Hochspannungsmast

Entlastungen für die Wirtschaft Was ein Industriestrompreis bringen soll

Stand: 04.08.2023 10:54 Uhr

Die Ampelkoalition diskutiert über Entlastungen für die Wirtschaft. Minister Habeck favorisiert einen Industriestrompreis. Die FDP lehnt das strikt ab. Was sind die Argumente beider Seiten?

Von Hans-Joachim Vieweger, ARD-Hauptstadtstudio

Manche Wirtschaftsverbände, wie etwa der Verband der Chemischen Industrie, fordern seit Langem einen Industriestrompreis. "Wer die bestehende Produktion in Deutschland erhalten und Investitionen in klimaschonende Technologien forcieren will, kommt um wettbewerbsfähige Strompreise für die Industrie nicht herum", heißt es dazu in einem aktuellen Positionspapier, in dem die Pläne von Wirtschaftsminister Robert Habeck im Grundsatz begrüßt werden.

Habecks Ministerium hatte dazu Anfang Mai ein mögliches Konzept vorgestellt. Energieintensive Unternehmen müssten demnach nur sechs Cent pro Kilowattstunde Strom zahlen, begrenzt auf 80 Prozent des Verbrauchs. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr lag der Großhandelspreis für Strom bei rund zehn Cent.

Preisdeckel als "endliche Subvention"

Der Preis liegt damit deutlich niedriger als im vergangenen Jahr, aber immer noch zu hoch, sagt Habeck. Er spricht sich daher für einen Preisdeckel als "endliche Subvention" aus. Es gehe darum, Investitionen in die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft in Deutschland zu halten. Habeck fürchtet, dass Unternehmen ansonsten lieber im Ausland investieren. Wirtschaftliche Substanz könnte unwiederbringlich verloren gehen - eine Warnung, die auch vom Verband der Chemischen Industrie und Vertretern anderer energieintensiver Branchen kommt.

25 bis 30 Milliarden Euro könnte das Projekt Industriestrompreis bis zum Jahr 2030 kosten. Wobei Habeck inzwischen auch eine kleinere Variante, zum Beispiel mit einer Begrenzung auf drei bis fünf Jahre als Kompromiss ins Spiel gebracht hat.

Unabhängig von der Größenordnung: Finanziert werden sollte der günstige Industriestrompreis aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds WSF, aus dem bereits die Preisbremsen für Strom und Gas bezahlt werden. "Ja, das ist schuldenfinanziert", gibt Habeck zu. Aber bei der Wahl zwischen höheren Schulden und dem Verlust von Industrie, sei für ihn die Entscheidung klar: "Wir dürfen Letzteres nicht zulassen."

Zustimmung aus NRW und Niedersachsen

Unterstützung erhält Habeck von mehreren Ministerpräsidenten, insbesondere aus Ländern mit großen Industriebetrieben, so vom CDU-Politiker Hendrik Wüst aus Nordrhein-Westfalen: Die Industrie brauche Verlässlichkeit, die Stahl-, die Chemie- und die Zementindustrie könnten ohne einen wettbewerbsfähigen Strompreis nicht bestehen. Ähnlich äußerte sich Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD): Es gehe darum, die Abwanderung von Unternehmen zu stoppen und Arbeitsplätze zu sichern.

FDP und Mittelstand dagegen

Die Kritiker - vor allem aus der FDP, aber auch aus Wirtschaftsverbänden, die vor allem Mittelständler vertreten - überzeugt das nicht. Sie fürchten eine Wettbewerbsverzerrung: zwischen denen, die von einer solchen Subvention profitieren und denjenigen, die letztlich dafür zahlen müssen, wie FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai betont.

Doch es geht um mehr als um die Frage der Finanzierung. Djir-Sarai hat grundsätzliche Bedenken. Ein Industriestrompreis sei nicht mit den Ordnungsprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft vereinbar: "Preise haben in der Marktwirtschaft eine Signalwirkung." Wenn die Signalwirkung durch einen subventionierten Preis verloren gehe, habe das weitgehende Folgen, so der FDP-Politiker. So könnte der Anreiz, in Energieeffizienz oder in neue Formen der Stromgewinnung zu investieren, zum Beispiel durch firmeneigene Windparks, schwinden.

Kanzler Scholz zurückhaltend

Statt den Marktpreis zu korrigieren, müsse alles getan werden, um das Energieangebot zu erhöhen, sagt Djir-Sarai. Eine Position, die auch Bundeskanzler Olaf Scholz vertritt. Trotz massiver Forderungen nach einem Industriestrompreis aus seiner eigenen Partei zeigte er sich bislang sehr zurückhaltend. So sagte der SPD-Kanzler bei einer Tagung des Wirtschaftsrates der CDU, die Energiewirtschaft könne kein "Dauer-Subventionsfall" werden. Es gehe vielmehr darum, die Produktionsbedingungen für die Stromerzeugung zu verbessern, um künftig billige Strompreise zu haben.

Zu den Kritikern gehört auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium. Die Mitglieder des Gremiums, führende deutsche Ökonomen, verweisen darauf, dass ein wesentlicher Anteil an den hohen Preisen auf staatliche Vorgaben zurückgeht - von der Stromsteuer bis zur CO2-Abgabe. Energieintensive Betriebe könnten davon bereits jetzt teilweise befreit werden. Es handle sich um ein "überaus komplexes und widersprüchliches Gefüge des Besteuerns und Förderns in der Energieversorgung".

Der Beirat fordert daher, die Stromsteuer für alle abzuschaffen - also sowohl für Unternehmen als auch für private Haushalte. Darüber hinaus sollten Mittel, die zum Ausbau der Infrastruktur dringend notwendig seien, nicht in die "Verwaltung des Mangels" gesteckt werden, sondern in die "Behebung des Mangels".

Ein Schlusspunkt der Debatte ist damit noch nicht in Sicht - zumal fast an jedem Tag neue negative Nachrichten aus der Wirtschaft für Schlagzeilen sorgen. Ein zeitlich begrenzter Industriestrompreis könnte zusammen mit anderen Maßnahmen zur dringend nötigen Stärkung der Wirtschaft beitragen, heißt es daher von Verbandsvertretern. Ansonsten würde sich der negative Trend verstärken.

Zugleich ist die Sorge groß, dass die Anforderungen für einen ermäßigten Strompreis ähnlich hoch sein könnten wie bei den Energiepreisbremsen. Sie wurden bislang deutlich weniger abgerufen als erwartet.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 03. August 2023 um 07:00 Uhr.