Die Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) ragt vor den Hochhäusern der Bankenstadt in Frankfurt am Main in die Höhe.
Analyse

Streit unter Notenbankern Wie hoch sollen die Zinsen noch steigen?

Stand: 02.02.2023 06:41 Uhr

EZB-Präsidentin Lagarde hat eine weitere Straffung der Geldpolitik angekündigt. Doch immer mehr Währungshüter wollen den Zinszyklus beenden. Sie argumentieren mit Sorgen um die Konjunktur und sinkender Inflation.

Eine Analyse von Klaus-Rainer Jackisch, HR

Die kroatische Gemeinde Bregana ist den meisten Touristen wohl eher unbekannt - oder allenfalls durch einen unfreiwilligen Aufenthalt vertraut. Denn im Sommer gab es an diesem Grenzübergang zu Slowenien bislang häufig Staus und quälend lange Wartezeiten. Zum Neujahrtag putzte sich der kleine Ort mächtig heraus, denn keine geringere als EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen schwebte ein, um hier mit Kroatiens Ministerpräsident Andrej Plenkovic Großes zu feiern: den Beitritt des Landes zum Schengen-Raum und zur Europäischen Währungsunion.

Zwiespältige Haltung zum Euro

Damit öffneten sich nicht nur die Schlagbäume, Kroatien wurde zum Jahreswechsel auch das 20. Mitgliedsland im Euro-Club. Nach der Begrüßung an der Grenze fuhren die beiden Politiker in die nahe Hauptstadt Zagreb, um hier gemeinsam einen Kaffee zu trinken. Bezahlt wurde mit nagelneuen kroatischen Euro-Münzen.

"Gute Zeiten für konservative Anleger," Klaus-Rainer Jackisch, HR, zu erwartete Erhöhung der Leitzinsen von der EZB

tagesschau24 11:00 Uhr

Die vier Millionen Kroaten sehen den Beitritt zur Euro-Zone mit gemischten Gefühlen. Während für viele das beliebte Urlaubsland an der Adria damit endgültig in Europa angekommen ist, trauern andere der heimischen Währung Kuna als Symbol der Eigenstaatlichkeit nach. Hinzu kommt, dass auch in Kroatien viele die Begeisterung für das Projekt Euro verloren haben. Die einstigen Versprechen stabiler Preise, niedriger Zinsen und großen Wohlstands sind längst Makulatur. Mit einer Teuerung von zuletzt 13,5 Prozent gehört Kroatien zu den Ländern mit besonders hoher Inflation.

Zünglein an der Waage?

Unter normalen Umständen, in denen die sogenannten Maastricht-Kriterien noch etwas galten, hätte eine solche Inflationsrate den Beitritt Kroatiens sofort vereitelt. Doch in Zeiten, in denen auch die Währungshüter in Frankfurt Inflationsdaten verantworten müssen, die fünfmal so hoch sind wie das angestrebte Ziel von zwei Prozent, spielen Zugangshürden keine große Rolle mehr. Viele Einheimische fürchten einen weiteren Inflationsschub, denn Händler haben bei der Umstellung von Kuna auf Euro eher auf- statt abgerundet.

Geldpolitisch befindet sich Kroatien im Mittelfeld: Notenbankchef Boris Vujcic jedenfalls gilt weder als locker agierende "Taube" noch als restriktiver "Falke", sondern wird im neutralen Lager eingruppiert. Er könnte mit seinen ebenfalls neutralen litauischen und luxemburgischen Kollegen sowie den beiden Direktoriumsmitgliedern Schnabel und Elderson künftig das Zünglein an der Waage sein.

Eindeutige Signale von Lagarde

Denn die Scharmützel zwischen beiden Lagern werden wieder stärker. Aufgeschreckt von der Rekordinflation, die im Oktober mit 10,6 Prozent ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte, hatten viele "Tauben" ihren Widerstand aufgegeben und einer Straffung der Geldpolitik zugestimmt: Viermal hob die Europäische Zentralbank mittlerweile die Zinsen seit dem vergangenen Sommer an. Darunter waren auch zwei Jumbo-Schritte von 0,75-Prozent-Punkten. Derzeit liegt der Hauptleitzins bei 2,5 Prozent.

Auch in dieser Woche dürften die Zinsen weiter steigen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte auf dem Weltwirtschaftsforum keine Zweifel gelassen, dass die Währungshüter weiter an der Zinsschraube drehen werden. "Die Inflation ist viel zu hoch", sagte sie im verschneiten Davos. "Wir werden den Kurs so lange beibehalten, bis wir uns lange genug im restriktiven Bereich bewegt haben, um die Inflation rechtzeitig wieder auf zwei Prozent zurückzubringen."

"Von der EZB enttäuscht"

Lagarde weiß es nur zu gut: große Teile der Bevölkerung sind hochgradig unzufrieden mit den Währungshütern und ihrer laxen Handhabung, die Inflation in den Griff zu bekommen. Erst kürzlich musste sich die EZB-Präsidentin eine schallende Ohrfeige des ansonsten eher diplomatisch zurückhaltenden und früheren EZB-Chefvolkswirts Ottmar Issing einholen: "Ich bin von der EZB enttäuscht“, sagt der Ökonom, der in seiner Amtszeit acht Jahre lang für stabile Preise gesorgt hatte, in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". "Und zwar deswegen, weil sie so spät auf die sich abzeichnenden Inflationsgefahren reagiert hat."

Tatsächlich hatte die EZB monatelang abgewartet und nichts unternommen, während andere Notenbanken rund um den Globus reagierten und die Zinsen teilweise kräftig anhoben. Dadurch rutschte auch der Eurokurs ab, was die Situation noch verschlimmerte, weil importierte Güter teurer wurden und die Inflation zusätzlich anfachten. Unter dem Strich führte das lange Zaudern der Währungshüter zu massiver Geldentwertung und deutlichen Wohlstandsverlusten, die auch die Schere zwischen Arm und Reich in Europa weiter öffnete.

Selbst wenn man die schwankungsanfälligen Preise für Energie und Lebensmitteln aus der Inflationsrate herausrechnet, ist die daraus resultierende Kerninflation mehr als doppelt so hoch wie angestrebt - eigentlich ein deutliches Zeichen, dass weitere kräftige Zinserhöhungen unabdingbar sind. Für weitere Zinsschritte nach oben sprechen auch die zum Teil sehr hohen Tarifabschlüsse, die die Inflation weiter zu befeuern drohen.

Geldpolitische "Tauben" in der Mehrheit

Doch im Hintergrund murren bereits die "Tauben". Deren Lager ist nach einer Analyse der Commerzbank so stark wie nie zuvor: 15 "Tauben" stehen nur sechs "Falken" gegenüber. Einer ihrer führenden Vertreter ist das italienische EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta. Er warnt schon seit längerem vor negativen Folgen steigender Zinsen für die Konjunktur.

"In der aktuellen Situation dürfen wir uns nicht für zu lange Zeit auf eine bestimmte Zinsentwicklung festlegen", sagte er im "Handelsblatt". Tatsächlich dürfte es wohl eher darum gehen, die anziehenden Refinanzierungskosten für Italien und andere südliche Länder zu begrenzen. Denn wenn die Leitzinsen steigen, müssen Länder für Staatsanleihen auch höhere Zinsen zahlen. 

Für diesen Monat ist eine Anhebung der Leitzinsen von 0,5 Prozent-Punkte angekündigt, für März wird ein weiterer Schritt in gleicher Höhe erwartet. Spätestens ab Mai dürfte das starke Lager der "Tauben" dann aber auf die Bremse treten. Zu diesem Zeitpunkt wird mit einer deutlichen Abschwächung der Inflation gerechnet, was Vertreter einer lockeren Geldpolitik dann als Rechtfertigung anführen dürften, die Zinsen weniger stark anzuheben.  

Preise werden kaum wieder sinken

Für die Bevölkerung dürfte das Inflationsproblem damit aber nicht vorbei sein. Selbst wenn sich die Teuerung abschwächt, wird mit Inflationsraten zwischen fünf und sechs Prozent gerechnet - immer noch rund dreimal so hoch wie gewünscht. Und eine Abschwächung bedeutet auch nicht, dass die Preise wieder sinken; sie bedeutet nur, dass sie weniger stark steigen. 

Die hohe Inflation spürt man auch an Kroatiens Adria-Küste. Die günstigen Zeiten im Tourismus sind längst vorbei. Doch auch wenn es für Urlauber durch die Einführung des Euro in Kroatien nicht billiger wird: Einfacher wird das Reisen mit der gemeinsamen Währung nun allemal.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 02. Februar 2023 um 06:36 Uhr.