Waffenlieferungen an die Ukraine Wie aus Helmen Panzer wurden
Mittlerweile ist die Liste deutscher Waffenlieferungen an die Ukraine lang. Dahinter steht die Geschichte eines politischen Entscheidungsprozesses, in dessen Verlauf Deutschland oft zögerlich wirkte.
Die Geschichte der deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine muss mit ihrer Vorgeschichte beginnen: Bereits im Jahr 2015 - nach der Krim-Annexion - drängte der damalige US-Präsident Barack Obama die Bundesrepublik dazu. Ohne Erfolg. Jahrelang berief man sich in Berlin auf zwei Prinzipien deutscher Außenpolitik: Die Lieferung tödlicher Waffen in Krisengebiete war ein Tabu. Und: Russland sollte auf gar keinen Fall provoziert werden.
In Stahlbeton gegossenes Beispiel des gescheiterten deutschen "Wandel-durch-Handel"-Ansatzes war die NordStream-2-Pipeline, die von der ehemaligen Kanzlerin Angela Merkel nie und von Bundeskanzler Olaf Scholz erst wenige Tage vor Kriegsbeginn erstmals in Frage gestellt wurde.
Ein tiefer Einschnitt
Dies alles muss man wissen, um die Tiefe des Einschnitts zu ermessen, der mit dem 24. Februar 2022 folgte: Kurz davor, als an der ukrainischen Grenze schon mehr als 100.000 russische Soldaten aufmarschiert waren, widersetzte sich Deutschland noch jeglichem Druck der Bündnispartner, lieferte lediglich ein Feldlazarett und Beatmungsgeräte - bevor sich Verteidigungsministerin Christine Lambrecht Ende Januar mit der als großherzige Geste verkauften Ankündigung blamierte, 5000 Helme zu schicken.
Nach dem russischen Einmarsch folgte parallel zu Scholz' Zeitenwende-Rede die Waffenwende: Unter anderem lieferte Deutschland 1000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ "Stinger", kurz darauf kamen STRELA-Raketen aus DDR-Beständen und Panzerfäuste hinzu. Wie man heute weiß: Es sind Waffen, die in den ersten Kriegswochen wirkungsvoll dabei halfen, dass Russland nie die Hoheit über den Luftraum gewinnen konnte. Doch eine weitere Erkenntnis lässt sich auch schwer leugnen: Ohne die USA gäbe es die Ukraine als souveränen Staat heute nicht mehr.
Von der Zeiten- zur Gedankenwende
Was dann folgte, waren im März und April anschwellende Forderungen aus dem In- und Ausland nach der Lieferung "schwerer Waffen". Der Kanzler schien zunächst wochenlang völlig abgetaucht, erklärte dann wortreich, warum dies ein unkalkulierbares Risiko darstellen würde. Um dann - nur wenige Tage, nachdem er in einem "Spiegel"-Interview unter Verweis auf die Atommacht Russland noch einmal warnte - doch die Lieferung des "Gepard"-Flakpanzers zu verkünden.
Es war ein echter Kurswechsel: Denn Anfang Mai sagte der Kanzler auch die Lieferung der Panzerhaubitze 2000 zu - das schwerste also, was Deutschland an Artilleriegeschütz zu bieten hat. Hinzu kamen dann, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, im Juni das Flugabwehr-System IRIS-T, was die Ukraine angesichts des russischen Raketenbeschusses auf städtische und zivile Ziele dringend benötigte. Und im Juli Mehrfachraketenwerfer vom Typ MARS II.
Zur "Gedankenwende" beigetragen haben dürfte auch die Erkenntnis, dass Russland mit Gräueltaten wie denen in Butscha in der Tat einen Vernichtungskrieg gegen sein Nachbarland führt. Und dass die Waffenlieferungen Wirkung zeigten. Im Sommer gelang es der Ukraine, große Gebiete im Süden und Osten zurückzugewinnen.
Die Panzerdebatte
Vermutlich ist das ein Grund dafür, warum dann die auch von Ampelpolitikern als quälend empfundene Kampf- und Schützenpanzer-Debatte begann. Gewünscht hatte sich die Ukraine diese bereits im März. Doch im September nahm der Druck auf Deutschland massiv zu, das bislang stets auf den schleppend vorankommenden "Ringtausch" mit NATO-Partnern gesetzt hatte: Man brauche den "Leopard 2" dringend, flehte der ukrainische Außenminister Kuleba seine deutsche Amtskollegin Annalena Baerbock fast schon an, als diese im September Kiew besuchte.
Zudem machte die Idee Furore, Deutschland könne gemeinsam mit Partnern eine Art "Leopard"-Koalition bilden, um so - europäisch eingebettet - seinem selbst erhobenen Führungsanspruch gerecht zu werden und gleichzeitig der Ukraine zu helfen. Doch mit dem fast schon stoisch vorgetragenen Verweis darauf, dass kein NATO-Partner westliche Kampfpanzer liefere und Deutschland keine Alleingänge wolle, verstrichen weitere Monate.
Bis Anfang Januar 2023 der Kanzler dann doch die von Ampelkoalitions- wie Bündnispartnern lange herbeigesehnte Entscheidung traf, der Ukraine den Schützenpanzer "Marder" zukommen zu lassen.
Dies läutete in der Tat wiederum eine neue Phase der deutschen Waffenlieferungen ein. Der Schritt, dann auch den "Leopard 2"-Kampfpanzer zu liefern, war dann kein allzu großer mehr. Trotzdem dauerte es erneut drei Wochen, bis auch diese Entscheidung am 25. Januar gefällt wurde.
War es doch aus Kanzleramtssicht unerlässlich, die USA an Bord zu haben und sie davon zu überzeugen, ihrerseits Kampfpanzer zu liefern. Betonte Scholz hinterher, die enge Abstimmung mit den Partnern sei gelungen, bemängelten Kritiker, auf dem langen Weg dahin habe Deutschland die Osteuropäer entfremdet, die USA irritiert und letztlich doch wieder nur den Eindruck eines Getriebenen vermittelt, der sich nur auf extremen Druck von außen bewegt.
Kritik: Keine Strategie erkennbar
Ende März sollen die "Leopard"-Panzer nun geliefert werden. Bis dahin erhofft sich die Ukraine neue Zusagen: Die gewünschte Lieferung von Kampfjets lehnen Deutschland und die USA jedoch ab. Zu den drängendsten Problemen zählt aktuell der Nachschub mit Munition und die Raketenabwehr, worauf auch Verteidigungsminister Boris Pistorius beständig verweist.
Heute zählt Deutschland zu den wichtigsten Unterstützern der Ukraine - und hat verglichen mit der Haltung vor dem Krieg eine gewaltige mentale Wegstrecke zurückgelegt. Trotzdem werfen Kritiker insbesondere dem Kanzler beständig vor, eine deutsche Strategie sei nicht erkennbar. Was sich Olaf Scholz indes nicht vorhalten lassen muss: Je Versprechen gebrochen zu haben. Rote Linien, die er nicht halten konnte, hatte er wohlweislich öffentlich nie gezogen.