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Fragen und Antworten Wie gefährlich sind "Reichsbürger"?

Stand: 22.03.2023 19:43 Uhr

Verschwörungstheorien und Waffen, Rechtsextreme und Wissenschaftsleugner: Rund 23.000 Anhänger hat die "Reichsbürger"-Szene laut Verfassungsschutz - Tendenz steigend. Welche Gefahr geht von ihnen aus? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Mit Material von DPA

Was sind "Reichsbürger"?

Sogenannte Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat an. Sie behaupten wahrheitswidrig, das historische Deutsche Reich bestehe bis heute fort. "Reichsbürger" negieren heutige demokratische und rechtsstaatliche Strukturen wie Parlament, Gesetze oder Gerichte. Steuern, Sozialabgaben oder Bußgelder wollen sie nicht zahlen. Auch die These, wonach Deutschland in Wahrheit wie eine GmbH geführt werde, gehört zum ideologischen Fundus.

Eine einheitliche Bewegung sind "Reichsbürger" aber nicht. Manche von ihnen sehen sich als Staatsoberhäupter ihres eigenen kleinen Reiches, mit eigenen Ausweisen und Nummernschildern. Für diese nutzt der Verfassungsschutz den Begriff der "Selbstverwalter". Sie reklamieren für sich eine rechtliche und territoriale Autonomie abseits der Bundesrepublik. Zwischen "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" gibt es auch Mischformen.

Wie groß ist die Szene - und welches Gewaltpotenzial gibt es?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz rechnet der gesamten Szene rund 23.000 Anhänger zu - Tendenz steigend. Etwa zehn Prozent davon (rund 2100 Personen) sieht der Verfassungsschutz als gewaltorientiert an. Bei rund 1250 Personen handelt es sich demnach um Rechtsextremisten.

Nach Angaben des Behörde wurden den "Reichsbürgern" im Jahr 2021 insgesamt 1011 extremistische Straftaten zugerechnet - darunter 184 Gewalttaten wie Erpressung und Widerstand. Generalbundesanwalt Frank sagte der "WamS": "Größere Teile dieser Szene sind zu aktiver Gewalt bereit oder äußern ihre Gewaltfantasien gegen staatliche Repräsentanz freier als früher. Das macht diese Personen aus Sicht des Staatsschutzes gefährlich."

Für Aufsehen hatte vor den jüngsten Durchsuchungen eine bundesweite Großrazzia im vergangenen Dezember gesorgt, bei der bereits zahlreiche Verdächtige festgenommen wurden. Das Netzwerk ist keineswegs homogen, wie ARD-Terrorismusexperte Michael Götschenberg damals beschrieb. Als gefährlich gelte die Gruppe vor allem aufgrund der Mischung, die sich darin zusammengefunden habe - neben Esoterikern gehörten auch "Querdenker" mit Bundeswehr-Hintergrund dazu.

Wie viele Waffen kursieren in der Szene?

Nach Ansicht des Verfassungsschutzes macht unter anderem auch der Hang zu Waffen die Szene so gefährlich. Seit Beginn der Beobachtung im Jahr 2016 wurden mindestens 1050 "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" die waffenrechtlichen Erlaubnisse entzogen. Demgegenüber standen laut BfV Ende 2021 rund 500 Menschen, die eine Waffe besitzen dürfen.

Warum ist es so schwierig, "Reichsbürgern" die Waffen wegzunehmen?

Die Waffenbehörde muss überzeugend darlegen können, dass dies "zur Verhütung von Gefahren für die Sicherheit oder Kontrolle des Umgangs mit diesen Gegenständen geboten ist". Wenn jemand dem Verfassungsschutz oder der Polizei mit extremistischem Gedankengut oder kruden Theorien aufgefallen ist, reicht das in der Regel noch nicht aus. Vielmehr beginnt in solchen Fällen ein langwieriges Verfahren. Betroffene versuchen in der Regel auch, sich juristisch gegen den Entzug der Waffen zur Wehr zu setzen.

Die Zahl der Menschen aus dem "Reichsbürger"-Milieu mit einer waffenrechtlichen Erlaubnis wird auch nie Null erreichen. Es kommen immer neue Waffenbesitzer hinzu, bei denen sich womöglich erst Jahre nach der Erteilung der Erlaubnis konkrete Anhaltspunkte für eine gewaltorientierte verfassungsfeindliche Haltung ergeben.

Bei der jüngsten Razzia wurde ein Polizist angeschossen. Gab es zuvor schon ähnlich gelagerte Angriffe?

Ja, allein in Baden-Württemberg müssen sich zwei Anhänger der Szene vor Gericht verantworten. Ein 62-Jähriger soll bei einer Kontrolle im südbadischen Efringen-Kirchen einen Polizisten angefahren haben. Die Bundesanwaltschaft fordert zehn Jahre Haft wegen versuchten Mordes.

Ebenfalls in Stuttgart muss sich Anfang April ein Mann aus dem tauberfränkischen Boxberg wegen mehrfachen versuchten Mordes vor Gericht verantworten. Der damals 54-Jährige hatte im Frühjahr vergangenen Jahres bei einem SEK-Einsatz auf Polizisten geschossen und zwei Beamte verletzt.

Zu sieben Jahren Haft wegen versuchten Mordes wurde bereits im April 2019 der frühere "Mister Germany" Adrian Ursache verurteilt. Er hatte bei der Zwangsräumung seines Grundstücks 2016 in Reuden (Sachsen-Anhalt) auf einen SEK-Polizisten geschossen.

Rechtskräftig ist ebenfalls die Verurteilung eines fränkischen "Reichsbürgers" zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen tödlicher Schüsse auf Polizisten in Georgensgmünd. Der Mann hatte Mitte Oktober 2016 auf SEK-Beamte geschossen und einen 32 Jahre alten Polizisten getötet. Auch zwei weitere Polizisten wurden verletzt.