Attentat von Hanau Der "subtile Terror" des Vaters
Seit drei Jahren fällt der Vater des Hanau-Attentäters immer wieder mit Beleidigungen und Einschüchterungsversuchen der Überlebenden und Angehörigen auf. 46 Verfahren wurden gegen ihn bereits eingeleitet. Hanaus Oberbürgermeister spricht von "subtilem Terror".
Drei Jahre ist es her, dass ein 43 Jahre alter Mann in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven getötet hat. Doch seit der Tat kommen die Überlebenden und Hinterbliebenen nicht zur Ruhe. Der Grund: Sie fühlen sich vom Vater des Attentäters bedroht.
Der Oberbürgermeister der Stadt, Claus Kaminsky, beschreibt die Situation um Hans-Gerd R. nun als eine "nachhaltig schwierige": "Er übt eine Form von subtilem Terror aus", so der SPD-Politiker im Interview mit dem ARD-Politikmagazin Panorama. Wo der 76-Jährige auftaucht, verstehe er es, die Menschen in Angst und Schrecken zurückzulassen, ohne dass es rechtsstaatlich zu fassen wäre.
"Das ist eine sehr subtile, beinahe diabolische Fähigkeit, die der Vater besitzt." Kaminsky betont, dass man bisher alles getan habe, was rechtlich möglich sei. Er verstehe aber jene, die sagen, dass das noch nicht reiche: "Natürlich wäre es am besten, wenn der Vater die Stadt verließe, wenn er seinen Wohnort wechselte. Das wäre vielleicht sogar für ihn auch das Bessere. Aber es gibt keine rechtliche Möglichkeit, das in irgendeiner Form zu erzwingen."
Zu Geldstrafe verurteilt
Unter anderem war Hans-Gerd R. trotz eines Annäherungsverbots wiederholt vor dem Haus von Serpil Temiz Unvar aufgetaucht, der Mutter von Ferhat Unvar, den R.s Sohn am 19. Februar 2020 erschossen hatte. Minutenlang habe der Vater etwa im Oktober wenige Meter vor ihrem Küchenfenster gestanden, mit seinem Schäferhund, und sie in ein unangenehmes Gespräch verwickelt. Nachdem er am noch am selben Tag erneut vor ihrem Haus stand und nicht gehen wollte, rief sie die Polizei. "Er will mit unseren Schmerzen spielen", sagt Temiz Unvar. "Er versucht, auf diese Art immer Teil unseres Lebens zu sein."
Auch spielende Kinder auf einem Schulhof in Hanau-Kesselstadt habe Hans-Gerd R. eingeschüchtert. Ein zehnjähriger Junge berichtet, dass ein Mitschüler von ihm "Scheiß Marokkaner" genannt worden sei: "Und bei den anderen hat er immer wieder gesagt: Du wirst schon sehen!"
Nach Informationen von Panorama und des Rechercheformats STRG_F (NDR/funk) leitete die Staatsanwaltschaft Hanau mittlerweile insgesamt 46 Verfahren gegen Hans-Gerd R. ein. Dabei geht es um Beleidigung, Bedrohung, falsche Verdächtigung, Hausfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz. Allein in 30 Fällen wird dem Vater vorgeworfen, gegen das Gewaltschutzgesetz verstoßen zu haben, weil er sich etwa Angehörigen der Opfer des Attentats genähert haben soll.
Wegen sechs solcher Verstöße ist R. inzwischen rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Das Landgericht Hanau hatte ihm im vergangenen Jahr zudem wegen Beleidigung in zwei Fällen eine Geldstrafe auferlegt. Dieses Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Beim Amtsgericht Hanau liegen inzwischen sieben weitere Verfahren - Anklagen und Strafbefehle, gegen die R. Einspruch eingelegt hat.
Kurzzeitig im Gefängnis
Zweimal nahm die Polizei Hans-Gerd R. in den vergangenen Monaten in Gewahrsam, weil er sich dem Haus der Familie Unvar genähert hatte. Im Februar setzten Beamte R. "zur Durchsetzung eines Platzverweises" fest und führten "im Anschluss eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung" herbei, wie es von der Polizei auf Anfrage heißt. Doch das Gericht lehnte eine längere Ingewahrsamnahme ab. Binnen 24 Stunden musste die Polizei R. wieder entlassen.
Zuletzt saß R. Anfang März sogar kurzzeitig im Gefängnis, weil er eine Geldstrafe nicht zahlen wollte. Die verhängte Ersatzfreiheitsstrafe von 70 Tagen wurde dann allerdings ausgesetzt, weil die Staatsanwaltschaft Vermögen einziehen konnte. Seitdem befindet er sich wieder auf freiem Fuß.
Zu den konkreten Maßnahmen, die gegen R. und zum Schutz von Angehörigen der Opfer des Anschlags laufen, will sich die Polizei nicht äußern. "Das Polizeipräsidium Südosthessen hat die Entwicklungen stetig im Blick und veranlasst jeweils die erforderlichen sowie rechtlich möglichen Maßnahmen", heißt es von der Behörde.
"Klassisches Dilemma"
Andere Möglichkeiten, gegen R. wegen der Belästigungen der Angehörigen vorzugehen, sehen die Behörden nicht. Weil das Amtsgericht R. für schuldfähig hält, schied bisher auch eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik aus. Die Staatsanwaltschaft Hanau beantragte auch keine Untersuchungshaft. "Die Voraussetzungen eines Haftbefehls liegen mangels Haftgrunds nicht vor", teilt ein Sprecher auf Panorama-Anfrage mit. Flucht- oder Verdunkelungsgefahr bestehe nicht. Auch wegen einer möglichen Wiederholungsgefahr könne R. nicht in Untersuchungshaft genommen werden, so der Sprecher weiter. Dies sei nur möglich, wenn mit erheblichen Straftaten zu rechnen sei. Dafür sind die mutmaßlich von R. begangenen Delikte nicht schwerwiegend genug.
Bei der aktuellen Situation handele es sich um ein "klassisches Dilemma", sagt Oberbürgermeister Claus Kaminsky. Auf der einen Seite seien die Angehörigen und die Nachbarn, die sich bedroht fühlten. Auf der anderen Seite stehe der Staat, der sich zwar anstrenge mit Überwachung und Präsenz, ihnen aber diese Ängste nicht nehmen könne wegen der rechtsstaatlichen Einschränkungen. Diese seien zwar im Grundsatz gut, aber man könne dadurch das Problem nicht an den Wurzeln packen.
Tägliche Polizeiüberwachung
Seit November wacht die Polizei täglich in der Nähe des Hauses von Serpil Temiz Unvar. Dafür sei sie dankbar und befürchtet trotzdem, dass der "subtile Terror" von Hans-Gerd R. weitergehe. Warum sie nicht einfach wegziehe, wurde Temiz Unvar unlängst gefragt. "Das ist keine Option", sagt sie. Dann habe der Vater ja sein Ziel erreicht.
Der Sohn von Hans-Gerd R. hatte am 19. Februar 2020 in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven erschossen und anschließend seine Mutter und sich selbst getötet. Auch der Vater ist wiederholt mit rassistischem Gedankengut aufgefallen. In einem Brief an die Behörden nannte er das Gedenken an die Opfer "Volksverhetzung". Außerdem soll er die Angehörigen der Ermordeten als "wilde Fremde" bezeichnet haben.
Anfragen von Panorama ließen R. und sein Anwalt unbeantwortet.