Inflation in den USA Wenn der Dollar dreimal umgedreht wird
Die Inflation in den USA ist leicht gesunken. Doch in ländlichen Gegenden ist es schwer, gesunde Lebensmittel zu fairen Preisen zu finden. Hoffnungsschimmer ist da ein Tante-Emma-Laden, der nie zu hat.
An einem eisigen Mittwochmorgen im Januar kurvt ein weißer Lkw durch die verschneiten Dorfstraßen von Evansville, einer Gemeinde mit 600 Einwohnern im amerikanischen Bundesstaat Minnesota. Die Dämmerung hat gerade eingesetzt, das Thermometer zeigt minus sieben Grad Celsius an. Der kleine Ort schläft noch. Auf der Hauptstraße brennt nur in einem Laden schon Licht.
Drei Jahre ohne Lebensmittelladen
Der Lkw-Fahrer wird erwartet. Alex Ostenson, ein Mittdreißiger mit schmalen Schultern und rötlich-braunem Haar, steht auf der Rückseite seines Lebensmittelladens und streut Salz vorm Wareneingang. Dann geht alles ganz fix: Der Fahrer rangiert das Fahrzeug in Position, springt raus, nickt kurz - gute Fahrt, guten Morgen - und stapelt Kisten auf einer Sackkarre. Viel Zeit hat er nicht. Mit schnellen Schritten schiebt er sie in den Main Street Market, den einzigen kleinen Supermarkt in Evansville.
Der Main Street Market ist ein gut aufgeräumter Tante-Emma-Laden, ein Raum mit sechs Regalreihen und ein paar Tiefkühlschränken. Das Ehepaar Alex und Caileen Ostenson betreiben ihn seit gut anderthalb Jahren. Davor gab es fast drei Jahre im Ort keinen Lebensmittelladen. Der nächste richtige Supermarkt liegt eine halbe Autostunde entfernt.
Orte, die sich selbst helfen müssen
"An einem Abend kam Alex von der Arbeit nach Hause und sagt zu mir: Wir eröffnen einen Lebensmittelladen", erzählt Caileen Ostenson. Das Paar stammt aus der Gegend, Alex Ostenson ist in Evansville zur Schule gegangen, er ist gelernter Dieselmechaniker. Nach ein paar Jahren in Minneapolis, der Großstadt mit mehr als 400.000 Einwohnern, ziehen sie zurück aufs Land - dorthin, wo es immer schwieriger wird, vernünftige, frische Lebensmittel zu fairen Preisen zu finden.
Für die großen Ketten lohnt es sich nicht, in Dörfern wie Evansville zu investieren. So entstehen regelrechte Lebensmittelwüsten im ländlichen Amerika. Dörfer, die vergessen werden. Orte, die sich selbst helfen müssen.
24-Stunden-Lösung für Stammkunden
Den beiden ist klar, dass es nicht einfach ist, ein Lebensmittelgeschäft zu eröffnen: Bürokratie, unerwartete Kosten, die Corona-Pandemie. Dazu muss das Konzept stimmen. "Wir wussten, dass wir uns etwas anderes überlegen müssen. Hier in der Region ist viel landwirtschaftlicher Betrieb, die Bauern haben keine geregelten Arbeitszeiten, manchmal kommen sie um drei Uhr morgens vom Feld", sagt Caileen Ostenson.
Die beiden installieren ein System an der Eingangstür, das es zahlenden Mitgliedern ermöglicht, per App oder Magnetchip rund um die Uhr in den Laden zu kommen - egal, ob spät abends um elf oder früh morgens um vier Uhr. An drei Tagen in der Woche stehen Caileen und Alex Ostenson hinter dem Tresen, danach kann jeder selbst seine Waren scannen und per Karte bezahlen.
Inflation auf 40-Jahres-Hoch
Diebstahl, sagen sie, sei kein Problem. Höchstens mal ein unabsichtlich nichteingelesener Artikel. Was ihnen viel mehr zu schaffen macht seit Monaten ist die Inflationsrate. Als die Pandemie in den USA allmählich nachlässt, platzt die Covid-Isolationsblase: Die Amerikaner geben Geld aus, gehen auf Reisen, leisten sich, wozu sie über anderthalb Jahre keine Gelegenheit hatten. Bis im Oktober 2022 die Inflationrate ein 40-Jahres-Hoch erreicht.
Inzwischen hat die amerikanische Notenbank Fed reagiert und den Leitzins mehrfach erhöht, was den inflationären Druck in den vergangenen Monaten etwas zurückgehen ließ. Lebensmittel liegen dennoch weiter über dem Gesamtniveau: Bis November wurden Lebensmittel um 10,6 Prozent teurer, während im selben Zeitraum die Teuerungsrate insgesamt um 7,1 Prozent stieg.
Vor allem Lebensmittel und Benzin betroffen
"Ich glaube, dass wir bis Ende nächsten Jahres eine viel niedrigere Inflation sehen werden, falls es keinen unerwarteten Schock gibt", sagte Finanzministerin Janet Yellen in einem Interview mit dem Sender CBS im Dezember. Die Zuversicht von Kleinunternehmen ist dennoch weiterhin getrübt, so eine aktuelle Umfrage. Ihr Ausblick für das Jahr 2023 sieht Löhne und Inflationsangst immer noch als die großen Sorgenthemen.
Wirtschaftsexperten hoffen trotzdem auf eine weiterhin sinkende Inflationsrate bis zum Sommer. Doch die Lebensmittelpreise werden wohl auch weiterhin noch höher bleiben. Auch die Benzinpreise schwanken regelmäßig: zwei Belastungsfaktoren, mit denen auch Mittelständler weiterhin zu kämpfen haben.
Baustoffe 40 Prozent teurer
Perry Hugee zum Beispiel, ein Klempner und Lüftungsbauer aus Washington. "Schon wieder eine hohe Rechnung", sagt er und atmet tief ein, als er einen Brief auf seinem Schreibtisch öffnet. Schon damals, im Oktober, als wir ihn besucht haben, schildert er seine schwierige Situation. Lieferengpässe machen ihm und seiner Firma - genauso wie seinen Kunden - das Leben schwer. "Aber entlassen möchte ich keinen. Das kommt nicht in Frage." Sie seien eine Art Familie und für die trage er Verantwortung.
Trotzdem: Die Preise spielen bis heute verrückt, erklärt er uns auf einer seiner Baustellen. "Wir erleben einen Preisanstieg für unsere Baustoffe von bis zu 40 Prozent." Heute, sagt er auf Nachfrage, sei die Situation immer noch angespannt: Dauerhaft hohe Preise, kaum Planungssicherheit.
"Der Markt ist immens wichtig"
Ob in der Großstadt Washington oder dem kleinen Ort Evansville, überall müssen Unternehmerinnen und Unternehmer trotzdem irgendwie planen. Ein Faktor, der im Main Street Market in Evansville wegfällt, sind Personalkosten. Das erlaube es ihnen, die Preise niedriger zu halten als in anderen Läden, sagt Alex Ostenson.
"Für uns ist der Markt immens wichtig", sagt Kundin Deb Berry, die mit ihrer 85 Jahre alten Mutter ein paar Straßen entfernt wohnt. "Besonders jetzt, da Benzin weiterhin sehr teuer ist und ich keine Zeit habe, eine halbe Stunde durch die Gegend zu fahren, um etwas zu besorgen. Es ist schon sehr praktisch, jederzeit hier im Markt einkaufen zu können."
"Wir überlegen jetzt genau, was wir kochen"
Deb Berry ist Erzieherin in der örtlichen Schule. Sie legt Brot und Pilze auf den Tresen an der Kasse. Ihre Mutter und sie hätten in den vergangenen Monaten etwas zurückgefahren, sagt sie. Die beiden rechnen jetzt mehr, was sie sich erlauben können und was nicht. Jemand - und damit meint sie die, die in Washington Politik machen - müsse schleunigst herausfinden, wie man das Leben für die Menschen wieder bezahlbar macht.
Ähnlich geht es auch Brandon Bergstrom, der ein paar Stunden später in den Laden kommt. Er hat Eier und Milch in seinem Einkaufskorb. "Einige unserer Rechnungen sind zwischen 30 und 40 Prozent angestiegen. Nur haben sich Löhne nicht annähernd in diese Richtung bewegt", sagt der Familienvater, der seit 15 Jahren in Evansville lebt und in der Verwaltung im örtlichen Altersheim arbeitet. "Wir als Familie überlegen jetzt ganz genau, was wir abends kochen", sagt er. "Wir sind wieder in Zeiten, in denen wir ein bisschen mehr darüber nachdenken müssen, was wir jeden Tag ausgeben."
"Kein einfacher Balanceakt"
Caileen und Alex Ostenson betreiben ihren Laden natürlich nicht einfach nur aus altruistischen Gründen. Sie haben ihre alten Jobs aufgegeben und versuchen, damit Geld zu verdienen. Vor einem halben Jahr haben sie einen weiteren kleinen Laden in einem Nachbarort übernommen. Er hätte sonst wahrscheinlich für immer geschlossen.
Man kauft man ihnen ab, dass sie ihren Nachbarn etwas zurückgeben wollen mit ihrem Läden, und trotzdem müssen auch sie kalkulieren. "Es ist nicht einfach, wenn wir die Preise erhöhen, aber irgendwie müssen wir die Türen offen halten und die Stromrechnung bezahlen", sagt Alex Ostenson. "Momentan ist es kein einfacher Balanceakt."
Einkaufen rund um die Uhr: Stammkunden können per App oder Magnetchip in den Laden kommen.
Blumenkohl als Inflationsindikator
An diesem eisigen Mittwochmorgen hat der Lebensmittellieferant mit dem weißen Lkw auch Blumenkohl in seinen Kisten für den Main Street Market dabei. Der, erzählt Ostenson, habe am Anfang mal 3,99 Dollar gekostet. Vor ein paar Monaten lag die unverbindliche Preisempfehlung für einen Blumenkohl-Kopf dann plötzlich bei 19 Dollar. Da hätten sie ihn endgültig aus dem Sortiment genommen.
Inzwischen ist der Preis für Blumenkohl wieder gefallen, deshalb haben sie ihn wieder eingekauft. Er koste jetzt 5,99 Dollar, sagt Ostenson, und sortiert ihn mit einer vorsichtigen Handbewegung ins Regal ein - voller Hoffnung, dass die Preise auch weiterhin fallen werden.