Nach Razzia 23 mutmaßliche "Reichsbürger" in U-Haft
23 Menschen wurden bei der Razzia in der "Reichsbürger"-Szene deutschlandweit festgenommen - und inzwischen sind alle von ihnen in U-Haft. Das BKA rechnet mit weiteren Verdächtigen. Der SPD-Chef forderte Konsequenzen für die AfD.
Nach der Großrazzia in der "Reichsbürger"-Szene sind inzwischen alle in Deutschland festgenommenen Verdächtigen in Untersuchungshaft. Wann die beiden in Österreich und Italien gefassten Männer den Ermittlungsrichtern vorgeführt werden, gab die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe nicht bekannt.
Die Behörde hatte am Mittwoch 25 Menschen festnehmen lassen. 22 von ihnen wirft sie vor, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, die das politische System in Deutschland stürzen wollte. Drei weitere Festgenommene gelten den Angaben zufolge als Unterstützer. Details etwa zu sichergestellten Waffen nannte die Sprecherin der Bundesanwaltschaft nicht. Sie machte auch keine Angaben dazu, ob sich aus den Vernehmungen und Ermittlungen Hinweise auf weitere Beschuldigte ergeben haben.
BKA rechnet mit wachsender Zahl von Verdächtigungen
Das Bundeskriminalamt rechnet aber mit einer wachsenden Zahl von Verdächtigen. Die Zahl der beschuldigten Mitglieder beziehungsweise Unterstützer sei bis Donnerstag bereits von 52 auf 54 gestiegen und könne noch weiter anwachsen, sagte BKA-Präsident Holger Münch im ARD-Morgenmagazin. "Wir haben noch weitere Personen identifiziert, von denen wir noch nicht genau wissen, welchen Status sie im Bezug auf diese Gruppe haben", sagte Münch.
Das deutsche Staatssystem sei aber zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen. "Man muss nicht annehmen, dass eine Gruppe, die eine zweistellige, vielleicht eine kleine dreistellige Zahl umfasst, in der Lage ist, das Staatssystem in Deutschland wirklich in Frage zu stellen", so Münch. Dennoch sei die Gruppe gefährlich, da sie "irrationalen Überzeugungen" folge. An 50 Objekten hätten Ermittler Waffen und Munition gefunden. "Das zeigt, harmlos ist das nicht", sagte Münch.
Wüst warnt davor, die Szene zu unterschätzen
Auch der Präsident des Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, zweifelt nicht an der Ernsthaftigkeit der mutmaßlichen Umsturzpläne der "Reichsbürger". Haldenwang sprach von einer "recht realen Gefahr", die von der Gruppierung ausgegangen sei. Mittlerweile hätten die Sicherheitsbehörden durch die seit dem Frühjahr andauernden Ermittlungen einen recht klaren Überblick über den Inhalt und die Entwicklung dieser offenbar geschmiedeten Umsturzpläne. Wann diese möglicherweise umgesetzt werden sollten, ist aber unklar.
Klingbeil fordert Konsequenzen für AfD
SPD-Chef Lars Klingbeil forderte Konsequenzen für die AfD. "Die AfD gehört flächendeckend auf die Beobachtungsliste des Verfassungsschutzes und nicht in Parlamente, Gerichte oder den öffentlichen Dienst", sagte Klingbeil der Nachrichtenagentur dpa. Die Razzia habe abermals eine enge Verbindung der gewaltbereiten rechtsextremen Szene mit der AfD gezeigt. "Das muss Konsequenzen haben." Klingbeil nannte die AfD eine "offen verfassungsfeindliche Partei", die als "parlamentarische Schnittstelle für Hass, Hetze und Gewalt" agiere.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) warnte davor, Anhänger der Szene zu unterschätzen. Wenn Menschen mit militärischer Ausbildung dabei seien, die auch Zugang zu Waffen haben, müsse das ernst genommen werden, sagte Wüst im "Frühstart" der Sender RTL und ntv.
Die Union forderte ein hartes Durchgreifen gegen die Szene. "Die Gruppe hatte konkrete Umsturzpläne unter Inkaufnahme von Gewalt gegen Leib und Leben. Das hat eine neue Qualität", sagte Fraktionsvize Andrea Lindholz (CSU) der Düsseldorfer "Rheinischen Post". Reichsbürger und Selbstverwalter seien "alles andere als harmlose Spinner und Verschwörungstheoretiker", warnte sie.
Behörden verteidigen Zeitpunkt des Zugriffs
Dass es trotzdem Monate bis zur Großrazzia dauerte, begründete BKA-Chef Münch damit, dass zunächst genügend Beweise dafür gesammelt werden mussten, dass es sich um eine terroristische Vereinigung handele. So habe es in der Gruppierung einen "Rat" gegeben, der Beschlüsse getroffen habe sowie einen militärischen Arm, der auch Waffen besorgt haben soll. "Da warten sie nicht bis zum letzten Augenblick. Sondern, wenn das dann klar ist, dann heißt es auch: Zuschlagen", betonte Münch.