Bundesweite Durchsuchungen "Reichsbürger"-Razzia Thema im Bundestag
Die Großrazzia gegen mutmaßliche "Reichsbürger" wird auch den Bundestag beschäftigen. Die Grünen fordern eine Aktuelle Stunde, die Union hat Klärungsbedarf im Rechtsausschuss. Die Festgenommenen operierten offenbar auch mit "Feindeslisten".
Der Bundestag beschäftigt sich in der kommenden Woche gleich in mehreren Sondersitzungen mit der Großrazzia gegen mutmaßliche "Reichsbürger". Auf Antrag der Unionsfraktion soll der Fall am Montag sowohl im Innenausschuss als auch im Rechtsausschuss erörtert werden.
"Das enttarnte Terrornetzwerk hat nach derzeitiger Kenntnis gezielt Angriffe auf den Deutschen Bundestag und damit das Herz der Demokratie vorbereitet", sagte die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Irene Mihalic. Daher sollte sich der Bundestag bald "mit der Bedrohung der Demokratie durch Netzwerke von Reichsbürgern und anderen Rechtsextremisten" befassen. Dabei müsse nicht nur über die laufenden Ermittlungen gesprochen werden, sondern auch über politische Konsequenzen sowie über sicherheitspolitische Maßnahmen und den gesellschaftlichen Handlungsbedarf.
Die Grünen drängen außerdem darauf, dass die nun aufgedeckten Pläne der Gruppe in einer Aktuellen Stunden im Plenum des Bundestages thematisiert werden. "Die Ampelpartner werden Anfang der Woche in ihren Fraktionsvorständen über die Aktuelle Stunde entscheiden", kündigte Mihalic an.
Söder kritisiert die AfD
CSU-Chef Markus Söder warnte angesichts der Razzia in der "Reichsbürger"-Szene vor ernsten Gefahren für das Land und die Demokratie - und verlangte Aufklärung über die Rolle der AfD, die "mit dieser Szene eng verwoben" sei. Es müsse aufgeklärt werden, was die AfD eigentlich für eine Partei sei. Die Partei "entwickelt sich zunehmend zu einem Sammelbecken auch gerade solcher rechtsextremer Kräfte, sie zieht sie geradezu an." Zwar seien nicht alle AfD-ler rechtsextrem. "Aber alle, die versuchen, in der AfD gegen Rechtsextremismus vorzugehen, werden Stück für Stück aussortiert, abgewählt und an den Rand ihrer Partei gedrängt", kritisierte der bayerische Ministerpräsident.
Deshalb müssten auch alle Bemühungen des Verfassungsschutzes, sich mit der AfD zu beschäftigen, intensiviert und verstärkt werden, forderte Söder. Der Verfassungsschutz hat die Partei als rechtsextremistischen Verdachtsfall bereits im Blick. Eine Klage der AfD dagegen war in erster Instanz zugunsten des Verfassungsschutzes entschieden worden.
Union: "Durchgestochene Ermittlungsinterna"
Die Unionsfraktion im Bundestag hat darüber hinaus auch Redebedarf mit Blick auf die Weitergabe von Informationen vor der Razzia. Sie will im Rechtsausschuss klären, ob Details zu den Ermittlungen vorher an Medienvertreter weitergeleitet wurden. "Durchgestochene Ermittlungsinterna gefährden die Ermittlungen und schaden dem Rechtsstaat", sagte der rechtspolitische Sprecher der Fraktion, Günter Krings, dem Nachrichtenportal t-online. "Sofern Medienvertreter von den durchgeführten Durchsuchungsmaßnahmen und Festnahmen vorab informiert gewesen sein sollten, muss dies untersucht und aufgeklärt werden."
Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums sagte: "Einsätze wie der, der da gelaufen ist, sind immer auch mit einer möglichen Gefährdung der Einsatzkräfte verbunden." Eine Vorab-Weitergabe von Informationen dazu sei "unverantwortlich".
Bericht über "Feindesliste"
Die "tageszeitung" berichtete von einer "Feindesliste", mit der die am Mittwoch Festgenommenen operierten, die aber bereits vor der Razzia sichergestellt worden sei. Auf dieser Liste stünden mehrere Politikerinnen und Politiker sowie weitere Prominente - etwa Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), SPD-Chefin Saskia Esken, SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert und der frühere CDU-Chef Armin Laschet. Kühnert bestätigte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass sein Name auf einer bei "Reichsbürgern" gefundenen Liste stand. Das Bundeskriminalamt habe ihn informiert.
Auch der aktuelle CDU-Chef Friedrich Merz stehe auf der Liste, berichtete die "taz" unter Berufung auf Informationen aus Sicherheitskreisen. Ebenfalls verzeichnet seien drei bekannte Fernsehmoderatorinnen und -moderatoren öffentlich-rechtlicher Sender.
Großeinsatz in elf Bundesländern
Die Bundesanwaltschaft hatte am Mittwoch bei einem der größten Polizeieinsätze in der Geschichte der Bundesrepublik in elf Bundesländern sowie in Italien und Österreich 25 Menschen festnehmen lassen. 22 von ihnen wirft sie vor, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, die das politische System stürzen wollte. Bei den drei anderen geht es um Unterstützung. Die Bundesanwaltschaft sprach zudem von 27 weiteren Beschuldigten.
In Niedersachsen wurde zudem ein Beamter des Landeskriminalamts (LKA) wegen strafrechtlicher Ermittlungen gegen ihn vom Dienst freigestellt. Das teilte das niedersächsische Innenministerium auf Anfrage mit. Der Beamte habe aber "bereits längerfristig keine Dienstgeschäfte für das LKA Niedersachsen mehr ausgeübt". Zu den genauen Vorwürfen machte das Ministerium mit Verweis auf die von der Bundesanwaltschaft geführten Ermittlungen keine Angaben. Die Behörde in Karlsruhe war für Nachfragen nicht zu erreichen. Zuvor hatte das ZDF berichtet. Nach einem Bericht des NDR ist der LKA-Beamte nicht unter den drei bei der Razzia am Mittwoch Festgenommenen aus Niedersachsen. Er soll im Bereich Staatsschutz gearbeitet haben.
Gegen die beiden in Österreich und Italien festgenommenen Deutschen leitete die Bundesanwaltschaft inzwischen ein Auslieferungsverfahren ein. Wann die beiden Männer den Ermittlungsrichtern am Bundesgerichtshof in Karlsruhe vorgeführt werden können, steht noch nicht fest. Im italienischen Perugia sitzt ein früherer Offizier einer Spezialeinheit der Bundeswehr in Untersuchungshaft. Der andere Deutsche wurde in Kitzbühel festgenommen.
"Reichsbürger" sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen.