Cum-Cum-Aktiendeals Wie der Fiskus illegale Milliarden verschenkt
Rund 30 Milliarden Euro könnte sich Deutschland von Banken zurückholen, die sich an illegalen Cum-Cum-Aktiendeals beteiligt haben. Doch die Ermittlungen laufen nach wie vor schleppend. Woran liegt das?
"Die Finanzlobby hat hier beste Arbeit geleistet", sagt die ehemalige Kölner Cum-Cum-Chefermittlerin Anne Brorhilker und seufzt. "Anders kann man sich das überhaupt nicht erklären, dass sich der Staat diese riesigen Einnahmen durch die Lappen gehen lässt."
Für eine derart schleppende Aufarbeitung gibt es für die ehemalige Oberstaatsanwältin keine rationale Erklärung. Hätte Deutschland die geschätzten 30 Milliarden Euro aus Steuerschäden bereits zurückgeholt, gäbe es eine andere Situation bei der aktuellen Haushaltsdebatte.
Die Grundlagen, um bei Tätern durchzugreifen, seien längst geschaffen, denn "das oberste Finanzgericht hat entschieden, dass diese Geschäfte steuerlich nicht legal sind. Danach folgten weitere Urteile, und auch das Bundesfinanzministerium hat das zuletzt im Jahr 2021 noch einmal bekräftigt", erklärt Brorhilker. Seit Juni dieses Jahres arbeitet sie als Geschäftsführerin beim Verein "Finanzwende".
Bei Cum-Cum-Aktienkreisgeschäften wurden, stark vereinfacht, Steuern erstattet, auf die kein Anspruch besteht. "Es ist also Betrug gegenüber dem Staat", so Brorhilker.
Bundesländer geben kaum Auskunft
Der RBB hat für tagesschau.de alle Finanzministerien der Länder zum aktuellen Stand der Aufarbeitung befragt. In Bremen, Brandenburg und dem Saarland sind den Behörden bisher keine Cum-Cum-Fälle dieser Art bekannt. Zehn weitere Bundesländer gaben keine konkrete Auskunft. Nur Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen haben detailliert geantwortet.
In Hessen konnten seit 2021 gerade einmal zwei Fälle steuerrechtlich rechtskräftig abgeschlossen werden. Bisher soll das Bundesland damit knapp 13,7 Millionen Euro zurückgeholt haben. Allerdings geht man in Hessen, mit dem Bankenstandort Frankfurt am Main, von einem sehr viel höheren Steuerschaden aus. 95 Verdachtsfälle werden derzeit noch geprüft. Die Gesamtsumme der zu Unrecht erstatteten Kapitalertragsteuer soll laut hessischem Finanzministerium hier bei knapp vier Milliarden Euro liegen.
Bisher nur ein Bruchteil zurückgefordert
In Rheinland-Pfalz hingegen wurden innerhalb der vergangenen drei Jahre acht Fälle abgeschlossen, knapp 11,7 Millionen Euro rechtskräftig zurückgeholt. Drei Fälle waren Ende 2023 noch offen. Dabei geht es um rund 20,6 Millionen Euro.
Baden-Württemberg hingegen hat bis Ende 2023 in 67 Cum-Cum-Fällen circa 480 Millionen Euro zurückgeholt. Diese Beträge sind in Anbetracht der geschätzten 30 Milliarden Euro nur ein Bruchteil des Gesamtschadens.
Warum läuft die Aufarbeitung so schleppend?
Im Jahr 2021 hatte die Bundesregierung im Koalitionsvertrag beteuert, man werde "alles dafür tun, missbräuchliche Dividendenarbitragegeschäfte zu unterbinden". Und weiter "dafür sorgen, dass erlittene Steuerschäden konsequent zurückgefordert und eingezogen werden". Nun soll zwar eine neue Bundesoberbehörde entstehen, die Finanzkriminalität effektiv bekämpfen soll, doch Fälle von Cum-Cum oder Cum-Ex sollen von dem neuen Bundesamt gar nicht angefasst werden.
Zwar ist bei übergeordneten Betriebsprüfungen das bereits bestehende Bundeszentralamt für Steuern zuständig, das dem Bundesfinanzministerium untersteht. Dennoch schiebt Bundesfinanzminister Christian Lindner die Verantwortung vor allem auf die Länder. Auf Nachfrage betont der FDP-Politiker, es sei die Aufgabe der Steuerverwaltung und der Steuerfahndung der einzelnen Landesbehörden, Cum-Cum-Fälle aufzuklären und Täterinnen und Täter zur Rechenschaft zu ziehen.
Einige Länder schreiben dazu, grundsätzlich habe die Verfolgung von Steuerhinterziehung und organisiertem Steuerbetrug Priorität. Allerdings seien die mit Cum-Cum verbundenen Vorgänge sehr komplex und zeitaufwändig.
Vorbild Frankreich
Die ehemalige Oberstaatsanwältin Brorhilker kritisiert: "Die Finanzverwaltung tut sich unendlich schwer, die Gelder zurückzuholen, und auch die Staatsanwaltschaften und Ermittlungsbehörden in Deutschland sind viel zu schwach aufgestellt, um diese Geschäfte systematisch zu verfolgen." Besonders ärgert sie daran, dass die Behörden mit zweierlei Maß messen würden. Bei Drogenkriminalität verfolge man beispielsweise jeden Fall. Im Bereich der organisierten Wirtschaftskriminalität werde öfter mal weggeschaut.
Anders in Frankreich. Hier wurde laut Brorhilker extra eine Staatsanwaltschaft gegründet und systematisch ausgestattet. Sie soll sich insbesondere um die Aufarbeitung von Cum-Cum-Fällen kümmern. Im Zuge dessen wurden alle Banken, die in Bezug auf mögliche Geschäfte in Betracht kamen, durchsucht, erzählt sie kämpferisch. "Es geht also einiges, wenn man nur will."