NSU-Mitangeklagter Wohlleben Rechtes Denken, intellektuelle Fassade
Ralf Wohlleben soll die Waffe geliefert haben, mit dem der NSU Morde verübte. Seine Anwältin pocht auf seine Unschuld. Wer ist der Mann, der sich in dem Prozess verantworten muss?
Ralf Wohlleben ist einer, dem man seine extrem rechte Gesinnung nicht unbedingt auf den ersten Blick ansieht: Die Haare nicht zu kurz, keine Szeneklamotten, sondern meistens unauffällig mit dunkler Hose und Hemd bekleidet. Einer, der bürgerlich und zurückhaltend wirkt.
An seiner Ideologie ändert das nichts, meint Opferanwalt Thomas Bliwier: "Er ist, wenn man so will, ein bisschen der intellektuelle Typ. Er hat aber die Ideologie und will sich offensichtlich die Finger nicht schmutzig machen."
Bundesanwaltschaft fordert zwölf Jahre Haft
Die Finger nicht schmutzig machen - das sei schief gegangen mit der Lieferung der Waffe, mit der der NSU Morde verübte, sagt Bliwier weiter. Dass Wohlleben die Waffe lieferte, daran gibt es für ihn keinen Zweifel. "Sein Glück ist, dass es für mehr nicht reicht", sagt Bliwier. Denn Wohlleben ist der Beihilfe zum Mord angeklagt - zwar in neun Fällen - doch lebenslange Haft steht darauf nicht. Die Bundesanwaltschaft fordert zwölf Jahre Gefängnis.
Viele Nebenkläger und deren Anwälte sind davon überzeugt, dass Wohlleben mehr war als nur Unterstützer der drei Untergetauchten des NSU-Trios: vielmehr der vierte Mann der Terrorgruppe - sozusagen der legale Arm.
Karriere bei der NPD
Sicher ist: Während der NSU bereits erste Raubüberfälle, Bombenanschläge und einen Mord verübte, hielt Wohlleben weiter Kontakt - und machte gleichzeitig Karriere in der Thüringer NPD, wie sich Nebenklageanwalt Mehmet Daimagüler empört: "Dieser Mann hat tagsüber Plakate und Parteiprogramme geschrieben, er war ja stellvertretender Landesvorsitzender der NPD, und nachts hat er Morde mitorganisiert."
Alle Fäden in Wohllebens Hand?
Beihilfe zum neunfachen Mord wirft die Bundesanwaltschaft Wohlleben vor, insbesondere, weil er die Lieferung der berüchtigten Pistole Česká 83 organisiert haben soll. Er sei der Strippenzieher gewesen, der alle Fäden in der Hand hielt, sagte Bundesanwalt Herbert Diemer bereits am Anfang des Verfahrens:
Wir gehen nach dem Ergebnis unserer Ermittlungen davon aus, dass der Angeklagte Ralf Wohlleben und der Angeklagte Carsten S. die Pistole Česká 83 beschafft haben, mit der neun Menschen ermordet worden sind. Wir sind außerdem davon überzeugt, dass beide damit gerechnet haben, dass damit rassistische Morde begangen werden und dass sie das billigend in Kauf genommen haben.
Im Gegensatz zu Wohlleben hat Carsten S. die Lieferungen gestanden und dabei nicht nur Wohlleben, sondern auch sich selbst schwer belastet. Ohne seine Aussage wäre Wohlleben wohl nie vor Gericht gestellt worden, räumt auch die Bundesanwaltschaft ein. Wohllebens Verteidiger versuchten denn auch über Monate, die Glaubwürdigkeit von Carsten S. zu erschüttern - letztlich ohne Erfolg.
Langes Schweigen vor Gericht
Da half es auch nichts, dass sich Wohlleben nach langem Schweigen doch noch dazu entschied, am 251. Verhandlungstag eine Aussage im Gerichtssaal zu machen. "Das war natürlich Theater", meinte damals Opferanwalt Alexander Hoffmann. Die Aussage sei konstruiert gewesen, basierend auf den Fragen, welche Punkte der Beweisaufnahme Wohlleben nicht mehr habe bestreiten können und wo er vielleicht noch etwas anpassen konnte.
Gewalt habe er stets abgelehnt, hatte Wohlleben in seiner Einlassung gesagt. Von der Lieferung der Mordwaffe will er zwar gehört, aber ansonsten nichts damit zu tun gehabt haben. Dass das Oberlandesgericht München ihm das vermutlich nicht abnimmt, zeigt die Tatsache, dass es mehrere Anträge ablehnte, den 43-Jährigen aus der Untersuchungshaft zu entlassen.
Neonazis sammeln für "Wolle"
In der rechtsextremen Szene wird Wohlleben - Spitzname Wolle - unterdessen zum Märtyrer stilisiert, schon vor Prozessbeginn skandierten Neonazis bei einem Aufmarsch in München: "Freiheit für Wolle." So heißt auch eine Rechtsrock-CD, mit der Geld für Wohlleben gesammelt wurde. Als sich im Oktober 2016 in der Schweiz rund 5000 Neonazis zu einem der größten Rechtsrock-Konzerte überhaupt versammelten, sollen Teile der Einnahmen an Wohlleben geflossen sein, berichteten Schweizer Medien.
Zu Wohllebens Anwälten zählen unter anderem eine Ex-NPD-Funktionärin, der Ex-Chef der inzwischen verbotenen "Wiking Jugend" und der einstige Sänger einer Rechtsrock-Band. Zuletzt stellten seine Verteidiger wiederholt beinahe gleichlautende Beweisanträge, bis das Gericht ihnen ganz offiziell bescheinigte, ihnen würde es nur noch um die Verschleppung des Verfahrens gehen. Immer wieder haben sie den NSU-Prozess auch als Plattform für Neonazipropaganda genutzt, schwadronierten vom drohenden Volkstod oder wollten beweisen, dass Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess in Haft ermordet worden sei. Kein Zweifel: Hinter der bürgerlichen Fassade des Ralf Wohlleben verbirgt sich ein überzeugter Neonazi.