Krise am Immobilienmarkt Wenn schlichte Büros zu schicken Wohnungen werden
In Deutschland fehlen Hunderttausende Wohnungen, gleichzeitig stehen viele Büros leer. Auch weil immer mehr Menschen im Homeoffice arbeiten. Umgebaute Büros - liegt darin die Lösung für die Wohnungsmisere?
Nach fast fünf Monaten Suche hat Lisa Voßkuhl endlich ihre neue Traumwohnung gefunden, mitten in Koblenz. Zwei Zimmer mit Balkon, rund 80 Quadratmeter, im dritten Stock. Die Räume sind hell und frisch saniert. Ihre Wohnung liegt sehr zentral und viel näher zu ihrem Arbeitgeber, damit spare sie jeden Tag viel Fahrtzeit, sagt die 33 Jahre alte Juristin. "Ich hatte wahnsinnig viel Glück", die Wohnungssuche sei die reinste Odyssee gewesen.
Voßkuhl zahlt rund 900 Euro Kaltmiete im Monat. Sie wohnt nun in einem Haus, das schon mehr als 60 Jahre alt ist. Früher wurde darin nicht gewohnt, sondern gearbeitet. Es war ein reines Bürogebäude, das aber schon deutlich in die Jahre gekommen und ein Sanierungsfall war.
Umbau kostet mehrere Millionen
Die Idee sei gewesen, aus nüchternen Arbeitszimmern moderne Traumwohnungen zu machen, sagt Thomas Weiler vom Verband Bauwirtschaft Rheinland-Pfalz, dem das Gebäude gehört. Vor vier Jahren musste der Verband entscheiden, was mit dem maroden Bürohaus passieren soll: Verkaufen oder umwidmen und selbst renovieren? "Für uns war immer klar wegen der Lage, kurzer Weg zum Bahnhof, zur Hochschule, die Altstadt, dass wir es selbst in die Hand nehmen und hier einen hochwertigen Wohnraum in Koblenz schaffen", so Weiler.
Doch der Aufwand war groß: Das Gebäude musste komplett neu geplant, entkernt und umgebaut werden. Das Dach wurde aufgestockt, darin sind jetzt schicke Penthouse-Wohnungen. Gesamtkosten des Umbaus: 4,6 Millionen Euro. Insgesamt 21 Wohnungen sind so entstanden - für Singles, Paare und Familien.
Könnte das Koblenzer Beispiel im Kampf gegen die Wohnungskrise auch woanders Schule machen? Denn die Wohnungsnot in Deutschland dürfte sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen. Die Bundesregierung hat ihr selbst gestecktes Ziel, jährlich 400.000 neue Wohnungen bauen zu wollen, bisher deutlich verfehlt. 2023 waren es nur rund 295.000 Wohnungen. Alleine in diesem Jahr fehlen nach Angaben des Zentralen Immobilienverbands (ZIA) deutschlandweit jedoch 600.000 Wohnungen.
Experten sehen Potenzial von Tausenden Wohnungen
Durch den Umbau von leerstehenden Büros könnten in Großstädten Tausende Wohnungen geschaffen werden - das hat die Immobilien-Beratungsfirma Jones Lang LaSalle (JLL) berechnet. Helge Scheunemann hat dafür den Büroleerstand in den sieben größten deutschen Städten untersucht, darunter Metropolen wie Berlin, München, Hamburg und Köln. Ergebnis: Mehr als fünf Millionen Quadratmeter leerstehende Büroflächen (Stand Ende 2023). Er kommt zu dem Schluss, dass man daraus etwa 11.300 neue Wohnungen bauen könnte.
Entscheidend sei aber, dass sie in Lagen entstehen, die für Wohnungssuchende interessant sind. Also über eine gute Infrastruktur verfügen, dazu gehören ein guter ÖPNV-Anschluss, Kindergärten, Schulen und Einkaufsmöglichkeiten in der Umgebung. Denn Bürostandorte seien nicht automatisch auch als Wohnstandorte geeignet, so Scheunemann.
Besonders in Städten wie Düsseldorf, Stuttgart und Frankfurt am Main lasse sich mit Umbauten ein großer Teil des aktuellen Wohnungsbedarfs decken, so der Immobilienexperte. Dort gebe es besonders viele geeignete Büroflächen. Umbauen sei zudem ökologischer, denn ein Neubau bedeute immer auch CO2-Emissionen. Insgesamt spiele die Umwandlung von Büros aber bisher noch eine relativ kleine Rolle, sagt Scheunemann, das Thema habe allerdings in den vergangenen Jahren "an Fahrt aufgenommen". Beispielsweise hätten sich in Frankfurt in den vergangenen 15 Jahren die Zahl der Büroumbauten mehr als verdoppelt.
Bauvorschriften machen es schwierig
Ungenutzte Büros in Wohnungen umzubauen, erscheint also sinnvoll. Aber: Einfach ist es nicht. Umwidmungen sind wegen der gestiegenen Baukosten teuer und aufwendig, sagen Experten. Hinzu kommen die gesetzlichen Vorgaben: Denn, wenn Menschen wie Lisa Voßkuhl dort wohnen wollen, wo früher gearbeitet wurde, dann ist das eine andere Nutzung. "In dem Moment, in dem sie einen Nutzungsänderungsantrag stellen, müssen sie die gültigen Normen und Vorschriften einhalten und entsprechende Nachweise führen", erklärt Architekt Markus Konen.
Dabei geht es etwa um die Regeln für Schallschutz, Statik oder Barrierefreiheit. Weit mehr als 3.000 Normen und Vorgaben gibt es im deutschen Bauwesen, seit Jahren nehmen diese immer weiter zu - was Architekten wie Markus Konen beklagen. Denn dadurch erhöhten sich auch Bauzeit und Kosten. Und Umbauen werde komplizierter, was sich am Ende auch auf die Mietpreise auswirken könnte.
Immobilienexperte Helge Scheunemann geht davon aus, dass der Wohnungsbedarf in den sieben größten Städten durch die Umwandlung leerer Büros zu rund einem Fünftel gedeckt werden könnte. An einen Ausweg aus der Wohnungsmisere durch Büros glaubt er allerdings nicht: "Als Game Changer würde ich es nicht bezeichnen wollen. Dafür ist das Potenzial, das man daraus ziehen kann, zu gering. Aber es ist ein Baustein unter vielen, um den Wohnungsbau anzukurbeln oder um den Wohnungsmangel in den Großstädten zu lindern", so Scheunemann.