Pestizidrückstände im Trinkwasser Maisanbau mit Folgen
Jahrzehntelang wurde S-Metolachlor in der Landwirtschaft gegen Unkraut gespritzt. Jetzt weiß man von der Gefährlichkeit des Mittels und wohl auch seiner Abbauprodukte. Wasserversorger und ihre Kunden könnten den Preis bezahlen.
Der Wirkstoff S-Metolachlor war viele Jahrzehnte eines der wichtigsten Mittel gegen Unkräuter im Maisanbau. Jetzt liegen neue Erkenntnisse vor: S-Metolachlor kann vermutlich Krebs erzeugen. Seine Rückstände sind bereits in hohen Konzentrationen im Grundwasser - und kommen daher auch im Trinkwasser an.
Leitungswasser insbesondere im Norden belastet
Neben der Kuhweide des niedersächsischen Milchbauern Björn Scherhorn steht der Mais des Nachbarn. Jahrzehnte lang wurde auf solchen Feldern der Wirkstoff S-Metolachlor gegen Unkraut gespritzt. Doch mit den neuen Erkenntnissen werden jetzt auch die Abbauprodukte von S-Metolachlor mit anderen Augen betrachtet.
Besonders belastet sind die Regionen in Norddeutschland. Hier regnet es viel und die teils sandigen Böden sind sehr durchlässig. Um herauszufinden, in welcher Konzentration die Abbauprodukte in Privathaushalten ankommen, nimmt der NDR bei Landwirt Scherhorn eine Leitungswasserprobe und schickt sie in ein Labor.
Auf dem Hof von Landwirt Scherhorn finden sich Abbauprodukte von S-Metolachlor im Leitungswasser.
Das stellt fest, dass sich in dem Wasser zwei Abbauprodukte von S-Metolachlor befinden. Björn Scherhorn überrascht das Ergebnis. "Das ist schon krass, wenn man jetzt auch drüber nachdenkt, wie viele Haushalte an so einem Netz dann einfach mal dranhängen."
Der Wasserversorger der Familie Scherhorn teilt mit, dass er in engem Kontakt mit dem Gesundheitsdienst stehe. Das Wasser entspreche aktuell den gesetzlichen Vorgaben. Sobald ein niedrigerer Grenzwert vorgeschrieben würde, werde man Maßnahmen treffen, um ihn einzuhalten.
Neuer Grenzwert im Pflanzenrecht
Vor der Neubewertung von S-Metolachlor galten seine Abbauprodukte pflanzenschutzrechtlich als nicht relevant. Seit der Wirkstoff aber als vermutlich krebserzeugend eingestuft wurde, dürften daher nur noch Konzentrationen von unter 0,1 Mikrogramm pro Liter im Grundwasser ankommen.
Konstantin Kuppe vom Umweltbundesamt sagt, so niedrige Konzentrationen werden flächendeckend im Grundwasser überschritten. Als Experte für Pestizide im Umweltbundesamt hatte Kuppe über Jahre S-Metolachlor im Blick - und die Rückstände, die erstehen, wenn Mikroorganismen den Unkrautvernichter im Boden zu 19 verschiedenen Stoffen abbauen. Kuppe sieht in seinen Datensätzen teilweise Konzentrationen von 30 Mikrogramm pro Liter.
Der Schwellenwert, den solche Stoffe im Grundwasser eigentlich nicht überschreiten sollen, liegt bei zehn Mikrogramm. "Die Trinkwasser-Leiter sind flächendeckend belastet mit hohen Konzentrationen an Abbauprodukten von S-Metolachlor. Und das stellt jetzt ein Problem für die Wasserversorger dar", so Kuppe.
Abbauprodukte lassen sich nicht einfach entfernen
Am Technologiezentrum Wasser wurde bereits reagiert. Es wurden Pilotversuche durchgeführt, um herauszufinden, mit welchen Methoden sich die Abbauprodukte von S-Metolachlor überhaupt aus dem Wasser entfernen lassen.
Frank Sacher, Abteilungsleiter Wasserchemie am Technologiezentrum Wasser fasst die ersten Ergebnisse so zusammen: "Wir haben versucht, die Abbauprodukte von S-Metolachlor mit Aktivkohlefiltern aus belastetem Wasser zu entfernen. Das hat nicht für alle 19 Abbauprodukte funktioniert."
Membranen filtern auch erwünschte Stoffe aus
Alternativ könnte Wasser mit den Rückständen von S-Metolachlor durch eine engmaschige Membran gepumpt werden. Dann würden aber auch alle wünschenswerten Bestandteile aus dem Wasser entfernt - wie zum Beispiel Mineralstoffe. Aus einem eigentlich natürlichen Produkt würde ein künstliches", so Sacher.
Auf manchen Wasserwerken sei auch gar kein Platz vorhanden, um eine zusätzliche Reinigungsstufe einzurichten. Die Einhaltung eines niedrigeren Grenzwertes von nur noch 0,1 Mikrogramm pro Liter sei daher für die Abbauprodukte von S-Metolachlor nicht kurzfristig umzusetzen.
Wasserversorger rechnen mit hohen Kosten
Auch Olaf Schröder, Geschäftsführer des Wasserverbands Peine, beschäftigt sich mit den Kosten, die die Entfernung der Abbauprodukte von S-Metolachlor verursachen würden. Er sieht, dass die Stoffe in den Trinkwasserbrunnen ankommen. Um sie zu entfernen, müsste auch er zusätzliche Filtertechnik anschaffen.
Dafür wird ein Anbau notwendig sein. Schröder rechnet mit Kosten von drei bis fünf Millionen Euro. Am Ende könnte es für private Wasserkunden zu Mehrkosten von 30 bis 50 Cent pro Kubikmeter kommen, schätzt er: "So ein Anbau kostet Geld, viel Geld. Den müssen Trinkwasserkunden bezahlen, und am Ende verlieren alle: Es verliert die Landwirtschaft, weil sie die Mittel nicht mehr zur Verfügung hat, die sie benötigt. Es verliert der Kunde, weil er bezahlen muss, was andere hinterlassen haben."
Die Agro-Chemie müsse endlich aufwachen und Mittel in den Verkehr bringen, die für die Trinkwasserversorgung unbedenklich sind, empfiehlt Schröder. "Dann haben alle was davon."
Wasserverbandschef Schröder befürchtet hohe Kosten für die Trinkwasserversorger.
Mehr Abbauprodukte als zunächst angenommen
Um den Eintrag der Abbauprodukte ins Grundwasser zu stoppen, empfahl das Umweltbundesamt schon vor Jahren, die Zulassung des Wirkstoffs S-Metolachlor zu überprüfen - unter anderem, weil in Deutschland mehr Abbauprodukte von S-Metolachlor im Grundwasser ankamen, als ursprünglich bei der Zulassung angenommen worden war.
In Ausnahmefällen ist es möglich, dass die Zulassung eines auf EU-Ebene zugelassenen Pestizids für Deutschland widerrufen wird. Prinzipiell können hohe Einträge von Rückständen ins Grundwasser Auslöser für eine solche Überprüfung der Zulassung sein. Doch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit bewertete das Risiko damals anders, sah keinen Anlass für eine Überprüfung der Zulassung und verwies darauf, dass diese Entscheidung auf EU-Ebene getroffen werden müsse.
Diese Einschätzung bestätigte zunächst auch ein Gericht. Damit war es weiterhin erlaubt, dass Abbauprodukte von S-Metolachlor in hohen Konzentrationen im Grundwasser ankamen - so lange, bis die EU den Wirkstoff nun als vermutlich krebserzeugend bewertete und verbot.
Der Umweltmediziner Thomas Lob-Corzilus erklärt, dass Abbauprodukte von S-Metolachlor im menschlichen Körper bleiben und im Laufe der Jahre mehr werden könnten. "Potenziell, wenn wir direkt Leitungswasser mit höheren Konzentrationen trinken würden oder trinken müssten, weil es gar kein anderes mehr gäbe, dann würde sich das auch bei uns anreichern und möglicherweise eben krebserregend sein. Und das ist der Grund gewesen zu sagen: Dieses Risiko gehen wir definitiv jetzt nicht mehr ein."
Datenlage unvollständig
Auf Basis einer unvollständigen Datenlage könne ein Verbraucherrisiko für die Abbauprodukte von S-Metolachlor weder ausgeschlossen noch sicher belegt werden, so die für die Zulassung von Pestiziden zuständige Bundesbehörde, das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Auch aus diesem Grund hat die Behörde die Zulassung für S-Metolachlor nicht mehr verlängert. Seit dem 23. Juli 2024 darf der Wirkstoff S-Metolachlor nicht mehr auf Maisfelder gesprüht werden.
Auf EU-Ebene könnte eine Kostenbeteiligung von Pestizidherstellern an der notwendig werdenden Trinkwasseraufbereitung beschlossen werden. Der Wirkstoff S-Metolachlor war zum Beispiel Bestandteil des Produkts Dual Gol, des Unternehmens Syngenta. Syngenta bestätigt gegenüber dem NDR eine erhöhte Grundwasserbelastung vor allem in Regionen Norddeutschlands. Auch, wenn S-Metolachlor selbst als vermutlich krebserregend eingestuft wurde, finde man es aber problematisch, Abbauprodukte nur noch bis zu 0,1 Mikrogramm pro Liter zu erlauben. Es solle besser jeder einzelne Abbaustoff auf eine Gesundheitsgefährdung geprüft werden, so Syngenta.
Zulassungsbestimmungen müssen überarbeitet werden
Die Neubewertung des Wirkstoffs S-Metolachlor zeigt, dass es problematisch ist, wenn Abbauprodukte in hohen Konzentrationen im Grundwasser erlaubt sind, weil sich die Bewertung ihrer Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit ändern kann.
Das Umweltbundesamt hat Lücken und blinde Flecken in den aktuellen Abläufen zur Zulassung von Pflanzenschutzmitteln identifiziert. Um diese Lücken zu schließen, sei eine ständige Weiterentwicklung der Umweltrisikobewertung und des Zulassungssystems notwendig.
In einer ersten Version dieser Meldung hieß es: Am Ende könnte es für private Wasserkunden zu Mehrkosten von 30 bis 50 Cent pro Liter kommen. Richtig sind Mehrkosten von 30 bis 50 Cent pro pro Kubikmeter. Wir haben dies korrigiert.
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen