"Vereinte Patrioten" vor Gericht In drei Stufen zum Umsturz?
In Koblenz hat der Prozess gegen eine mutmaßliche terroristische Vereinigung begonnen. Die Gruppe soll unter anderem eine Entführung von Gesundheitsminister Lauterbach geplant haben.
Um kurz vor zehn öffnet sich eine Seitentür im Koblenzer Gerichtssaal. Als erster Angeklagter wird Thomas O. in den Gerichtssaal geführt. In Handschellen, zusätzlich an einen Justizwachtmeister gekettet, wird der 56-Jährige an seinen Platz zu seinen Verteidigern geführt. Es folgen nach und nach die vier anderen Angeklagten.
Es dauert eine ganze Weile, bevor der Prozess losgehen kann. Die Sicherheitsvorkehrungen sind groß am Oberlandesgericht Koblenz. Und das öffentliche Interesse auch. Noch bevor die Anklageschrift verlesen wird, bemängelt ein Verteidiger, dass der Gerichtssaal viel zu klein sei für die hohe Zahl akkreditierter Journalistinnen und Journalisten. Der Saal ist gut gefüllt, ja, zahlreiche Kamerateams sind da - allerdings sind auch noch einige Stühle frei geblieben am Tag des Prozessauftakts.
Anklage: Gruppe plante Regierungssturz
Um kurz nach halb elf verliest der Vertreter der Bundesanwaltschaft die Anklageschrift. In einer Chatgruppe mit dem Namen "Vereinte Patrioten" sollen sich die Angeklagten kennengelernt haben. Daraus soll eine terroristische Vereinigung entstanden sein. Mit dem Ziel, in Deutschland bürgerkriegsähnliche herbeizuführen und die aktuelle Regierung durch eine neue zu ersetzen.
Einen dreistufigen Plan habe die Gruppe dafür gehabt. Stufe 1: Einrichtungen der Stromversorgungen zerstören, um einen großen "Blackout" - einen Stromausfall - zu verursachen. Stufe 2: Die Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach - für viele in der Szene die Symbolfigur der deutschen Corona-Politik. Seine Leibwächter sollten notfalls getötet werden, etwa am Rande eines Talkshow-Auftritts. Stufe 3: In Berlin wollte die Gruppe schließlich öffentlichkeitswirksam eine neue "konstituierende Versammlung" einsetzen. Ein Schauspieler sollte den Bundespräsidenten oder Bundeskanzler imitieren und live im Fernsehen verkünden, dass die Bundesregierung abgesetzt sei.
Ehemalige Lehrerin als ideologischer Kopf?
Elisabeth R., eine 75-Jährige ehemalige Lehrerin aus Rheinland-Pfalz, sei der ideologische Kopf der Gruppe und die treibende Kraft gewesen, die Pläne möglichst bald in die Tat umzusetzen. Ihre Ideologie sei die der sogenannten "Reichsbürger", so die Bundesanwaltschaft, wonach das "Deutsche Reich" auf Grundlage der Verfassung von 1871 weiter gelte.
Im Gerichtssaal wirkt Elisabeth R. gesundheitlich angeschlagen. Immer wieder legt sie den Kopf in ihre Arme auf dem Tisch vor ihr. Zu keinem Zeitpunkt beantragt ihr Verteidiger allerdings, die Verhandlung zu unterbrechen. "Von Mensch zu Mensch" könne man sich gerne unterhalten, hatte sie gleich zu Beginn der Verhandlung der Vorsitzenden Richterin zugerufen. Das Gericht erkennt sie aber nicht an, möchte sie damit wohl sagen.
Laut Anklage bereits konkrete Vorbereitungen
Wie realistisch vor allem der letzte Schritt der Umsturzpläne auch sein mag - mit Blick auf den möglichen Stromausfall und die Entführung von Gesundheitsminister Lauterbach geht es in der Anklage bereits um konkrete Vorbereitungen. Thomas O. habe zum Beispiel schon Objekte der Infrastruktur ausgekundschaftet und sich entsprechendes Kartenmaterial beschafft.
Einige Waffen besaß die Gruppe bereits. Weitere plus Sprengstoff wollte sie sich zum Beispiel aus Kroatien beschaffen. Zwei mutmaßliche Mitglieder haben militärische Erfahrung aus der Nationalen Volksarmee der ehemaligen DDR. Beim Versuch von Waffenkäufen in Deutschland gerieten sie an einen verdeckten Ermittler der Polizei. Bei einer Übergabe in Neustadt an der Weinstraße war die Gruppe im April 2022 aufgeflogen.
Angeklagte wollen sich äußern
Alle Angeklagten außer Thomas O. haben angekündigt, im Gerichtssaal selbst oder über ihre Verteidigung Angaben machen zu wollen, auch Elisabeth R. Wann das genau sein wird, ist noch offen. Am Rande der Verhandlung bekam man heute über Äußerungen der Verteidiger einen ersten Eindruck. "Das sind doch alles reine Spekulationen und Vermutungen", so der Verteidiger des Angeklagten Michael H. (44) gegenüber Medienvertretern.
Ein Anwalt von Sven B. (55) sagte nach Ende der Verhandlung: Sein Mandant habe bereits Teile der Vorwürfe eingeräumt. Er habe aber niemanden töten wollen, sondern nur einen unblutigen Regierungswechsel wie 1989 in der DDR herbeiführen wollen. Außerdem habe er als Verteidiger Zweifel, ob wirklich schon eine terroristische Vereinigung gegründet worden sei. Gegen zwölf Uhr war der Prozessauftakt dann vorbei. Viele weiter spannende Tage im Gerichtssaal werden folgen.
Weitere Verfahren laufen
Im Laufe der Ermittlungen in Sachen "Vereinte Patrioten" waren auch andere Personen auf dem Radar der Behörden, die heute nicht zu den Angeklagten gehören. Vor allem Peter W. aus Bayern, ein Überlebenstrainer und "Wolfsexperte", den die Ermittler ebenfalls für verdächtig hielten. Allerdings schien der sein eigenes Ding zu machen und die Gruppe um Elisabeth R. eher auf Abstand zu halten.
Die Ermittler bekamen den Eindruck: Es ist noch eine zweite, ähnliche Gruppe am Werk. So entdeckten sie die "Gruppe Reuß" um einen Prinzen aus Thüringen, gegen die ein separates und noch weit größeres Ermittlungsverfahren läuft. Im Dezember 2022 hatte die Bundesanwaltschaft über 20 Personen verhaften lassen. Anklagen zu diesem Komplex stehen noch aus. Verfahren gegen sogenannte Reichsbürger werden die deutsche Justiz in den kommenden Jahren jedenfalls weiter intensiv beschäftigen.