Bürokratieentlastungsgesetz "Ein Geschenk an Kriminelle"
Für Ermittler könnte es künftig schwerer werden, Steuerbetrügereien wie Cum-Ex zu verfolgen. Grund dafür ist ein Gesetz, das kommende Woche verabschiedet werden soll. Experten warnen vor Milliardenschäden.
Die Sonne strahlt über Schloss Meseberg, als Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) am Morgen des 30. August 2023 vor die Kameras tritt. Die Ampelkoalition hat sich zur Klausur verabredet - und ist sichtbar gewillt, Optimismus zu verbreiten.
"Wir wollen den Bürokratie-Burnout beseitigen." Das vierte Bürokratieentlastungsgesetz solle das Dickicht an Formularen und Bestimmungen in Deutschland lichten.
Mehr als ein Jahr ist seit der Klausur vergangen, in der kommenden Woche soll das Gesetz im Bundestag nun verabschiedet werden. Eine der wichtigsten Maßnahmen: Die Aufbewahrungsfrist für Steuer- und Buchungsbelege soll laut Gesetzesentwurf von zehn auf acht Jahre verkürzt werden.
Papierberge sollen damit vermieden, Kosten für Archivräume in Unternehmen eingespart werden. Angeblich soll die neue Maßnahme Bürgern und Unternehmen rund 626 Millionen Euro im Jahr sparen. Gemessen an den Einsparungen ist die Verkürzung der Aufbewahrungsfrist das Herzstück des neuen Gesetzes.
Verfolgung von Steuerkriminalität wird schwieriger
Während sich die Wirtschaft freut, fürchtet so mancher ein Burnout für Staatsanwälte und Steuerfahnder durch die angedachte Bestimmung. Steuerbetrügereien wie Cum-Ex, Cum-Cum oder Umsatzsteuerkarusselle, mit denen Kriminelle den Fiskus um Milliardensummen bestahlen, könnten künftig noch schwerer zu ermitteln sein.
Die einstige Cum-Ex-Chefermittlerin und heutige Geschäftsführerin der Nichtregierungsorganisation "Finanzwende", Anne Brorhilker, kritisiert die Bestimmung: "Die Bundesregierung erleichtert es, Steuern zu hinterziehen. Eine Aufbewahrungsfrist von acht Jahren ist viel zu wenig, weil schwere Steuerstrafdelikte erst nach 15 Jahren verjähren. Die Täter könnten also eigentlich noch belangt werden, dürfen aber quasi legal Beweismittel vernichten. Die Unterlagen sind dann weg, die Milliarden auch."
Umkehr von der bisherigen Politik
Das Pikante: Erst vor wenigen Jahren hatte der Bund die Verjährungsfristen für besonders schwere Steuerhinterziehung noch von zehn auf 15 Jahre angehoben. Mit der Regelung sollte Ermittlern die nötige Zeit verschafft werden, die hochkomplexe Verfolgung der Steuerstraftäter aufzunehmen.
Florian Köbler, Vorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, sieht durch den Gesetzesentwurf auch die Gefahr, dass das Vertrauen in die Steuergerechtigkeit untergraben wird. Die Gewerkschaft vertritt die Interessen von Finanzbeamten und Steuerfahndern. "Der Gesetzgeber öffnet Straftätern Tür und Tor. Er verspielt leichtfertig die Mittel des Rechtsstaats. Ohne Not und ohne Sinn. Ein Geschenk an Kriminelle", sagt Köbler.
Experte hält Milliardenschäden für möglich
Im Gesetzentwurf rechnet das Finanzministerium durch die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen mit Steuerausfällen in Höhe von 200 Millionen Euro im Jahr. Und Köbler hält selbst diese Zahlen für zu niedrig: "Die Realität dürfte weit düsterer aussehen. Denken wir an die Milliardenschäden durch Umsatzsteuerkarusselle, Cum-Ex und ähnliche Betrügereien."
Auch die Aufarbeitung sogenannter Cum-Cum-Geschäfte könnte durch die Pläne einen Rückschlag erfahren. Insgesamt wurde der Staat mit den Geschäften um geschätzte 35 Milliarden Euro geprellt. Der Steuergewerkschaftler warnt: "Finanzämter benötigen oft Jahre, um komplexe Steuerkonstrukte aufzudecken. Die geplante Verkürzung ist daher ein gefährlicher Schritt. Sie behindert die Aufarbeitung von Cum-Cum und ähnlichen Geschäften."
Uneinigkeit in der Ampel
Nicht nur von außen hagelt es Kritik, auch hinter den Kulissen sorgte die angedachte Regelung nach Informationen des WDR für mächtig Ärger zwischen Ampel-Politikern. Während Finanzpolitiker von SPD und Grünen die Regelung kritisierten, machten sich offenbar vor allem FDP-Politiker für die Änderung stark - allen voran Finanzminister Christian Lindner sowie Justizminister Buschmann. Auch das von Robert Habeck geführte Wirtschaftsministerium soll die Verkürzung befürwortet haben.
Der finanzpolitische Sprecher der SPD, Michael Schrodi, zweifelt den Nutzen des Gesetzes an. Dieser sei nicht nachvollziehbar. "Die Aufbewahrungspflicht hatte einen Zweck, nämlich vor Steuerbetrügereien zu schützen. Durch die Verkürzung verschlechtern sich die Aufdeckungsmöglichkeiten von Steuerhinterziehungen im neunten und zehnten Jahr."
Den damit verbundenen Steuerausfällen stünden nur geringe und abnehmende Bürokratieentlastungen der Unternehmen gegenüber, so Schrodi. "Darauf habe ich in den Gesetzesberatungen ausdrücklich hingewiesen. Doch das Wirtschaftsministerium und das Finanzministerium haben auf die Verkürzung bestanden."
Finanzministerium sieht Steuerhinterziehung nicht erleichtert
Das federführende FDP-geführte Bundesfinanzministerium beschwichtigt derweil auf Anfrage: "Die Aufbewahrungsfrist für Buchungsbelege (zehn Jahre) und die Verjährungsfrist für Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen (15 Jahre) ist bereits nach geltender Rechtslage nicht deckungsgleich. Insoweit ist das keine Neuigkeit." Steuerhinterziehung werde durch die neue Regelung auch nicht erleichtert, so das Ministerium, da sie nur Buchungsbelege betreffe.
Zudem seien Maßnahmen ergriffen worden, um Außenprüfungen bei Unternehmen künftig schneller zu beginnen und abzuschließen. "Zum anderen läuft die Aufbewahrungsfrist nicht ab, soweit und solange Unterlagen für Steuern von Bedeutung sind, für die die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Das bedeutet, dass sich die Aufbewahrungsfrist im Einzelfall auch über acht Jahre hinaus verlängern kann."
Finanzwende-Chefin Brorhilker sieht durch die geplanten Änderungen Ermittungen gefährdet.
Brorhilker warnt vor Dunkelfeld
Finanzwende-Geschäftsführerin Brorhilker hält das Argument für eine Nebelkerze: "Der Einwand des Finanzministeriums gilt nur für Fälle, die den Behörden bereits bekannt sind und wo bereits Prüfungen oder Ermittlungen laufen. Gerade bei Cum-Cum-Fällen gibt es aber offensichtlich ein sehr großes Dunkelfeld von noch unentdeckten Fällen."
Und weil Cum-Ex- und Cum-Cum-Fälle erfahrungsgemäß verschleiert werden, um die Aufklärung zu erschweren, kommt die Beteiligung zum Beispiel einer Bank meistens erst Jahre später ans Licht", so Brorhilker. "Doch je kürzer die Aufbewahrungsfrist, desto größer die Chance, dass die Beweise dann legal vernichtet sind."
Einsparungen nach unten korrigiert
Auch die Frage, wie groß der Nutzen der Regelung überhaupt ist, sorgte in der Ampelkoalition für Diskussionen. Schon im Bürokratieentlastungsgesetz 3 war eine Verkürzung vorgesehen, wurde jedoch nicht umgesetzt. Damals taxierte das Finanzministerium die Einsparungen für Unternehmen noch auf 1,7 Milliarden Euro im Jahr, inzwischen ist die Zahl auf 626 Millionen Euro geschrumpft.
SPD-Finanzpolitiker Schrodi sieht angesichts der zunehmenden digitalen Belegaufbewahrung keine nennenswerte Entlastung. Im Gesetz selber werde die Einsparung bei einem Unternehmen mit digitaler Aufbewahrung auf zwölf Euro im Jahr berechnet. "Bei einer Verkürzung der Aufbewahrungsfrist um zwei Jahre würde also eine Einsparung von nur 24 Euro pro Unternehmen entstehen."
Unternehmen, die Belege noch in Papier aufbewahrten, würden laut der Berechnungen rund 700 Euro in zwei Jahren sparen. Demgegenüber stünden hunderte Millionen an Steuerausfällen, die der Staatskasse durch die neue Regelung fehlten. Freuen dürften sich Unternehmensverbände, die sich für die Verkürzung stark gemacht hatten - etwa der Steuerberaterverband, der gar eine Verkürzung auf fünf Jahre gefordert hatte.