NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Archivbild)
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Entmachtung von Cum-Ex-Ermittlerin Hat der Minister den Personalrat getäuscht?

Stand: 29.09.2023 15:08 Uhr

Wegen der umstrittenen Entmachtung von Deutschlands wichtigster Cum-Ex-Ermittlerin durch NRW-Justizminister Limbach erheben Personalvertreter nach WDR-Informationen schwere Vorwürfe gegen den Minister.

Das zweiseitige Schreiben, das den nordrhein-westfälischen Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) Anfang der Woche erreichte, war nichts weniger als in Zeilen gegossenes Misstrauen. Absender war der Hauptstaatsanwaltsrat, die Personalvertretung von NRWs Strafverfolgern. In dem Brief, der dem WDR vorliegt, geht es um die umstrittene Entmachtung von Deutschlands wichtigster Cum-Ex-Ermittlerin - vor allem aber um die Frage, ob der Justizminister den Personalvertretern die Wahrheit gesagt hat.

Auslöser des Eklats war das regelmäßig stattfindende "Vierteljahresgespräch", das die Personalvertreter am 18. September mit dem Minister geführt haben. Unter anderem ging es darin auch um Pläne der Staatsanwaltschaft Köln, die "Cum-Ex"-Hauptabteilung H umzustrukturieren. Die Abteilung unter der Leitung von Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker ist für die überwiegende Zahl an Cum-Ex-Fällen in Deutschland zuständig, ermittelt gegen mehr als 1700 Beschuldigte.

Ein Jahrzehnt Erfahrung - und Erfolge

Seit 2013 ist Brorhilker im Thema. Ihre Ermittlungen führten unter anderem zu den ersten rechtskräftigen Urteilen. Seitdem ist höchstrichterlich festgestellt, dass sich Banker, Berater und Aktienhändler niemals Steuern in Milliardenhöhe erstatten lassen durften, die niemand gezahlt hatte.

Im Gespräch mit den Personalvertretern soll Justizminister Limbach erklärt haben, damit noch nicht befasst worden zu sein. Nur einen Tag später jedoch berichtete das "Manager-Magazin" erstmals über eine mögliche Entmachtung Brorhilkers durch Limbach. Die Oberstaatsanwältin solle die Hälfte ihrer Fälle abgeben. Inzwischen ist diese Entmachtung offiziell entschieden.

Wurde die Personalvertetung übergangen?

Die Personalvertreter fühlen sich nach WDR-Recherchen getäuscht. Die Vermutung liege nahe, schrieben sie Anfang der Woche, "dass Sie uns über wesentliche Vorgänge in Sachen Umorganisation der betroffenen Hauptabteilung absichtlich nicht informiert haben, obwohl Ihnen, jedenfalls aber den ebenfalls teilnehmenden AL III und dem AL Z [Gemeint sind die Abteilungsleitungen III und Z des Justizministeriums, Anmerkung der Redaktion.] das zu diesem Zeitpunkt bereits möglich gewesen sein muss."

Zur Abwendung einer "schweren Störung der Vertrauensgrundlage" verlangen die Personalvertreter vom Minister detaillierte Auskünfte, wer was wann wusste. Bis zur umfassenden Aufklärung rege man an, "bis zu befriedigenden Antworten auf unsere Fragen einvernehmlich auf ein Vierteljahresgespräch zu verzichten", heißt es in dem Schreiben, das am Freitagnachmittag per Newsletter auch an die Staatsanwälte in NRW ging.

Ministerium widerspricht

Ein Sprecher des Ministeriums erklärte auf Anfrage, dem Minister sei ein Schreiben mit der neuen Organisationsstrukur erst nach dem Vierteljahresgespräch am 22. September zugeleitet worden. Das Ministerium werde dem Hauptstaatsanwaltsrat selbstverständlich antworten, dann läge es an den Personalvertretern, ob es zu den Vierteljahresgespräch komme.

Die regelmäßigen Gespräche seien per Gesetz vorgesehen. Unbeantwortet blieb die Frage, ob der Minister jenseits des offiziellen Berichts von den Plänen bereits wusste und welchen Kenntnisstand die ebenfalls anwesenden zuständigen Abteilungsleiter zum Zeitpunkt des Gesprächs hatten.

Minister gab sich unwissend

Tatsächlich hatte Limbach Mitte vergangener Woche auch vor den Fernsehkameras des WDR-Politmagazins Westpol mehrfach behauptet, es handele sich um Pläne der Staatsanwaltschaft Köln, die ihm noch nicht berichtet worden seien. Wenig später enthüllte der WDR ein Schreiben des Generalstaatsanwalts, das Fragen an dieser Darstellung aufwarf.

Demnach sei der ranghöchste Staatsanwalt NRWs anfänglich in die Überlegungen zwischen Justizministerium und Staatsanwaltschaft Köln gar nicht eingebunden gewesen. Am vergangenen Mittwoch erklärte Limbach dann im Rechtsausschuss des Landtags, die neue Organisation der Hauptabteilung H sei beschlossene Sache.

Zweifel an Limbachs Aussage zu möglicher Verschleppung

Und auch in einem weiteren Cum-Ex-Streit steht die Frage im Raum, ob Limbach die Wahrheit gesagt hat. Es geht um seinen Auftritt vor dem Rechtsausschuss des Landtags am 8. August 2023. Der Minister stand unter Druck, hatten ihm doch Mitglieder des Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschusses öffentlich vorgeworfen, die Aufklärung des größten deutschen Steuerskandals zu verschleppen.

Konkret ging es um die Warburg-Affäre und die Rolle des damaligen Ersten Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz. Die Hamburger Abgeordneten hatten Akten und Beweismittel aus den Ermittlungen in Köln angefordert. Vor allem E-Mail-Postfächer von engen Scholz-Vertrauten wie den heutigen Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt und Scholz' einstiger Büroleiterin interessierten sie. Doch sie warteten mehr als ein Jahr lang vergeblich.

Nur eine PR-Aktion des Ministers?

Vor dem Rechtsausschuss machte Limbach im August die Angelegenheit zur Chefsache. Nicht er, so die Botschaft, habe die Übermittlung verhindert, sondern die Leitung der Kölner Staatsanwaltschaft. Limbach persönlich habe deshalb als "letztes Mittel" eigene Mitarbeiter in die Staatsanwaltschaft Köln geschickt, die Daten dort auf einen Stick ziehen lassen und mittels einer vierköpfigen, hochrangigen Delegation nach Hamburg zum Untersuchungsausschuss überbringen lassen.

Limbach betonte, "dass mein Haus und auch ich ganz persönlich die Untersuchung des Hamburger Ausschusses selbstverständlich vollumfänglich und bereitwillig unterstützen."

Ein interner Bericht, verfasst von der Kölner Cum-Ex-Ermittlerin Anne Brorhilker, lässt jedoch nach WDR-Recherchen Zweifel an Limbachs Darstellung aufkommen. In ihrem vertraulichen Schreiben an die Personalvertretung soll Brorhilker der Darstellung Limbachs deutlich widersprochen haben. Demnach hätten jene Unterlagen, die der Minister so öffentlichkeitswirksam abholen ließ, dem Ministerium längst vorgelegen.

Mit Bericht vom 9. März 2023 und vom 09. Mai 2023 habe die Staatsanwaltschaft Köln die Unterlagen bereits nach Düsseldorf geschickt. Warum Anfang Juli ein Entsandter des Justizministeriums eigens über den Rhein gereist sei, um die Unterlagen ein weiteres Mal abzuholen, wäre demnach nicht erklärlich. Ebenso die Frage, warum das Ministerium die bereits vorliegenden Daten nicht an den Hamburger Untersuchungsausschuss weitergeleitet habe.

Leiter der Staatsanwaltschaft trat zurück

Auch der Darstellung, lediglich der damalige Leiter der Kölner Staatsanwaltschaft, Joachim Roth, habe sich der Herausgabe von Asservaten entgegengestellt, soll Brorhilker in ihrem Schreiben widersprechen. Im Zuge des Streits hatte Roth angekündigt, in den vorzeitigen Ruhestand zu gehen. Laut des Schreibens habe das Justizministerium die Rechtsauffassung Roths selbst lange Zeit geteilt und habe seinerseits keine Asservate herausgeben wollen.

Die Kölner Staatsanwaltschaft erklärte auf Anfrage, zu innerbehördlichen Angelegenheiten keine Auskunft zu erteilen. Das Justizministerium erklärte, ihm liege das Schreiben nicht vor und verwies auf die Aussagen des Ministers vor dem Rechtsausschuss.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete WDR in der Sendung Westpol am 24. September 2023 um 19:30 Uhr.