Kolumne "Euroschau" Warum die Zinswende noch tabu ist
Niedrige Zinsen nerven Sparer schon lange - hinzu kommt nun, dass die Inflation zuletzt stark gestiegen ist: Genügend Gründe, die lockere Zinspolitik zu ändern? Die EZB will davon noch nichts wissen - und wird daher zunehmend kritisiert.
Es sah aus wie immer: Dunkle Limousinen mit getönten Scheiben fuhren vor dem eher unscheinbaren Bürogebäude in der Wiener Innenstadt vor. Gut gekleidete Herren mit weißem Ghutrah, der arabischen Kopfbedeckung, stiegen aus und hasteten durch die Eingangstüren. Wichtig wirkende Sekretäre trugen Aktenkoffer durch die Gegend. Und Bodyguards schirmten die Szenerie vor ungebetenen Blicken ab.
Doch das Treffen der Organisation Erdöl exportierender Staaten (OPEC) im Dezember war alles andere als Routine: Zum ersten Mal seit acht Jahren einigten sich die zerstrittenen Mitglieder des schon totgesagten Kartells auf deutliche Förderkürzungen. Saudi-Arabien und Iran rauften sich zusammen, hielten ihre Machtkämpfe aus den Verhandlungen heraus und gaben der OPEC damit neue Macht. Es dauert nicht lange, da schlossen sich auch Nicht-Mitglieder an: So soll künftig auch aus Russland weniger Öl fließen.
Deutlich gestiegene Inflation
Seit der spektakulären Einigung sind die Zeiten des günstigen Rohöls vorbei. Schon im Vorfeld waren die Preise deutlich gestiegen. Im vergangenen Jahr hat sich der Ölpreis verdoppelt. Damit wurden auch Benzin und Heizöl teurer. Diese Entwicklung, aber auch die Erholung der Wirtschaft in vielen Eurostaaten, treibt die Inflation an - viel stärker, als viele Beobachter das für möglich gehalten haben. Im Dezember lag die Inflationsrate bei 1,1 Prozent. Das ist fast doppelt so hoch wie zu Beginn des Jahres. Noch vor wenigen Monaten war die Rate im Minus, sogar das Gespenst der Deflation ging um.
In Deutschland ist die Situation noch extremer: Hier schnellte die Inflationsrate im Dezember auf 1,7 Prozent hoch. Denn auch Obst und Gemüse, Milchprodukte und Handwerker-Leistungen wurden teurer. Damit ist die deutsche Inflationsrate schon ziemlich dicht am selbstgesteckten Ziel der EZB von knapp zwei Prozent für die Eurozone. Vor allem Sparer sind wenig begeistert. Denn anziehende Inflation bei null Prozent Zinsen bedeutet unter dem Strich nur eines: Erspartes verliert an Wert.
Weidmann warnt
Es gäbe also Grund genug für den EZB-Rat, langsam über eine Zinswende nachzudenken. Denn wenn die Inflationsrate weiter in dieser Geschwindigkeit steigt, wäre das Ziel von knapp zwei Prozent schon bald erreicht. Damit wäre auch der Auftrag der EZB erfüllt. Bundesbankpräsident Jens Weidmann warnte schon mal, man dürfe die Geldpolitik nicht zu spät ändern.
Viele Volkswirte verweisen auch auf die Gefahren der lockeren Geldpolitik, etwa für Altersvorsorge, Versicherungen und Pensionskassen. Sie zeigen auf die Blasenbildung an den Aktien- und Immobilienmärkten. Sie betonen die Verzerrungen am Anleihemarkt. Deshalb fordern sie die EZB auf, das Anleihekaufprogramm zu reduzieren und langsam auslaufen zu lassen.
Doch EZB-Präsident Mario Draghi will von einer Änderung der lockeren Geldpolitik nichts wissen. Auf der Pressekonferenz nach der vergangenen Ratssitzung im Dezember erstickte er jede Diskussion darüber im Keim. Das gilt auch für die Idee des Tapering. Damit bezeichnen Ökonomen den langsamen Ausstieg aus dem Anleihekaufprogramm. Die Tatsache, dass die EZB das Volumen für die geplanten zusätzlichen Käufe von April bis Dezember auf 60 Milliarden pro Monat reduziere, sei kein Zeichen für ein Auslaufen der Maßnahme, so der EZB-Präsident. Ganz im Gegenteil: schließlich habe man das Programm damit ja ausgeweitet.
Draghis Mission noch nicht erfüllt
Draghi, große Teile des EZB-Rates und des Direktoriums sehen die EZB noch nicht am Ziel. Es gebe zwar Erfolge, aber die Mission sei noch nicht erfüllt, heißt es immer wieder. Eine Diskussion um eine Trendwende sei verfrüht. So verweist etwa EZB-Direktoriumsmitglied Benoît Cœuré auf die weitere niedrige Kerninflation, die nur bei 0,9 Prozent liege. Die erhält man, wenn man aus der Inflationsrate die Energiepreise herausrechnet. Von einem nachhaltigen Inflationsschub könne daher nicht die Rede sein. Auch deshalb nicht, weil die Währungshüter nach ihren Prognosen nur von einer durchschnittlichen Inflation von 1,3 Prozent in diesem Jahr ausgehen. Frühestens für 2019 wird eine Inflationsrate von knapp zwei Prozent erwartet.
Süden profitiert - Norden kritisiert
So wird der EZB-Rat in dieser Woche mehrheitlich an der gegenwärtigen Geldpolitik festhalten, erst einmal gar nichts tun und abwarten. Doch damit steigen die Spannungen innerhalb der Währungsunion. Denn die Interessen der Mitgliedsstaaten laufen immer weiter auseinander, vor allem zwischen dem Norden und dem Süden Europas.
Die südeuropäischen Länder profitieren von der Situation: Sie können sich weiter sehr günstig verschulden und erfahren keinen Druck, Reformen einzuleiten. In Nordeuropa hingegen, insbesondere in Deutschland, wird die Kritik immer stärker. Solange die Inflation gering war, wurden die niedrigen Zinsen hier zähneknirschend hingenommen. Wenigstens blieb der Wert des Ersparten einigermaßen erhalten. Doch jetzt ist das anders: Das Geld verliert an Wert.
Die nächsten Monate dürften also schwierig werden. Die EZB wird immer stärker im Kreuzfeuer stehen, der Druck auf die Währungshüter wird steigen. Doch vielleicht hilft ja die OPEC. Wenn ihre Mitglieder noch weiter an der Preisschraube drehen, wird die Inflation noch stärker anziehen. Spätestens dann kommt die EZB um eine Diskussion über ihre Geldpolitik nicht mehr herum.