Deutschlands Sahel-Strategie Krachend gescheitert?
Niger war zuletzt der engste Verbündete Deutschlands in der Region und galt als Schlüsselpartner für die Sahel-Strategie der Bundesregierung. Nach dem Militärputsch liegt auch die Strategie in Scherben.
Die Bundesregierung wollte es besser machen in der Sahelzone. Eine nachhaltige Partnerschaft auf Augenhöhe mit den Ländern in der Region strebte man an. Es sollte ein sehr langfristiges Engagement sein - militärisch, aber vor allem zivil. Mit Hilfe von Entwicklungszusammenarbeit wollte man vor allem jungen Menschen eine Perspektive bieten, die so vielversprechend sein sollte, dass terroristische Anwerber sie nicht länger locken konnten.
Man wollte es auch besser machen als Frankreich. Die ehemalige Kolonialmacht ist in vielen Ländern in der Region verhasst. Zugleich aber wollte man sich nicht von Frankreich distanzieren, denn nur wenn die Europäer eine gemeinsame Strategie verfolgen - davon war und ist die deutsche Politik überzeugt, können sie eine überzeugende Alternative zu den Konkurrenten auf dem afrikanischen Kontinent bieten, zu Russland und China.
Die Sahelzone erstreckt sich vom Westen des afrikanischen Kontinents nach Osten.
Gefährliche Fluchtroute
Die Sahelzone erstreckt sich über 7000 Kilometer wie eine Art Gürtel vom Westen des afrikanischen Kontinents nach Osten. Sie trennt den Maghreb vom Süden Afrikas. In ihr liegen die Staaten Senegal, Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad und Sudan.
Quer durch die Sahelzone verläuft eine der gefährlichsten Fluchtrouten Afrikas. In mehreren Ländern gab es in den vergangenen Jahren Militärputsche. Vielerorts sind die russischen Wagner-Truppen aktiv; Russland übt als wichtiger Partner dieser Länder für militärische Rüstung großen Einfluss aus. So auch in Mali, was für die deutsche Regierung zunehmend zum Problem wurde, da sie im Rahmen des UN-Einsatzes MINUSMA ein großes Truppenkontingent in dem Land stationiert hatte. Dessen Einsatz wurde von den Militärmachthabern zunehmend unmöglich gemacht. Inzwischen ist der Bundeswehrabzug beschlossen.
Neue Sahel-Politik
Die Entscheidung für den Abzug aus Mali fiel im Mai. Zugleich kündigte die Bundesregierung an, ihre Sahel-Politik neu ausrichten zu wollen - demonstrativ mit einer gemeinsamen Erklärung aus dem Auswärtigen Amt, dem Verteidigungsministerium und dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Zivile und militärische Überlegungen sollen Hand in Hand gehen. Es sollte auch nicht nur um die eigentlichen Sahel-Staaten wie Niger und Mauretanien gehen, sondern angrenzende Küstenstaaten wie Ghana oder die Elfenbeinküste sollten miteinbezogen werden.
Verteidigungsminister Boris Pistorius beschrieb die Leitlinie für den neuen Politikansatz so: "Entscheidend ist, dass wir durch unser Engagement im Sahel die wachsende Eigenverantwortung der Afrikaner für Sicherheit und Stabilität auf ihrem eigenen Kontinent weiter fördern und befördern." Niger wird da noch als "verlässlicher Partner" bezeichnet. Als ein Stabilitätsanker. Im Rahmen der afrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS wollte man regionale Ansätze fördern. Und die Bundesregierung wollte mehr Verantwortung übernehmen. Auch deshalb kandidierte Entwicklungsministerin Svenja Schulze für den Vorsitz der Sahel-Allianz. Ein Amt, das sie seit dem 10. Juli innehat.
Was bleibt von der Sahel-Strategie?
Nur wenig später war vieles von den Plänen nur noch Makulatur. Am 26. Juli putschte in Niger das Militär. Aus Sicht der Bundesregierung offenbar ziemlich überraschend. Und das ECOWAS-Bündnis erweist sich inzwischen als ein Zusammenschluss von Staaten, das keinen wirklich großen Druck auf die neuen Machthaber in Niger ausüben kann. Das mag auch daran liegen, dass das Bündnis mancherorts in der Region als verlängerter Arm Frankreichs oder der USA gilt. Also von Staaten, deren Einfluss man doch eigentlich abschütteln will.
Was wird nun aus der Sahel-Strategie? Ist sie krachend gescheitert, bevor sie überhaupt begonnen hat? SPD-Verteidigungspolitiker Wolfgang Hellmich bekennt sich klar dazu, vor Ort zu bleiben. Gemeinsam mit den europäischen Partnern müsse man das Vorgehen in der Sahel-Region und die Sahel-Strategie nun neu justieren. "Ich setze auf die Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit", sagte er in einem Interview mit Phoenix. Diese Länder "brauchen zuallererst eine friedliche Entwicklung, die den Menschen in den Ländern eine Perspektive des Überlebens und des Lebens gibt". Mehr zivile statt militärische Zusammenarbeit also.
Irgendwann in ferner Zukunft mag das wieder funktionieren, aber kurzfristig wohl kaum. Denn die Entwicklungshilfe für Niger ist vorerst eingefroren. Man will die Putschisten nicht unterstützen. Militärisch ist die Bundesregierung auf Niger als Drehkreuz angewiesen, um den Abzug der Bundeswehr aus dem Nachbarstaat Mali zu bewerkstelligen. Auch deshalb heißt es momentan von allen Seiten: erst einmal abwarten.
Fest steht aber auch: Das Land, auf das die Bundesregierung in ihrer Afrika-Politik große Hoffnungen setzte, kann kein Partner mehr sein, will man seine eigenen politischen Grundsätze nicht verletzen.
Deutsche Interessen im Sahel
Die Opposition sieht die Sahel-Strategie durch den Putsch in Niger "auf den Kopf gestellt". Dem CDU-Außenpolitiker Markus Koob fehlt "die strategische Klarheit, was wir künftig im Sahel wollen". Man müsse sich der Frage stellen, was einem das Engagement in der Region wert sei, wie robust man vor Ort sein wolle. "Wir müssen realistische Ziele formulieren." Es brauche eine konkrete Strategie, denn "wir haben in der Region Interessen". Da ist er sich mit der Bundesregierung einig.
Außenministerin Annalena Baerbock hat es so formuliert: "Ob wir es wollen oder nicht: Was im Sahel passiert, geht uns etwas an", sagte sie mit Blick auf die Gefahr eines islamistischen Terrorismus, der sich in immer mehr Staaten ausbreitet. Und auch mit Blick auf den wachsenden Einfluss Russlands, das aus Sicht des Westens mit Hilfe der Wagner-Truppen die Region weiter destabilisiert. Und zu guter Letzt auch wegen der zunehmenden Zahl an Flüchtlingen, die nach Europa drängen, um Armut, Dürre und Perspektivlosigkeit zu entkommen.
Schulze setzt auf Sahel-Plus
Genau da will die Sahel-Plus-Initiative des Entwicklungsministeriums ansetzen. Das Plus bezeichnet die Staaten am Rand der Sahel-Region. "Denn die Terrorgruppen der Region machen nicht an Landesgrenzen halt", heißt es in der Erklärung vom Mai. Die deutsche Regierung will vor Ort Jobs und Ausbildungsplätze schaffen, in der Landwirtschaft, im Bauhandwerk, in der Infrastruktur.
Das sind hehre Ziele, die aber nicht auf schnellen Erfolg ausgelegt sind. Im Gegenteil: Es braucht langen Atem bei allen Beteiligten. Und Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Vertrauen, dass die Zusammenarbeit wirklich auf Augenhöhe stattfindet.
Als vertrauensbildende Maßnahme dürfte auch die derzeitige Reise von Ministerin Schulze in der Region gelten. Als Präsidentin der Sahel-Allianz drängte sie auf humanitäre Hilfe für die Menschen in Niger und erneuerte ihre Forderung nach einer Freilassung des demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum.
Ein neuer Partner gesucht
Doch wie es mit der Sahel-Strategie weitergeht, ist offener denn je. Vorerst klammern sich die Politikerinnen und Politiker an die Hoffnung der Restchance auf eine Rückkehr zu demokratischen Strukturen in Niger. Aber wenn daraus nichts wird? Setzt man auf einen neuen Partner, mit dem Risiko, dass auch der eines Tages fällt? Derzeit wird Mauretanien als letzter verbliebener Staat mit demokratisch legitimierter Regierung in der Region für Deutschland immer wichtiger.
Die Ampel-Regierung wird sich damit auseinandersetzen müssen, zu welchen Kompromissen sie notfalls bereit ist, um die Gesamtstrategie zu retten. Nur über Hilfsprojekte in dezentralen Strukturen, abseits der Herrscher in der jeweiligen Hauptstadt, wird das wohl kaum gelingen.