Rechtsextreme Bewegung Wer sind die "Reichsbürger"?
Die "Reichsbürger" werden in der Öffentlichkeit oft als Spinner abgetan. Allerdings beinhaltet ihr bizarres Weltbild ein beträchtliches Gewaltpotenzial. Angesichts der Schüsse auf Polizisten ist die Frage: Wurde die Aggressivität der "Reichsbürger" unterschätzt?
In den vergangenen Jahren haben die "Reichsbürger" zunehmend für Aufsehen gesorgt. Aus mehreren Bundesländern wurden Vorfälle mit Personen gemeldet, die die Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennen und behaupten, sie lebten im Deutschen Reich in den Grenzen von 1937. Die Wurzeln der Bewegung sind aber älter; der Geschichtsrevisionismus ist seit jeher ein Grundpfeiler der rechtsextremen Bewegung.
Behörden im Visier
Da die "Reichsbürger" das System der Bundesrepublik ablehnen, entwickeln sie auch keine Ambitionen, an der demokratischen Willensbildung oder an Wahlen teilzunehmen. Vielmehr haben sie insbesondere die Verwaltung als ein Hauptangriffsziel auserkoren. Die "Reichsbürger" sprechen den Behörden jede Legitimation und Zuständigkeit ab; Behördenleiter und Mitarbeiter werden oft mit dem "Reichsgericht" und der Todesstrafe bedroht.
"Reichsbürger" stellen sich eigene Ausweise, Kennzeichen oder sonstige Fantasiedokumente aus und beschäftigen Mitarbeiter von Kommunalverwaltungen, Bürgermeister, Schulleiter, Polizeidienststellen und Landtagsabgeordnete mit ausführlichen Schreiben.
Wie umgehen mit den "Reichsbürgern"?
Während das Bundesamt für Verfassungsschutz die "Reichsbürger" in seinem Jahresbericht nicht einmal erwähnt, haben mehrere Landesämter die Bewegung seit einigen Jahren genauer im Blick. So beispielsweise in Brandenburg, wo besonders viele "Reichsbürger" aktiv sind. Hier veröffentlichte das Innenministerium bereits 2014 ein Handbuch, um über die Rechtsextremen aufzuklären. Auch Berlin, Hessen und Sachsen-Anhalt veröffentlichte bereits Handreichungen.
Im Frühjahr kündigte das Brandenburger Finanzministerium sogar an, wegen Bedrohungen und zunehmender Aggressivität - "insbesondere seitens so genannter Reichsbürger" - ein Notrufsystem in Finanzämtern zu testen.
"Reichsbürger" wollen nicht zahlen
"Reichsbürger“ bezeichnen sich oft als Selbstversorger, die autark leben beziehungsweise "siedeln" wollen. Viele weigern sich, Steuern oder Abgaben zu bezahlen. Sozialleistungen der angeblich nicht existenten Bundesrepublik verweigern sich "Reichsbürger" aber offenbar nicht.
Experten betonen, oft handele es sich bei "Reichsbürgern" um Bankrotteure. "Eigentlich hatten alle Fälle, die ich untersucht habe, ganz einfach Geldprobleme. Und weil sie ihre Bußgelder oder Gebühren nicht zahlen wollen, behaupten sie einfach, dass das deutsche Recht für sie nicht gilt", betonte Dirk Wilking vom Brandenburgischen Institut für Gemeinwesenberatung im RBB.
Viele "Reichsbürger" seien "gelinde gesagt unzurechnungsfähig", meint Wilking. "Weil es auch schon 'Todesurteile' von 'Reichsbürgern' gab, geht ein latentes Bedrohungspotenzial von ihnen aus."
SEK-Einsatz in Brandenburg
Die Gefährlichkeit von Personen aus diesem Milieu zeigte sich bereits mehrfach: Im Februar riefen in Brandenburg ein E.on-Mitarbeiter und ein Gerichtsvollzieher die Polizei zu Hilfe, da ein mehrfacher Familienvater sie mit einem Messer bedroht hatte. Der Mann aus dem "Reichsbürger"-Milieu wurde von SEK-Beamten überwältigt.
Aber auch in Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, dem Saarland, Niedersachsen, Bayern, Hessen und Sachsen-Anhalt sind Aktivitäten und Drohungen von "Reichsbürgern" bekannt.
In Sachsen-Anhalt beschäftigte sich erst im September der Innenausschuss mit dem Problem, da es wenige Wochen zuvor einen schweren Zwischenfall mit einem "Reichsbürger" gegeben hatte. Hier ging es um eine Zwangsräumung, die einen Großeinsatz der Polizei ausgelöst hatte: In Reuden im Burgenlandkreis gab es einen Schusswechsel zwischen einem Wohnungsbesitzer und einem Spezialeinsatzkommando der Polizei. Drei Beamte wurden verletzt. Der Grundstücksbesitzer, ein ehemaliger "Mister Germany", wurde mit mehreren Schüssen getroffen. Auch eine Unterstützerin wurde verletzt.
Nach MDR-Informationen ist der Besitzer des Grundstücks ein "Reichsbürger". Sein Grundstück wurde als "Staat Ur" bezeichnet, in dem ausschließlich die eigenen Gesetze gelten würden.
Diverse Mini-Organisationen
Die "Reichsbürger" sind ein loses Netzwerk aus Einzelpersonen und Mini-Organisationen. Es lassen sich zahlreiche Einzelpersonen und Gruppen finden, die teilweise miteinander kooperieren, oft gegeneinander konkurrieren. Sie nennen sich "Kommissarische Reichsregierung des Staates", "2tes Deutsches Reich", "Exilregierung Deutsches Reich", "Die Exilregierung Deutsches Reich", "Regierung des Deutschen Reichs", "Freistaat Preußen", "Fürstentum Germania", "Republik Freies Deutschland" oder "Deutsches Polizei Hilfswerk".
Da die "Reichsbürger" weder das Gewaltmonopol noch den Staat an sich anerkennen, bauen sie Parallelstrukturen auf - und auch Waffen spielen in der Bewegung eine große Rolle. Auch, weil "Reichsbürger" von einem Bürgerkrieg und einer nationalen Revolution träumen, wie aus entsprechenden Internet-Seiten und Flugblättern hervorgeht. Zudem verschickten "Reichsbürger" mehrmals Drohbriefe, in denen sie ankündigten, am "Tag X" beginne ein Bürgerkrieg, der zu Pogromen gegen Nicht-Deutsche führen würde.
Mehrmals mussten "Reichsbürger" vor Gericht, da sie sich Waffen besorgen wollten. In Nordrhein-Westfalen stand ein Mann vor Gericht, weil er sich in Luxemburg ein AK-47-Gewehr kaufen wollte - mit einem Waffenschein des "Freistaates Preußen".
Bundesweite Zahlen fehlten lange
Lange hatten die Behörden die "Reichsbürger" kaum im Blick - und bundesweite Zahlen fehlten. Mittlerweile wird die Szene aber genauer beobachtet, und so stieg die Zahl der als "Reichsbürger" eingestuften Personen deutlich. Mittlerweile gehen Behörden von weit mehr als 10.000 Anhängern aus.