Deutsche Ukraine-Unterstützung Zwischen "Taurus" und Flugabwehr
Ein Ende des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ist nicht in Sicht. Am Wochenende gab es schwerste Raketenangriffe. Wie steht die deutsche Politik zur weiteren Unterstützung der Ukraine?
Am späten Sonntagabend berichten US-Medien, dass US-Präsident Joe Biden der Ukraine den Einsatz weitreichender Raketen erlauben wird. Und prompt folgte ab Montagmorgen in Berlin die Debatte um die Lieferung von deutschen "Taurus"-Marschflugkörpern an die Ukraine. Die Positionen sind altbekannt und haben sich nicht geändert. Allerdings ist jetzt Bundestagswahlkampf und es muss in der öffentlichen Debatte niemand mehr Rücksicht nehmen.
In der Praxis hat das zur Folge, dass sich die Grünen in der verbliebenen Minderheitsregierung mit der SPD an keine Koalitionsdisziplin mehr halten. Konkret hat der Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck bereits vor Bidens Erlaubnis in der ARD angekündigt, dass er im Fall einer Wahl zum Regierungschef "Taurus"-Marschflugkörper an die Ukraine liefern würde.
Pro "Taurus"-Lieferung ist auch der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, FDP-Politiker Marcus Faber. Und auch CDU-Chef Friedrich Merz hatte sich bereits in der Vergangenheit für die "Taurus"-Lieferung ausgesprochen.
Zurückhaltender ist dagegen CSU-Chef Markus Söder. Er spricht davon, "jetzt keine Detailentscheidungen zu treffen", sondern "die grundlegende Strategie" mit den USA und den europäischen Verbündeten zu bereden.
Söder weiß, dass der Anti-"Taurus"-Kurs von Sahra Wagenknecht, Alice Weidel und der Linken in der Bevölkerung durchaus verfängt. Obwohl sich kaum ein Politiker mit dem Waffensystem wirklich auskennt, ist "Taurus" längst zum Symbol für die militärische Ukraine-Unterstützung geworden.
Da die Marschflugkörper besonders tief fliegen und relativ klein sind, können sie von der gegnerischen Flugabwehr nur schwer getroffen werden. Die Bundeswehr hat das Waffensystem "Taurus" seit 2005. Es kann mit den Kampfflugzeugen "Tornado" und "Eurofighter" zum Einsatz gebracht werden. Hersteller ist eine Tochterfirma des Rüstungskonzerns MBDA.
Der Marschflugkörper "Taurus" ist das deutsch-schwedische Gegenstück zu den parallel entwickelten britisch-französischen Marschflugkörpern "Storm Shadow" und "Scalp".
Kanzler Olaf Scholz ist unterdessen beim G20-Gipfel in Rio de Janeiro und lässt einen Sprecher in Berlin ausrichten, dass sich an seiner ablehnten Haltung auch durch die US-Entscheidung nichts geändert habe. Und sein Verteidigungsminister Boris Pistorius sieht im "Taurus" keinen "Game Changer". In der ARD-Sendung Bericht aus Berlin verweist er bereits am Sonntag darauf, dass es beim "Taurus" Argumente gebe, die für die nationale Sicherheit und die Strategie der NATO relevant wären und über die man öffentlich nicht reden könne.
Warum die SPD-Regierungsmitglieder Scholz und Pistorius bei einer "Taurus"-Lieferungen an die Ukraine Sicherheitsbedenken haben, die Grünen Habeck und Annalena Baerbock aber nicht, ist längst nicht klar. Aber solange Scholz Bundeskanzler ist, dürfte "Taurus" nicht geliefert werden.
Luftverteidigung, Luftverteidigung, Luftverteidigung
Während in Berlin also mal wieder die "Taurus"-Debatte tobt, ist Bundesverteidigungsminister Pistorius an diesem Montag ausgerechnet beim Hersteller. Im bayerischen Schrobenhausen hat der Raketenspezialisten MBDA seinen Sitz und dort geht es nicht nur um "Taurus". Denn das Unternehmen wird künftig auch die neueste Generation der Lenkflugkörper für das Flugabwehrsystem "Patriot" bauen.
Erst am Wochenende hat es in der Ukraine einen der schwersten Luftangriffe seit Kriegsbeginn gegeben: Kurz vor dem Winter hat Russland vor allem die ukrainische Energieinfrastruktur angegriffen. Die Ukraine musste die Energieversorgung einschränken. Das zeigt: Auch nach fast tausend Tagen Krieg bleibt der Bedarf an Flugabwehr hoch.
Generalmajor Christian Freuding, Leiter des Ukraine-Sonderstabs im Bundesverteidigungsministerium, hält sie weiterhin für wichtig. "Auch um die Resilienz der Bevölkerung, um die Überlebensfähigkeit der Bevölkerung zu stärken - oder zu erhalten mit Blick auf die Energieversorgung. Das ist für uns der absolute Schwerpunkt." Konkret geht es für Freuding besonders darum, die Flugkörper, die es für die Abwehr russischer Raketen braucht, "schneller und in noch größerer Anzahl produzieren zu können".
Entscheidend ist die Finanzierung
Ein limitierender Faktor ist die dauerhafte und konstante Finanzierung. Doch vor allem die Hilfe aus dem Ausland für die Ukraine dürfte zunehmend schwieriger zu organisieren sein. Denn in den USA wird Donald Trump im Januar die Macht übernehmen und dann ist höchst fraglich, ob es die Militärhilfe des größten Ukraine-Unterstützers im bisherigen Ausmaß geben wird.
Auf Deutschland und die Europäer dürften deshalb spätestens ab Januar 2025 erhebliche Mehrausgaben zukommen. Eine Hoffnung ist der 50-Milliarden-Dollar-Kredit, den G7- und EU-Staaten der Ukraine zur Verfügung stellen. In Berlin wurde das Geld vor allem für zusätzliche Waffenkäufe angekündigt. Doch mittlerweile ist klar: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij braucht es auch, um sein Land überhaupt noch am Laufen zu halten.
Für Freuding kommt es deshalb auch weiterhin auf die nationalen Hilfen an: "Wir müssen unsere bilateralen Anstrengungen natürlich aufrechterhalten und da sind wir im Januar stärker gefördert denn je."
Die bisher geplanten vier Milliarden Euro im Bundeshaushalt werden von der Industrie abgearbeitet. Verteidigungsminister Pistorius sagte dazu in der vergangenen Woche: "Im Augenblick ist alles on track, die Unterstützung läuft und die Lieferungen auch."
Doch schon jetzt zeichnet sich ab, dass das Geld nicht reichen wird. Hinter den Kulissen, im Bundestag, wird aber längst über eine weitere Aufstockung der Ukraine-Hilfen von vier auf sieben Milliarden Euro verhandelt. Obwohl es keine klaren Mehrheitsverhältnisse mehr gibt.
Der ukrainische Bedarf, insbesondere an Flugabwehr, ist weiterhin groß. Das hat der brutale russische Luftangriff vom vergangenen Wochenende gezeigt.