Chemische Rückstände im Wasser So filtern Kläranlagen Medikamente heraus
Immer mehr Rückstände von Medikamenten landen im Abwasser und damit irgendwann in der Natur. Moderne Kläranlagen wie im bayerischen Weißenburg können die Stoffe weitgehend beseitigen. Warum folgen bisher nur wenige dem Beispiel?
"Es ist ein gutes Gefühl", sagt Abwassermeister Tobias Frühauf. "Man tut was Gutes für die Umwelt." Das Wasser, das von der Kläranlage im mittelfränkischen Weißenburg in das kleine Flüsschen Schwäbische Rezat geleitet wird, ist glasklar und nicht nur optisch richtig sauber. Die Kläranlage hat in einer vierten Reinigungsstufe auch winzige Teilchen von Chemikalien aus dem Wasser beseitigt: Rückstände von Medikamenten und Reinigungsmitteln.
Ozon und Aktivkohle
Die sogenannte vierte Reinigungsstufe von Kläranlagen wurde für Bayern in der Kleinstadt Weißenburg getestet. Sie ist rechnerisch für 35.000 Menschen ausgelegt, inklusive Krankenhaus. Und es ist nur ein schmales Flüsschen, in dem das Abwasser anschließend landet. In der Schweiz, in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen werden die zwei gängigen Verfahren bereits seit einigen Jahren erprobt.
Hier holten sich die Weißenburger Kläranlagen-Betreiber zusammen mit bayerischen Wissenschaftlern Anregungen. Gereinigtes Wasser kann entweder mit Ozon oder mit Aktivkohle behandelt werden, um Reste von Chemikalien zu beseitigen. Ozon zerteilt die Stoffe in Einzelteile. Und an Aktivkohle bleiben sie kleben.
Weil die verschiedenen chemischen Stoffe auf diese beiden Möglichkeiten unterschiedlich reagieren, entschied man sich in Weißenburg für ein doppeltes Verfahren: Zunächst wird das gereinigte Wasser mit Ozon beschossen und anschließend über einen Aktivkohlefilter geleitet. "Damit können wir bis zu 87 Prozent der problematischen Stoffe eliminieren", sagt Martina Hanke, zuständige Bauingenieurin bei der Stadt Weißenburg. Seit dem Jahr 2017 steht die Anlage, vier Jahre lang wurden die Versuche intensiv wissenschaftlich begleitet. Die Wissenschaftler zogen eine positive Bilanz.
Schmerzmittel und Rostschutz verseuchen das Wasser
Auf sechs problematische, chemische Stoffe konzentrierten sich die Wissenschaftler, darunter vier Medikamentenwirkstoffe. Sie sind weit verbreitet und gehen in Apotheken täglich mehrmals über den Ladentisch. Darunter sind der Blutdrucksenker HTC (Hydrochlorothiazid), das Antibiotikum Sulfamethoxazol, das Psychopharmakon Carbamazepin und das Schmerzmittel Diclofenac.
Das Rostschutzmittel Benzotriazol etwa ist in Geschirrspültabs enthalten. Daneben wurde das Korrosionsschutzmittel Methylbenzotriazol untersucht. All diese Stoffe sind biologisch nicht abbaubar, werden also in Bäche und Flüsse gespült und wirken sich schädlich auf Lebewesen aus, vor allem auf Wirbeltiere im Wasser.
Auswirkungen auf Fische
Fließt ausreichend Wasser, sieht das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) wenig Probleme. Allerdings kann es bei niedrigen Pegeln und hohen Temperaturen für Fische und andere Lebewesen schwieriger werden. Vor allem, wenn schädliche Stoffe ständig im Wasser vorhanden sind.
Für problematisch hält das Landesamt das Schmerzmittel Diclofenac. In einer umfangreichen Studie haben Forschende des LfU bei Regenbogenforellen Schäden an Nieren und Kiemen festgestellt, wenn diese vier Wochen lang mit dem Wirkstoff in Berührung kamen, teilt das Bayerische Landesamt für Umwelt mit. Es ist auch in Schmerzsalbe enthalten, die bei Gelenk- oder Muskelschmerzen verwendet wird.
Die vierte Reinigungsstufe in Weißenburg kann diese Stoffe unschädlich machen. Die Wissenschaftler vom Bayerischen Landesamt für Umwelt haben nachgewiesen, dass hinter der Kläranlage Weißenburg kaum noch Hormone im Abwasser waren. "Die Wissensbasis für den Bau und Betrieb weiterer Anlagen zur Spurenstoff-Elimination konnte durch die Ergebnisse aus Weißenburg deutlich erweitert werden", so das Landesamt.
Aktivkohle muss gereinigt werden
Die in der vierten Reinigungsstufe eingesetzte Aktivkohle ist allerdings irgendwann erschöpft, wenn schon zu viele Teilchen am Granulat kleben. Die Eliminationsleistung nimmt dann sehr schnell ab, so das LfU. Die Aktivkohle muss deshalb regelmäßig ausgetauscht oder regeneriert werden.
In Weißenburg hält sie deutlich länger, weil das Wasser dort schon durch Ozon behandelt ankommt. "Es ist ein Vorteil des Kombinationsverfahrens von Ozonierung und Aktivkohle, dass aufgrund verschiedener Synergieeffekte die Aktivkohle deutlich höhere Standzeiten hat", so das LfU. In Weißenburg wurde zudem ein Reinigungsverfahren für Aktivkohle ausprobiert - mit guten Ergebnissen, so Abwassermeister Frühauf.
Gute Erfahrungen - aber wenig Nachahmer
Die Anlage in Weißenburg läuft seit anderthalb Jahren im Regelbetrieb. 3,7 Millionen Euro hat der Aufbau der vierten Reinigungsstufe gekostet, einen großen Teil davon hat die Bayerische Staatsregierung finanziert. Rechnerisch kostet die Extra-Chemie-Reinigung pro Bürgerin und Bürger weniger als 20 Euro im Jahr.
Und trotzdem sind bisher nicht viele Kommunen dem Beispiel Weißenburgs gefolgt. Bei den Betriebskosten in Höhe von rund 100.000 Euro im Jahr fallen rund die Hälfte der Kosten für Strom an. Aus flüssigem Sauerstoff wird mit Strom vor Ort das Ozongas hergestellt. "Ein Problem sind steigende Energiekosten", sagt Frühauf.
Mehr Blutdrucksenker und Schmerzmittel
Beim Blick auf die Bevölkerungsentwicklung könnte sich der finanzielle Einsatz trotzdem lohnen. Apothekerinnen in Weißenburg beobachten einen steigenden Verbrauch von Arzneimitteln. "Früher hat man Schmerzen eher ausgehalten, weil man die Nebenwirkungen fürchtete", sagt Apothekerin Christiane Krug. Heute würden häufiger Schmerzmittel verwendet.
Auch gehen blutdrucksenkende Medikamente häufiger über den Ladentisch. Laut Bayerischer Landesapothekerkammer (BLAK) ist anzunehmen, dass bei einer zunehmend älter werdenden Bevölkerung der Arzneimittelverbrauch weiter zunehmen wird. Mit den Ausscheidungen landen diese Stoffe im Abwasser.
Reinigung von chemischen Stoffen bisher freiwillig
Wer Abwasser auch von chemischen Stoffen reinigt, tut das bisher freiwillig. Weder die EU noch die Bundesregierung haben dazu Gesetze erlassen. Wenn Kläranlagen-Betreiber also eine vierte Reinigungsstufe einbauen, tun sie das derzeit als freiwillige Vorsorgemaßname. In Baden-Württemberg wurden bereits 25 Kläranlagen mit der vierten Reinigungsstufe ausgestattet, etwa ebenso viele weitere werden derzeit umgerüstet.
Die Europäische Union plant, vierte Reinigungsstufen ab 2035 vorzuschreiben. Der Entwurf der kommunalen Abwasserrichtlinie der EU ist allerdings noch nicht beschlossen. In der Schweiz ist die Elimination von Spurenstoffen seit dem Jahr 2016 vorgeschrieben.