Heinrich XIII Prinz Reuß
interview

Anschlagspläne von "Reichsbürgern" "Das Erschütternde ist der Personenkreis"

Stand: 08.12.2022 13:03 Uhr

Die Umsturzpläne sogenannter Reichsbürger seien ernsthaft und weit fortgeschritten, sagt Rechtsextremismus-Experte Speit. Erschütternd sei vor allem, welche Personengruppen beteiligt sind. "Die wissen, wie man Anschläge durchführt."

tagesschau.de: Sind die sogenannten Reichsbürger bislang unterschätzt worden in ihrer Bedeutung als staatsfeindliche Gruppe?

Andreas Speit: In den vergangenen Jahren hat man gemerkt, dass die Sicherheitsbehörden genauer in dieses Milieu geschaut haben. Der Hintergrund ist ein dramatischer: 2016 hat es bei dem Versuch einer Entwaffnung eines Reichsbürger in Bayern leider eine Schießerei gegeben. Er hat sofort das Feuer auf die Polizei eröffnet und einen Polizeibeamten erschossen. Seitdem ist auf der Ebene des Bundes dieses Phänomen mehr beachtet worden.

Das Erschütternde ist der Personenkreis, den wir nun erleben. Wir haben Menschen aus dem adligen Milieu, aus dem AfD-Milieu, aus dem reichsideologischen Milieu, Querdenken-Milieu und aus den Sicherheitsstrukturen der Bundesrepublik. Und im Übrigen nicht zum ersten Mal. Wieder sind KSK-Personen involviert in einem Netzwerk, das Terror geplant hat. Das ist wirklich dramatisch. Die können nicht nur mit einer Waffe umgehen, die wissen auch, wie man so was vorbereitet, wie man einen Anschlag durchführen könnte.

"In einzelnen Bundesländern hat es auch zuvor Aktionen gegen sogenannte Reichsbürger gegeben", Andreas Speit, Journalist und Autor, zu der Reichsbürger-Szene

tagesschau24 10:00 Uhr

tagesschau.de: Warum wird nicht längst gecheckt, wenn so jemand in den Sicherheitsbehörden oder in hohen Positionen der Bundeswehr arbeitet?

Speit: Ich bin kein Experte für den MAD und für die Bundeswehr, wie sie solche Personen abchecken. Oftmals hat man das Gefühl, das passiert eher ein bisschen zufällig: Wenn sie sich selbst enttarnen oder wenn sie in Chats auffällige Formulierungen verwenden. Es gibt schon Möglichkeiten - auch durch Tipps aus der Truppe selbst. Beispielsweise, dass man sagt: "Guckt euch mal die ein bisschen genauer an."

Wir sollten nicht das Argument gelten lassen, dass das Menschen aus der Mitte der Gesellschaft seien und der Querschnitt der Gesellschaft auch ein bisschen rechts sei, also auch in der Bundeswehr, auch in den Spezialkräften rechte Personen seien. So einfach ist es nicht. Diese Strukturen ziehen ein bestimmtes Personal an, das eher autoritär charakterlich gefestigt ist.

Sendungsbild
Zur Person: Andreas Speit

Andreas Speit ist Journalist und Publizist. Er gilt als einer der renommiertesten Kenner der rechtsextremen Szene in Deutschland. Unter anderem schreibt er für die "tageszeitung" und hat zahlreiche Bücher zu den Themen Rechtsextremismus und Neonazismus herausgegeben.

tagesschau.de: Hätten Sie dieser Gruppe zugetraut, dass sie Umsturzpläne tatsächlich verwirklichen hätte können, wenn sie nicht vorher aufgeflogen wäre?

Speit: Man muss deutlich sagen, dass diese Gruppe zwei Strukturen gehabt hat: eine politische, ein Prinz wollte quasi wieder Monarch werden, und eine militärische. Und ich betone es nochmal: Das waren Personen, die wussten, wie das geht. Es war durchaus offensichtlich, dass hier mehr als nur geredet worden ist, sonst wären die Sicherheitskräfte nicht so gegen diese Gruppe vorgegangen.

tagesschau.de: Befürchten Sie, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist und dass jetzt andere Gruppen, die ähnliches planen, gewarnt sind, sich in Acht nehmen und dann früher oder später tatsächlich etwas passiert?

Speit: In der Bundesrepublik wird davon ausgegangen, dass wir circa 21.000 reichsbewegte Menschen haben. Wir haben in den vergangenen Monaten erleben können, dass es im Kontext der Pandemie und jetzt auch in der Krise durch den Krieg in der Ukraine eine enorme Radikalisierung gibt. Kurz gesagt: Es ist jederzeit möglich, dass sich solche Gruppen wieder zusammenschließen.

tagesschau.de: Wenn wir die deutsche Geschichte anschauen: Es gab mit der RAF schon einmal eine Terrorgruppe, die Umsturzfantasien hatte. Wo sehen Sie die Parallelen und wo die Unterschiede?

Speit: Es ist interessant, dass wir in der Bundesrepublik bei Terror automatisch an den linken Terror denken. Wir haben eine ganz, ganz lange Tradition des rechten Terrors nach 1945 in der Bundesrepublik. Ich glaube, es ist hilfreich, sich die rechten Terrorgruppen anzuschauen, die in den vergangenen Jahrzehnten in der Bundesrepublik gemordet haben - ich erinnere nur an das Attentat beim Oktoberfest in Bayern, was der größte rechtsextreme Anschlag damals gewesen ist, wenn wir die Zahl der Toten vergleichen.

Es geistert gerade die Formulierung durch die Medien, dass dies das größte rechte Netzwerk war, was nun aufgeflogen ist. Man muss aber sagen, das größte rechte Terrornetzwerk war der NSU. Und davon wurden nicht alle, die darin involviert waren, strafrechtlich belangt.

Das Gespräch führte Gerrit Derkowski für tagesschau24. Für die schriftliche Form wurde das Interview gekürzt und angepasst.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 08. Dezember 2022 um 10:00 Uhr.