Robert Habeck
Analyse

Ein Jahr Krieg in der Ukraine Raus aus dem Krisenmodus?

Stand: 22.02.2023 13:28 Uhr

Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine musste Wirtschaftsminister Habeck seine Agenda neu auflegen. Die Versorgungssicherheit rückte plötzlich an erste Stelle. Nun will er wieder an die ambitionierten Klimaziele ran.

Eine Analyse von Martin Polansky, ARD-Hauptstadtstudio

So hatte sich Robert Habeck die Energiewende wohl nicht vorgestellt. Als Wirtschafts- und Klimaschutzminister war er mit einem klaren Ziel angetreten: Weg von fossilen Brennstoffen - und zwar im Eiltempo. Klimaneutralität bis 2045 war das Ziel.

Dann überfiel Russland die Ukraine und drehte den Gashahn zu - und es begann eine Energiewende der ganz anderen Art. Habeck nahm ausgemusterte Kohlekraftwerke wieder ans Netz, ließ Flüssiggasterminals in Rekordzeit errichten und verbeugte sich vor dem Handelsminister in Katar - in der Hoffnung auf Erdgasgeschäfte, um die Versorgung hierzulande zu sichern.

"Es war ja eine Kette von schwierigen Entscheidungen", sagt Habeck gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio. "Die Entscheidung, die ich am problematischsten finde, ist tatsächlich, die Kohlekraftwerke wieder ans Netz zu nehmen. Weil dadurch ohne Frage die andere Krise unserer Zeit, die globale Erderwärmung angeheizt wird. Das ist eine richtige Entscheidung gewesen, würde ich sagen. Aber natürlich eine bittere Entscheidung."

Krisenmodus statt Energiewende

Das sehen viele Klimaaktivisten ganz anders. Synonym für den Streit über die Kohlenutzung wurde der Name Lützerath. Der Ort, der weichen musste, damit im Rheinischen Revier weiter Braunkohle gefördert werden kann. Habeck verweist darauf, dass der Deal mit dem Energiekonzern RWE unterm Strich gut sei für den Klimaschutz. Kurzfristig kann RWE zwar mehr Kohle verfeuern, wird dafür aber bereits 2030 die Kohlemeiler in NRW vom Netz nehmen - acht Jahre früher als geplant. Die Proteste in Lützerath konnte das nicht verhindern.

2022 war für Habeck ein Jahr des Krisenmodus statt der planmäßigen Energiewende. Jetzt, 2023, will Habeck zurück auf Start. Den grünen Umbau der Energieversorgung und der Wirtschaft vorantreiben. Und mit Blick auf die Krisenbewältigung auch das Tempo anziehen.

"Es gibt ja eine andere Moral vom Jahr 2022: Deutschland hat in einer großen gemeinsamen Anstrengung gezeigt, wie stark wir sein können, wenn wir es denn wollen", so Habeck. "Wenn wir das jetzt übernehmen, um auch die globale Erderwärmung zu bekämpfen, dann werden wir die zusätzlichen CO2-Emissionen in den nächsten Jahren auch schnell wieder reinholen."

Habeck will die Rolle des Staates stärken

Das vielbeschworene "LNG-Tempo" will Habeck nun übertragen auf die grüne Energiewende. Im vergangenen Jahr hat er eine Reihe von Beschleunigungsmaßnahmen auf den Weg gebracht: für schnellere Genehmigungsverfahren etwa durch vereinfachte Umweltprüfungen, mit Vorgaben für die Bundesländer, wie viel Flächen sie für Windkraft bereitstellen müssen.

Der Ausbau der Erneuerbaren liegt nun im "überragenden öffentlichen Interesse", was die Einsprüche von Bürgern weniger aussichtsreich macht. Dazu kommen ambitionierte Zielmarken für den Zubau von Windrädern, Offshore-Windparks und Solaranlagen. Eine Verdreifachung des Ausbautempos wird nun angestrebt.

Habeck will nicht nur das Krisentempo übertragen, sondern auch die Rolle des Staates dauerhaft stärken. Der soll zum wichtigen industriepolitischen Akteur werden und viel Geld besteuern, um einerseits die Produktion von Windkraftanlagen und Photovoltaik hierzulande zu unterstützen und andererseits den klimagerechten Umbau der Stahl- oder Zementindustrie zu fördern. Zudem gibt es im Wirtschaftsministerium Überlegungen, dass der Staat sich am Aufbau eines Wasserstoffnetzes beteiligt.

Habeck umschreibt das mit Begriffen wie "transformative Angebotspolitik" oder auch "verändertes Marktdesign". Kritiker befürchten aber, dass Habecks Industriepolitik auf milliardenschwere Dauersubventionen hinausläuft.

Verändertes Umfeld auch in der EU

Aus Sicht des klima- und energiepolitischen Sprechers der Unionsfraktion, Andreas Jung, ist Habecks grüne Industriepolitik zu dirigistisch: "Wir brauchen für ein klimaneutrales Industrieland Innovationshochlauf und nicht Subventionswettlauf. Deshalb müssen wir auf Forschung und Entwicklung setzen, eine Reform der Unternehmenssteuern, auch auf wettbewerbsfähige Energiepreise und eine Fachkräfteinitiative. Man sollte zuvorderst auf die Kräfte des Marktes und nicht auf Eingriff des Staates setzen."

Aber auch auf EU-Ebene zielen der Green Deal und die damit verbundene Industriestrategie darauf, durch Fördermittel und Regelsetzung die Energiewende und den Umbau der Wirtschaft voranzubringen - etwa mit der Entscheidung, ab 2035 keine neuen Verbrenner-Pkw mehr in der EU zuzulassen. Und Europa ringt um die Antwort auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act, der mit viel Geld klimafreundliche Investitionen aus der EU abziehen könnte. Es droht daher immer noch ein transatlantischer Subventionswettlauf um klimafreundliche Branchen.

Das veränderte Umfeld kommt Habeck durchaus zupass. So könnte der Krisenmodus des Jahres 2022 für ihn zur Blaupause werden für die Energiewende: mit Fördergeld und Tempo den Umbau vorantreiben. Erst mal einen Schritt zurück - aber dann zwei nach vorne.

Martin Polansky, Martin Polansky, ARD Berlin, 21.02.2023 19:57 Uhr