Nach Razzia gegen "Reichsbürger" Scholz besorgt über Verbindungen zur AfD
25 Menschen wurden bei der Großrazzia im "Reichsbürger"-Milieu festgenommen. Eine von ihnen: die ehemalige AfD-Abgeordnete Malsack-Winkemann. Der Kanzler zeigt sich deshalb besorgt - SPD-Chef Klingbeil fordert Konsequenzen.
Der Bundeskanzler hat sich nach der Großrazzia im "Reichsbürger"-Milieu besorgt über Querverbindungen zur AfD gezeigt. "Dass unter den Beschuldigten eine ehemalige AfD-Abgeordnete des Deutschen Bundestages ist, ist natürlich ein sehr bemerkenswerter und sehr schlimmer Vorfall", sagte Scholz nach einem Treffen mit den Regierungschefinnen und -chefs der Länder. Die Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann war am Mittwoch im Zuge der bundesweiten Razzia festgenommen worden.
Die wichtigste Konsequenz aus der Razzia am Vortag sei, "dass alle wissen, dass wir einen wehrhaften Staat haben und eine wehrhafte Demokratie sind." Die deutschen Sicherheitsbehörden seien in der Lage, Rechtsverletzungen dieser Art "zu durchkreuzen", sagte der Kanzler.
Disziplinarverfahren gegen festgenommene Richterin
Zuvor hatte sich auch schon SPD-Chef Lars Klingbeil zu dem Thema geäußert. Er forderte Konsequenzen für die AfD. "Die AfD gehört flächendeckend auf die Beobachtungsliste des Verfassungsschutzes und nicht in Parlamente, Gerichte oder den öffentlichen Dienst", sagte Klingbeil der Nachrichtenagentur dpa. Die Razzia habe abermals eine enge Verbindung der gewaltbereiten rechtsextremen Szene mit der AfD gezeigt. "Das muss Konsequenzen haben." Klingbeil nannte die AfD eine "offen verfassungsfeindliche Partei", die als "parlamentarische Schnittstelle für Hass, Hetze und Gewalt" agiere.
Die Partei selbst äußerte sich am Mittwoch auf ihrer Homepage zu den Ereignissen. Dabei distanzierte sie sich von der Bewegung: "Von dem Fall haben wir heute, wie die meisten Bürger auch, erst aus den Medien erfahren. Wir verurteilen solche Bestrebungen und lehnen diese nachdrücklich ab. Nun gilt es die Ermittlungen abzuwarten. Wir haben vollstes Vertrauen in die beteiligten Behörden und fordern eine schnelle und lückenlose Aufklärung", erklärten AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla und Alice Weidel.
Gegen die festgenommene Richterin wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Dieses habe bereits am Mittwoch der Präsident des Berliner Landgerichts initiiert, teilte ein Sprecher der Senatsjustizverwaltung auf Anfrage mit. Demnach erwägt die Behörde darüber hinaus zwei Eilanträge: auf vorläufige Untersagung der Führung der Dienstgeschäfte sowie auf vorläufige Dienstenthebung und Einbehaltung von Bezügen. Zudem wurde Berufung in einem Versetzungsverfahren eingelegt.
23 Festgenommene in U-Haft
Malsack-Winkemann gehört laut Behörden zu den mehr als 20 Verdächtigen aus dem "Reichsbürger"-Milieu, die einen Umsturz in Deutschland geplant haben sollen. Am Mittwoch gingen deshalb rund 3000 Einsatzkräfte in einer bundesweiten Razzia gegen die mutmaßlichen Mitglieder und Unterstützer vor, die den Ermittlungsbehörden zufolge militärische Gewalt einsetzen wollten. 25 Menschen wurden festgenommen, zwei von ihnen in Österreich und Italien.
Die Bundesanwaltschaft wirft 22 von ihnen vor, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, die das politische System in Deutschland stürzen wollte. Drei weitere Festgenommene gelten den Angaben zufolge als Unterstützer. Details etwa zu sichergestellten Waffen nannte die Sprecherin der Bundesanwaltschaft nicht. Sie machte auch keine Angaben dazu, ob sich aus den Vernehmungen und Ermittlungen Hinweise auf weitere Beschuldigte ergeben haben. 23 Festgenommene befinden sich mittlerweile in U-Haft.
BKA rechnet mit wachsender Zahl von Verdächtigungen
Das Bundeskriminalamt rechnet aber mit einer wachsenden Zahl von Verdächtigen. Die Zahl der beschuldigten Mitglieder beziehungsweise Unterstützer sei bis Donnerstag bereits von 52 auf 54 gestiegen und könne noch weiter anwachsen, sagte BKA-Präsident Holger Münch im ARD-Morgenmagazin. "Wir haben noch weitere Personen identifiziert, von denen wir noch nicht genau wissen, welchen Status sie im Bezug auf diese Gruppe haben", sagte Münch.
Das deutsche Staatssystem sei aber zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen. "Man muss nicht annehmen, dass eine Gruppe, die eine zweistellige, vielleicht eine kleine dreistellige Zahl umfasst, in der Lage ist, das Staatssystem in Deutschland wirklich in Frage zu stellen", so Münch. Dennoch sei die Gruppe gefährlich, da sie "irrationalen Überzeugungen" folge. An 50 Objekten hätten Ermittler Waffen und Munition gefunden. "Das zeigt, harmlos ist das nicht", sagte Münch.
Baerbock: "Dürfen nicht naiv sein"
Außenministerin Annalena Baerbock unterstrich angesichts der mutmaßlichen Terrorpläne die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. "Einer der größten polizeilichen Einsätze in der Bundesrepublik Deutschland macht deutlich, dass wir mit Blick auf die Gefahr von Rechtsterror in unserem Land nicht naiv sein dürfen", sagte die Grünen-Politikerin bei einem Besuch in Irland in der Hauptstadt Dublin. Jene, die die Demokratie von innen bekämpfen wollten, arbeiteten europa-, wenn nicht weltweit zusammen.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) warnte davor, Anhänger der Szene zu unterschätzen. Wenn Menschen mit militärischer Ausbildung dabei seien, die auch Zugang zu Waffen haben, müsse das ernst genommen werden, sagte Wüst im "Frühstart" der Sender RTL und ntv.
Die Union forderte ein hartes Durchgreifen gegen die Szene. "Die Gruppe hatte konkrete Umsturzpläne unter Inkaufnahme von Gewalt gegen Leib und Leben. Das hat eine neue Qualität", sagte Fraktionsvize Andrea Lindholz (CSU) der Düsseldorfer "Rheinischen Post". Reichsbürger und Selbstverwalter seien "alles andere als harmlose Spinner und Verschwörungstheoretiker", warnte sie.
Behörden verteidigen Zeitpunkt des Zugriffs
Dass es trotzdem Monate bis zur Großrazzia dauerte, begründete BKA-Chef Münch damit, dass zunächst genügend Beweise dafür gesammelt werden mussten, dass es sich um eine terroristische Vereinigung handele. So habe es in der Gruppierung einen "Rat" gegeben, der Beschlüsse getroffen habe sowie einen militärischen Arm, der auch Waffen besorgt haben soll. "Da warten sie nicht bis zum letzten Augenblick. Sondern, wenn das dann klar ist, dann heißt es auch: Zuschlagen", betonte Münch.