AfD-Fraktionsvorsitzende Weidel Frau der Widersprüche
Die AfD feiert sich für ihre Umfrageergebnisse und will einen Kanzlerkandidaten aufstellen. Fraktionschefin Weidel würde dafür infrage kommen - hält sich aber zurück.
Als Alice Weidel diese Woche bei dem bayerischen Volksfest Gillamoos auftrat, wurde sie als die "eventuell zukünftige Kanzlerin" angekündigt. Man hatte das Gefühl, der Parteivorsitzenden gefällt das. Auch wenn sie selbst wissen dürfte, dass es ein illusorisches Szenario ist. Denn auch wenn die hohen Umfragewerte der AfD bleiben oder gar noch steigen sollten - um im Bund zu regieren, bräuchte die Partei Koalitionspartner. Doch alle demokratischen Parteien schließen eine Koalition mit der AfD aus.
Trotzdem redet die AfD darüber, erstmalig einen Kanzlerkandidaten aufzustellen. Parteichefin Alice Weidel hat es bereits öffentlich angekündigt und beim TV-Sender "Welt" ergänzt: "Natürlich habe ich Lust, andere haben aber auch Lust."
Wenn man mit AfD-Abgeordneten in diesen Tagen spricht, wird Weidel jedoch als alternativlos dargestellt. Die Basis liebe sie, wer würde sich schon trauen gegen sie anzutreten. Die Parteichefin selbst betont hingegen, dass nichts entschieden sei und überhaupt die Parteimitglieder die Einzigen seien, die darüber abstimmen würden. Bloß niemanden gegen sich aufbringen, bloß nicht zu offensiv wirken.
Wahlkampfhilfe für Rechtsextremist Höcke
Weidel kennt die Partei seit zehn Jahren und weiß um das Schicksal der vorherigen Parteichefs. Seit jeher gilt in der AfD die Regel: Wer oben steht, ist verdächtig - und wird kurz nach der Wahl zur Zielscheibe. Bemerkenswert ist, dass es ihr bislang gelungen ist, kaum Widerstand in den eigenen Reihen zu erzeugen, zumindest nicht öffentlich.
Die Parteichefin hat Oberwasser. Das liegt zum einen selbstredend an den hohen Umfragewerten, zum anderen aber auch daran, dass es Weidel und ihrem Co-Fraktionsvorsitzenden Tino Chrupalla bislang gelungen ist, jegliche Konflikte auszubremsen und sich vor allem gegenüber den Rechtsextremisten in der Partei geschmeidig zu geben.
Früher war es für Weidel undenkbar, mit Björn Höcke gemeinsam Wahlkampftermine zu bestreiten. Sie wollte ihn gar aus der Partei ausschließen. Nun aber tauchte sie im April just neben dem Thüringer AfD-Chef in Erfurt auf. Arm in Arm macht Weidel Wahlkampfhilfe für den Rechtsextremisten.
Alles, was stört, wird ausgeblendet
Es dürfte an der Erkenntnis liegen: Ohne Höcke geht nichts. Zuletzt wurde Höckes Macht auch bei der Kandidatenauswahl der AfD zur Europawahl deutlich. Es setzten sich viele seiner Vertrauten durch, etwa der Spitzenkandidat Maximilian Krah.
Insgesamt war die Auswahl zur Europawahl ein Schaulaufen extremer Positionen. Je radikaler, desto mehr Applaus. Verschwörungserzählungen, Rassismus, Homophobie - alles dabei.
Die Parteivorsitzende, die selbst homosexuell ist und mit ihrer Regenbogenfamilie in der Schweiz lebt, schweigt zu solchen Wutausbrüchen. Weidel sieht dabei zu, wie die Partei just unter ihrer Parteiführung immer homophober wird. Ein rätselhafter Widerspruch, der aber ein typischer Charakterzug Weidels ist: Alles, was stört oder schaden könnte, wird ausgeblendet.
Inhaltlich mehr liefern?
Die Parteichefin selbst hetzte bei ihrem Auftritt beim Volksfest Gillamoos dann vor allem gegen die Grünen und bezeichnete die Ampel-Regierung als "Vollidioten" und "Wahnsinnige". Manch Abgeordneter in ihrer Fraktion beklagt jedoch, es würde nicht reichen immer nur von "Vollidioten" zu reden. Man müsse auch inhaltlich mehr liefern.
Auch der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland sagte kürzlich der "Zeit", die aktuellen Umfrageergebnisse seien nicht in erster Linie Verdienst der AfD. "Sie verdankt sich den Fehlern der anderen", so Gauland.
Wie die Politik einer "AfD-geführten Bundesregierung" aussehen würde, legten die Parteivorsitzenden kürzlich in einem Zehn-Punkte-Plan vor. Es sind bekannte Positionen: weniger Steuern, die Energiewende beenden, eine rigide Flüchtlingspolitik. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat berechnet, dass die Hauptleidtragenden der AfD-Politik die eigenen Wähler wären. Noch ein Widerspruch, der der studierten Ökonomin Weidel bekannt sein dürfte.