Inklusion in deutschen Betrieben "Er gehört zum Team wie alle anderen"
Die Bundesregierung will mehr Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt integrieren. Die Zahlen gingen zuletzt zurück. Dabei kann Inklusion gelingen - wie ein Beispiel aus der Eifel zeigt.
Wenn Marcel Heinz einen Arbeitstag damit verbracht hat, Rigipsplatten zu verspachteln, dann weiß er am nächsten Tag nicht mehr, wie das geht. Das ist bei allem so, was er tut. Marcel Heinz ist 26 Jahre alt und hat eine geistige Behinderung. Er kann sich Arbeitsabläufe nicht lange merken, und es fällt ihm schwer, sich zu konzentrieren.
Dennoch arbeitet Heinz seit mehr als einem Jahr in Vollzeit bei einer Trockenbau-Firma in Hersdorf in der Eifel. Sein Chef Manfred Krämer sagt: "Marcel weiß, dass er jede Frage stellen kann, und zwar so oft, wie es sein muss."
Marcel Heinz kann sich Arbeitsabläufe wegen einer Behinderung nicht gut merken. Trotzdem führt er alle Arbeiten aus, die in seiner Firma anfallen.
Inklusion erfordert intensive Betreuung
Allein könne Marcel Heinz allerdings nicht eingesetzt werde, so der Unternehmer. Er stelle ihm immer jemanden zur Seite, der ihn anleite. Meist mache Firmenchef Krämer es sogar selbst. Marcel werde nur für Tätigkeiten eingeplant, die ihm zuzutrauen seien, Hilfsarbeiten, die er gut leisten könne.
Gleichzeitig möchte Krämer aber nicht, dass Marcel Heinz nur das macht, was andere Mitarbeiter vielleicht nicht so gerne tun - Fegen oder Dreck wegmachen. "Marcel gehört voll dazu, auch wenn er nur ein Viertel von dem leisten kann, was die anderen Mitarbeiter tun", sagt sein Chef.
Firmenchef Manfred Krämer (rechts) achtet darauf, dass Marcel Heinz dieselben Arbeiten ausführt wie seine Kollegen.
Förderprogramme bieten Chance
Zusammen mit 25 anderen jungen Menschen hat Marcel Heinz an einem Förderprogramm des Amtes für Soziales, der Bundesagentur für Arbeit und des Bürgerservice Bitburg-Prüm teilgenommen. Das hat ihm den Weg auf den ersten Arbeitsmarkt geebnet. Bewusst entschied er sich, diesen Weg zu gehen, statt in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung anzufangen.
Inzwischen ist er fest angestellt, 75 Prozent seines Bruttolohnes werden dauerhaft bezuschusst. Bereut hat Marcel Heinz den Schritt bis heute nicht. Er ist glücklich in der Firma und mag den Kontakt mit seinen Kollegen: "Ich sehe gerne am Ende des Tages, was ich geschafft habe", sagt er.
Nur selten gelingt der Übergang
Doch Beispiele wie das aus der Eifel sind noch immer selten. Nach Angaben der Aktion Mensch wechseln mehr als die Hälfte aller Förderschüler in eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Manche machen dort eine Ausbildung, andere erlernen gar keinen Beruf. Der Übergang von einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gelänge jährlich nur weniger als einem Prozent.
"Dieser Umstand muss sich dringend ändern", sagt Christina Marx, Sprecherin der Aktion Mensch. Menschen mit Behinderung werde eine selbstständige Lebensführung erschwert, und dem allgemeinen Arbeitsmarkt gingen wertvolle Fachkräfte verloren. Das könne sich Deutschland in Zeiten des Fachkräftemangels nicht leisten.
Mehr als 160.000 Menschen mit Behinderung arbeitslos
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit ist die Zahl der schwerbehinderten Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zwar kontinuierlich gestiegen. Der Wachstumstrend sei allerdings durch die Corona-Pandemie gestoppt worden und habe zuletzt stagniert.
Im vergangenen Jahr seien mehr als 160.000 Menschen mit Behinderung arbeitslos gewesen, die Dauer der Arbeitslosigkeit sei dabei deutlich länger als bei Arbeitskräften ohne Behinderung, der Anteil der Langzeitarbeitslosen höher.
Sozialverbände fordern weniger Bürokratie
Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland e.V., fordert beim Thema Inklusion ein Umdenken bei den Unternehmen. Das von der Regierung auf den Weg gebrachte Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes enthalte "wichtige Impulse" und habe einen guten Grundstein gelegt. Es sei richtig, dass Arbeitgeber Ausgleichsabgaben zahlen müssten, wenn sie sich der Beschäftigungspflicht schwerbehinderter Menschen entzögen.
Allerdings hebt Bentele hervor: "Rund 45.000 beschäftigungspflichtige Arbeitgeber stellen nicht mal einen einzigen schwerbehinderten Menschen ein." Fördermittel wie etwa Lohnkostenzuschüsse oder finanzielle Hilfen zur behindertengerechten Ausstattung des Arbeitsplatzes zu beantragen, sei häufig "zu kompliziert" und "zu langwierig".
Es gebe Arbeitgeber, die Menschen mit Behinderung durchaus einstellen wollten, aber wochenlang auf eine Reaktion des zuständigen Integrationsamtes warteten - und es sich schließlich anders überlegten.
Überdurchschnittlich qualifiziert
Dabei sei Inklusion durchaus "ein Gewinn für alle", sagt eine Sprecherin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Denn während in bestimmten Branchen und Regionen qualifizierte Bewerber fehlten, seien viele Menschen mit Behinderung überdurchschnittlich gut ausgebildet.
Im Jahresdurchschnitt 2022 hatten von den schwerbehinderten Arbeitslosen 54 Prozent einen Berufs- oder Hochschulabschluss. Bei den Arbeitslosen ohne Behinderung waren es nach Angaben des Ministeriums 43 Prozent. "Unternehmen, die inklusiv denken und handeln, sichern sich engagierte Fachkräfte und steigern ihre Attraktivität durch eine vielfältige Unternehmenskultur", so die Ministeriumssprecherin.
Engagement einzelner Arbeitgeber
Fakt ist: Inklusion hängt in Deutschland noch immer auch vom Engagement und dem Willen einzelner Unternehmen ab. Der Chef der Trockenbau-Firma im rheinland-pfälzischen Hersdorf, Manfred Krämer, sagt, er habe Marcel Heinz eingestellt, weil Inklusion ihm ein "Herzensanliegen" sei. Ihm sei bewusst, dass er viel eigene Arbeitszeit und auch Kraft investiere.
Gelegentlich belächelten ihn manche Kollegen sogar. Ihnen entgegnet der Unternehmer dann selbstbewusst: "Jeder Tag, den ich mit Marcel verbringe, treibt mich an, allen zu zeigen, dass es funktionieren kann."