Wirtschaftspolitik Warum der SPD bald neue Konflikte drohen
Die Umfragewerte der SPD sind im Keller. Nun wollen sich die Sozialdemokraten über ihre Wirtschaftspolitik aus dem Stimmungstief befreien. Doch das dürfte für weitere Konflikte sorgen.
Ein vermeintlicher Löwe in Berlin und ein Känguru in Brandenburg. Selten war in den vergangenen Jahren so viel Aufmerksamkeit für Sommerlochthemen möglich. Das liegt auch daran, dass sich die Vertreter der Ampelkoalition über den Sommer Ruhe verordnet hatten. Zu groß war das eigene Entsetzen in der Koalition über den Streit beim sogenannten Heizungsgesetz.
Doch die Ruhe könnte täuschen. Die Ampel steht vor neuen großen Konflikten. Diesmal geht es um die Wirtschaftspolitik. Schon wieder stehen sich insbesondere FDP und Grüne unversöhnlich gegenüber. Spätestens seitdem der Internationale Währungsfonds (IWF) Deutschland als einzigem großen Industrieland ein negatives Wirtschaftswachstum attestiert hat, läuft der Konflikt auch öffentlich hoch.
Die SPD steht irgendwo in der Mitte
In der Diagnose sind sich SPD, Grüne und FDP noch einig. Doch die Lösungsvorschläge unterscheiden sich. Die Grünen wollen ein 30 Milliarden Euro schweres Investitionspaket, die FDP lieber Steuersenkungen für Unternehmen. Und die SPD? Steht irgendwo in der Mitte und gerät zunehmend unter Druck durch schlechte Umfragewerte.
Bei der Bundestagswahl hatte die Partei noch 25,7 Prozent geholt und war damit stärkste Kraft geworden. Inzwischen sind die Sozialdemokraten die größten Verlierer unter den Ampelparteien. Im aktuellen ARD-DeutschlandTrend liegt die SPD bei der Sonntagsfrage nur noch bei 17 Prozent. Das reicht nur für Platz drei hinter Union und AfD.
Klausurtagung zum Thema Wirtschaftspolitik
Die Partei hat erkannt, dass sie deshalb beim Thema Wirtschaft liefern muss. Ende August trifft sich die Bundestagsfraktion zu einer Klausur in Wiesbaden. Dort will die Partei ein Papier zur Wirtschaftspolitik beschließen. Daran wird hinter den Kulissen gerade geschrieben. In der Fraktion ist die ehemalige Start-up-Unternehmerin Verena Hubertz für Wirtschaft zuständig.
Dem ARD-Hauptstadtstudio sagt sie, man brauche keine Schnellschüsse, sondern eine aktive Wirtschaftspolitik, um die verkrusteten Strukturen anzugehen: "Das bedeutet langfristig Investitionen in Zukunftsindustrien, steuerliche Anreize zur Investition, weniger Bürokratie und dringend einen Brückenstrompreis."
Strompreisrabatte - ja oder nein?
Für dieses Instrument gibt es in der Partei unterschiedliche Namen. Neben Brückenstrompreis taucht auch der Begriff Transformationsstrompreis oder einfach nur Industriestrompreis auf. Alle drei Begriffe meinen dasselbe: staatlich finanzierte Strompreisrabatte für Industrieunternehmen.
In der Partei ist das Instrument beliebt. Unter anderem die Ministerpräsidenten Anke Rehlinger (Saarland) und Stephan Weil (Niedersachsen) fordern die Einführung. Auch die Fraktion wird den Industriestrompreis in den kommenden Wochen zu einer zentralen Forderung machen. Das einzige Problem. Der Kanzler ist nicht überzeugt. Und die FDP ist strikt dagegen. Nur der grüne Koalitionspartner ist auch für den Preisrabatt.
Hubertz ist trotzdem optimistisch, dass der Industriestrompreis am Ende kommen wird. Im Interview mit dem Deutschlandfunk sagt sie, man habe auch schon Dinge miteinander umgesetzt, "da waren andere Leute auch strikt gegen etwas". Als Beispiel nennt die SPD-Abgeordnete die Strom- und Gaspreisbremse.
In einigen Punkten herrscht Einigkeit
Bei der Frage könnte es auf einen Konflikt zwischen Kanzler und Bundestagsfraktion hinauslaufen. Aber nicht überall will die SPD Instrumente einführen, die die FDP und der Kanzler ablehnen. Steuerliche Anreize für Unternehmen begrüßt die SPD ausdrücklich. Und auch die Investitionsprämie aus Christian Lindners sogenanntem Wachstumschancengesetz findet die Partei gut.
Hinzu kommen Forderungen nach einem Bürokratieabbaugesetz. Daran arbeitet FDP-Justizminister Marco Buschmann bereits. Bei der kommenden Kabinettsklausur könnten schon Eckpunkte beschlossen werden.
Wem steht das Geld aus der CO2-Bepreisung zu?
Beim Thema Investitionen wiederum ist die SPD näher bei den Grünen. Klar sei, dass man Dinge auch staatlich fördern müsse. Immer dann, wenn Unternehmen selbst Geld in die Hand nehmen, für Investitionen in Zukunftstechnologien oder klimafreundliche Transformationsprozesse.
Der Unterschied zu den Grünen: Die SPD ist überzeugt, dass es dafür erst mal keine zusätzlichen 30 Milliarden Euro braucht. Im Klima- und Transformationsfonds (KTF) sei genügend Geld vorhanden, sagt Hubertz im Deutschlandfunk. Der Nachteil: In den KTF fließen derzeit die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung. Damit steht das Geld aber nicht mehr für den direkten sozialen Ausgleich zur Verfügung.
Eigentlich sollten die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung als sogenanntes Klimageld an die Bürger und Bürgerinnen zurückgegeben werden. Das hatten die Ampelparteien im Koalitionsvertrag vereinbart. Ein Mechanismus dafür muss aber erst noch entwickelt werden. Solange es den nicht gibt, gibt es auch keinen sozialen Ausgleich, obwohl der CO2-Preis weiter steigen soll.
Von dem Geld profitiert dafür unter anderem der Weltkonzern Intel. Für eine neue Chipfabrik in Magdeburg bekommt das Unternehmen rund zehn Milliarden Euro Fördermittel aus dem Klima- und Transformationsfonds. Wirtschaftspolitik lässt sich also kaum von Finanzpolitik trennen.
SPD-"Netzwerk" fordert Reform der Erbschaftsteuer
Das Netzwerk Berlin, neben Parteilinken und eher konservativen Seeheimern die dritte Strömung in der Bundestagsfraktion, hat auch gerade ein Papier geschrieben, das dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt.
Darin fordern die Abgeordneten unter anderem eine Reform der Erbschaftsteuer. In dem Papier heißt es, man wolle eine "wahrhaftig progressive Erbschaftsteuer, bei der für größere Erbschaften ein höherer Steuersatz gilt als für kleinere steuerpflichtige Erbschaften und Schenkungen." Eine klassisch sozialdemokratische Forderung, die allerdings in der Ampelkoalition kaum umsetzbar scheint.
Außerdem bringen die Netzwerker, denen nach eigenen Angaben rund 50 Abgeordnete angehören, auch wieder eine Altschuldenregelung für überschuldete Kommunen auf die Tagesordnung. Angesichts der Dringlichkeit des Problems sei eine Lösung bis Ende des Jahres nötig, die dafür sorge, "dass eigene Beiträge zur Entschuldung geleistet werden, eine erneute derartige Überschuldung künftig verhindert und gleichzeitig die Investitionskraft gestärkt wird".
Im September beginnt mit der ersten Sitzungswoche im Bundestag nach der Sommerpause die zweite Hälfte der Legislaturperiode. Zwei Jahre sind es dann noch bis zur nächsten Bundestagswahl. Es könnte sein, dass sich die SPD künftig wieder öfter inhaltlich zu Wort meldet.
Das Erste zeigt das Sommerinterview mit der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken am Sonntag ab 14 Uhr auf tagesschau24 und ab 18 Uhr im Bericht aus Berlin.