im Juni wisse man jedoch "deutlich mehr". Voraussichtlich erst zur Jahresmitte wird die EZB also einen umfassenden Überblick über den Verlauf der Inflation haben - und womöglich eine erste Senkung ins Auge fassen.
EZB senkt Inflations- und Konjunkturprognose
Im Zentrum der heutigen Beratungen standen Expertinnen und Experten zufolge vor allem die Inflations- und Konjunkturprognosen der EZB-Volkswirte. So werde die Teuerung im Euroraum ihrer Einschätzung nach schneller zurückgehen als noch im Dezember erwartet, teilte die Notenbank mit. Für das laufende Jahr rechnet die EZB nun mit einer Inflationsrate von 2,3 Prozent. Zuvor war sie noch von 2,7 Prozent ausgegangen. 2025 wird eine Rate von 2,0 Prozent prognostiziert.
Zugleich haben sich die Konjunkturaussichten im Währungsraum der 20 Länder laut EZB-Chefin Lagarde weiter eingetrübt. Die Wirtschaft werde sich auf kurze Sicht verhalten entwickeln, auch weil sich die Konsumentinnen und Konsumenten mit ihren Ausgaben zurückhielten, sagte sie. Nach der neuesten EZB-Vorhersage werde das Plus beim Wachstum in diesem Jahr nur 0,6 (Dezember-Prognose: 0,8) Prozent betragen.
Schon seit einiger Zeit wird an den Finanzmärkten wegen der Kombination aus sinkender Inflation und schwächelnder Wirtschaft auf einen Kurswechsel der Geldpolitik spekuliert. Um den Jahreswechsel herum wurden noch bis zu sechs Zinssenkungen um insgesamt 1,5 Prozentpunkte für möglich gehalten. Die Erwartungen sind jedoch deutlich gesunken und legen aktuell etwa drei bis vier Reduzierungen für 2024 nahe. Derzeit wird die Wahrscheinlichkeit auf der Juni-Sitzung mit rund 84 Prozent taxiert.
"Noch sind die Inflationsgefahren nicht gebannt"
"Mit dem überraschend deutlichen Rückgang der Euro-Inflation und den schlechten Konjunkturdaten wächst die Wahrscheinlichkeit einer Zinssenkung in der Juni-Sitzung", sagt Friedrich Heinemann vom ZEW Institut. Bedingung dafür sei aber, dass sich auch die Kerninflation der Zwei-Prozent-Marke noch deutlicher nähere. Diese um Energie- und Lebensmittel bereinigte Inflation liege im Februar immer noch bei gut drei Prozent.
"Die EZB hat keinen Grund zum Handeln. Noch sind die Inflationsgefahren nicht gebannt", meint daher auch Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank. Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer zufolge hat Lagarde aber "einen weiteren vorsichtigen Schritt in Richtung einer ersten Zinssenkung gemacht". Sie habe den Juni als möglichen Zeitpunkt ins Spiel gebracht, sich mit Blick auf das Tempo künftiger Zinssenkungen aber bedeckt gehalten.
Die Linie der Notenbank ist relativ klar: Bevor die straffe Geldpolitik gelockert wird, will sich der Rat Gewissheit verschaffen, dass der zu beobachtende Inflationsrückgang dauerhaft ist. Solche Äußerungen, die Lagarde heute wiederholte, waren schon in den vergangenen Wochen von zahlreichen ranghohen Notenbankern zu vernehmen. Insider hatten angemerkt, dass der EZB wichtige Daten zu den Lohnabschlüssen aus den Euro-Ländern erst im Mai vorliegen werden.