Selenskyj bei Miosga "Eine Bedrohung nicht nur für die Ukraine"
Der Blick von Bundeskanzler Scholz auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine habe sich verändert, sagt der ukrainische Präsident Selenskyj in der ARD-Sendung Caren Miosga. In der Diskussionsrunde ging es auch um "Taurus"-Lieferungen.
In der ARD-Sendung Caren Miosga hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor den Konsequenzen gewarnt, die ein Sieg Russlands in der Ukraine auch für Deutschland haben könnte. Er rief die Ukrainer in Deutschland auf, wieder in ihre Heimat zurückzukehren, wollte Wehrpflichtige hierzulande aber nicht zum Dienst an der Front zwingen.
"Ich rufe Olaf Scholz definitiv nicht zu: Bring sie schnell zurück! Wir leben in einer demokratischen Welt. Wenn eine Person, die gegen ein Gesetz verstoßen hat, sich in einem anderen Land aufhält, dann soll man nicht fordern, sie zurückzubringen oder die Person selbst dazu auffordern zügig zurückzukehren", so Selenskyj in einem voraufgezeichneten Interview mit Caren Miosga, das in der Sendung in Auszügen gezeigt wurde. "Olaf Scholz kann uns niemanden bringen oder dazu bewegen zurückzukommen."
Die Ausweisung wehrpflichtiger Ukrainer aus Deutschland war ein zentrales Thema der ARD-Sendung Caren Miosga am Sonntagabend. Hintergrund: Zeitweise war darüber diskutiert worden, diesen das Bürgergeld zu kürzen, um sie zur Rückkehr in die Ukraine zu bewegen.
SPD-Parteichef Lars Klingbeil sprach sich in der Runde dagegen aus, ukrainische Wehrpflichtige auszuweisen: "Es wird Gründe geben, warum man das Land verlassen hat." Er könne sich nicht vorstellen, "dass wir in Deutschland Gesetze machen, die die Menschen zurückbringen".
Selenskyj erwartet von Scholz Führungsrolle
Der ukrainische Präsident erklärte in der Sendung, dass sich der Blick von Bundeskanzler Olaf Scholz auf die Ukraine und den Krieg dort verändert habe: "Er hat verstanden, dass Putin nicht bloß ein Name ist, sondern eine Bedrohung. Eine Bedrohung nicht nur für die Ukraine", so Selenskyj.
Scholz spüre, dass Russland näher an Deutschland heranrücke, wenn die Ukraine nicht durchhalte. Das sei ein Risiko für Deutschland und andere europäische Länder, sagte Selenskyj. Eine Eskalation zwischen Russland und der EU oder der NATO hätte schwerwiegende Folgen. In jedem Fall würde das den Anfang des Dritten Weltkrieges bedeuten, meinte der ukrainische Präsident: "Die Waffen werden Euch dann kaum helfen".
Er erwartet daher von Deutschland eine Vorreiterrolle gegenüber anderen Ländern in Europa, was die militärische Unterstützung der Ukraine anbelangt. Scholz sei hierbei ein Anführer: "Deshalb sind seine Schritte die eines Leaders", sagte Selenskyj. "Ich möchte, dass er ein enger Freund der Ukraine ist."
"Taurus"-Marschflugkörper nach wie vor Thema
Zu "Taurus"-Marschflugkörpern, die die Ukraine seit langem fordert, die Bundeskanzler Scholz aber bisher nicht liefern wollte, erklärte Selenskyj: "Wir haben gesehen, wie die Entscheidung im Bundestag ausgefallen ist. Das war ein Signal. Ich hoffe, dass es noch eine andere Entscheidung geben wird."
Erst vor zwei Wochen wurde ein Antrag der Unionsfraktion im Bundestag abgelehnt, der eine Lieferung der "Taurus"-Waffen gefordert hatte. Die Abgeordneten der Ampelparteien hatten aus parteitaktischen Gründen dagegen gestimmt.
SPD-Chef Klingbeil wich bei der Frage nach "Taurus"-Lieferungen aus: "Ich finde es problematisch, dass wir bei einzelnen Waffensystemen immer so tun, als wären es die Game Changer." So sei es bei den Kampfpanzern vom Typ "Leopard" gewesen, was sich im Nachhinein aber als falsch erwiesen habe.
Konsequent, Taurus zu liefern?
ARD-Korrespondent Vassili Golod widersprach der Argumentation und verwies darauf, dass die Marschflugkörper dabei helfen würden, die russische Logistik zu zerstören: "Es wäre aus ukrainischer Sicht sehr, sehr hilfreich." Letztlich sei es nur konsequent, "Taurus" zu liefern.
Politikwissenschaftlerin Sabine Fischer von der Stiftung Wissenschaft und Politik erklärte, sie sehe die Eskalationsgefahr, die durch eine Lieferung von "Taurus"-Marschflugkörpern entstehe. Allerdings verwies sie darauf, dass diese Eskalationsgefahr bei bisherigen Waffenlieferungen immer wieder heraufbeschworen worden sei - ohne dass die Befürchtungen so eintraten, sagte die Osteuropa-Expertin.
Das gesamte Interview, das Caren Miosga mit Wolodymyr Selenskyj in Kiew geführt hat, ist in der ARD-Mediathek zu sehen. Darin spricht die Moderatorin mit dem ukrainischen Präsidenten neben den Themen, die in der Sendung behandelt wurden, über dessen Familie und seinen Blick in die Zukunft.