Bezahlkarte für Geflüchtete Viele Kommunen wollen nicht länger warten
Die Bezahlkarte für Asylsuchende soll spätestens im Herbst bundesweit eingeführt werden. Doch viele Städte und Kommunen haben das System schon eingeführt. Was man aus den Erfahrungen lernen kann, zeigt unter anderem Pirmasens.
Sie sieht aus wie eine gängige Bankkarte, die sogenannte SocialCard, die Geflüchtete seit rund drei Wochen von der Stadtverwaltung Pirmasens erhalten. Morad Muhsen gehört zu den ersten Geflüchteten, die von der Stadt eine solche Karte bekamen. Ende Mai war das. Beim Pressetermin mit dem Oberbürgermeister hielt der Mann aus Syrien die Bezahlkarte lächelnd in die Kameras.
Mit dieser Karte, die auch digital als App auf dem Handy funktioniert, kann Muhsen im Supermarkt seine Einkäufe bezahlen. Er hat darauf ein Guthaben in Höhe der Geldleistungen, die ihm nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zustehen.
In seinem Fall sind das 460 Euro. Bar abheben kann der Syrer aber lediglich 150 Euro. Auslandsüberweisungen sind nicht möglich. So soll nach Angaben der Stadt verhindert werden, dass Geld in Herkunftsländer transferiert und dadurch Schlepperkriminalität finanziert werde.
Anreiz für bezahlte Arbeit
Muhsen stört diese Bargeldbegrenzung offenbar nicht, zumindest erklärt er beim Pressetermin: "Es ist besser, wenn ich mit dieser Karte zahlen kann als mit Bargeld, das kann man nämlich auch verlieren. Es ist außerdem digital und besser nachzuvollziehen. Ich kann auf der App auch sehen, was ich gekauft habe."
In Pirmasens nutzen bislang rund 40 Menschen die SocialCard, bis August sollen es nach und nach mehr werden. Es geht um Geflüchtete, die neu in der Stadt ankommen oder noch keiner Arbeit nachgehen.
Die Stadt Pirmasens sieht durch die Bargeldbegrenzung auch einen zusätzlichen Anreiz für Geflüchtete, eine bezahlte Beschäftigung aufzunehmen und dann frei über das eigene Geld verfügen zu können. "Denn wer einen Job annimmt, kann frei über seine Finanzen auf einem Konto verfügen", teilt die Stadt mit. Pirmasens setzt auf verpflichtende Integrationskurse, damit Geflüchtete schnell Deutsch lernen und dann auch eine Beschäftigung finden können.
Bundesländer verhandeln noch mit Dienstleistern
Aktuell ringen 14 Länder noch um die Details einer einheitlichen Bezahlkarte. Bis auf Bayern und Mecklenburg-Vorpommern hatten sich alle Länder und die Bundesregierung im vergangenen November auf die Einführung einer solchen Karte verständigt.
Nach Einschätzung der hessischen Landesregierung, die aktuell den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz innehat, soll das Vergabeverfahren zur Bezahlkarte bis Ende Juli abgeschlossen sein. Aktuell laufen noch Verhandlungen mit den möglichen Dienstleistern.
Der Stadtrat von Pirmasens wollte nicht warten, bis die Bundesländer mit dem Bund eine gemeinsame Bezahlkarte einführen. Damit ist die Stadt in der Südwestpfalz nicht allein. In Bayern wird das Bezahlkartensystem bereits in 83 Landkreisen und kreisfreien Städten genutzt. Auch in Hannover und Hamburg gibt es bereits eine Bezahlkarte für Geflüchtete, außerdem in allen Landkreisen in Thüringen.
Peggy Greiser, parteilose Landrätin des Kreises Schmalkalden-Meiningen in Thüringen, betont: "Wir haben uns entschieden, aktiv zu werden, da wir nicht auf eine bundesweite Lösung warten wollten. Wir haben das Hickhack im Bund erlebt."
Der Deutsche Landkreistag rechnet aktuell frühestens im Herbst mit einer flächendeckenden Einführung der Karte. "Immer mehr Landkreisen dauert das zu lange, sie entscheiden sich daher für eine eigenständige Einführung der Karte", erklärt ein Sprecher.
Viele Bezahlkarten, viele Systeme
Zwar benutzen nun bereits mehrere Kommunen Bezahlkarten, doch die Systeme unterscheiden sich stark voneinander. Während in Pirmasens Geflüchtete 150 Euro monatlich in bar abheben können, liegt die Bargeldgrenze pro Person in Hamburg und Bayern bei 50 Euro.
In Hannover wiederum können Geflüchtete den vollen Leistungsanspruch als Bargeld abheben. Der Stadt ging es bei der Einführung auch darum, Verwaltungsabläufe zu entlasten.
Die von der Stadt Pirmasens ausgegebene Karte funktioniert im gesamten Bundesgebiet und auch im Online-Versandhandel. Im Thüringer Kreis Schmalkalden-Meiningen hingegen sind mit der Karte keine Onlineeinkäufe und keine Überweisungen möglich.
In Thüringen gibt es nur eine Plastikbankkarte. In Hamburg beispielsweise funktioniert das Bezahlkartensystem genau wie in Pirmasens auch digital mit dem Smartphone.
Sozialleistungen kein Pull-Faktor
Auch wenn inzwischen mehrere Kommunen die Bezahlkarte eingeführt haben, ist es nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Hans Vorländer zu früh für eine solide Bilanz. "Auch weil es unterschiedliche Praktiken gibt in einzelnen Landkreisen und wir keine belastbaren Studien dazu haben."
Bislang gebe es nur anekdotische Evidenzen, wonach es hier und da zu verändertem Verhalten von Geflüchteten komme. "Sei es, dass sie aus dem Kreis wegziehen, sei es, dass sie gemeinnützige Arbeit annehmen."
Der Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration der Bundesregierung ist skeptisch, dass die Bezahlkarte Menschen davon abhält, nach Deutschland zu kommen. "Wir wissen aus der Forschung, dass Sozialleistungen keinen entscheidenden Pull-Faktor darstellen." Menschen, die ihre Herkunftsländer verließen, hätten andere Prioritäten: "Sicheres Umfeld, berufliche Chancen, persönliche Netzwerke sind entscheidender", erläutert Vorländer.
Nach seiner Einschätzung geht es der Politik mit der Einführung der Bezahlkarte zunächst um eine symbolische Wirkung gegenüber der deutschen Bevölkerung, dass man versucht, Kosten in Verbindung mit der Aufnahme von Geflüchteten zu steuern und zu kontrollieren.
"Es könnte, man muss es so vorsichtig formulieren", betont der Vorsitzende des Sachverständigenrats, "vielleicht in der Sekundärmigration innerhalb Europas bestimmte Auswirkungen haben, wenn der Bargeldbezug begrenzt wird. Aber das ist bislang noch Spekulation, wir haben da weder Studien noch Zahlen."
Städtetag will einheitlichen Rahmen
Noch ringen Vertreter der Länder um eine einheitliche Lösung. Die Bargeldgrenze könnte ein Streitpunkt bleiben. Der Deutschen Städtetag erwartet von den Ländern einen einheitlichen Rahmen für die Bezahlkarte. Sie müsse überall in gleicher Weise zum Einsatz kommen, sonst würden Leistungsberechtigte, der Einzelhandel und Kommunen vor unnötig große Herausforderungen gestellt.
Das sieht auch der Landkreistag grundsätzlich ähnlich, weist aber darauf hin, dass man eventuell vor Ort flexibel sein müsse, wenn in kleinen Dörfern etwa nicht alle Geschäfte eine Kartenzahlung akzeptierten. Im Grundsatz sollte der abhebbare Geldbetrag nach Meinung des Landkreistags aber auf 50 Euro beschränkt werden.
Stigma oder Teilhabe?
Kritik an der Bezahlkarte kommt von Flüchtlingsverbänden. "Egal, wie man eine Flüchtlingskarte gestaltet, sie ist und bleibt diskriminierend und stigmatisierend", sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von Pro Asyl. Die Bezahlkarte erschwere den Alltag der Betroffenen erheblich. "Ohne oder mit sehr wenig Bargeld kann man nicht günstig auf dem Flohmarkt einkaufen, den Kindern kein Geld für die Klassenkasse mitgeben." Ohne Überweisungsmöglichkeit könne man keinen Handyvertrag abschließen.
Auch der grüne Oberbürgermeister der Stadt Hannover, Belit Onay, hält die Debatte über Beschränkungen für falsch. Er wirbt daher für das in seiner Stadt praktizierte Modell ohne Bargeldbegrenzung. Es ermögliche geflüchteten Menschen Teilhabe.
Positives Fazit in Bayern und Hamburg
Die Verantwortlichen in Pirmasens halten das Bezahlkartenmodell, wie es in ihrer Stadt umgesetzt wird, nicht für diskriminierend. Zudem sei sie optisch gar nicht von einer herkömmlichen Bankkarte zu unterscheiden.
Der bayerische Innenstaatssekretär Sandro Kirchner betont, dass die Bezahlkarte auch von den Leistungsberechtigten gut angenommen werde. Eine ähnliche Rückmeldung kommt auch aus Hamburg.
Die Stadt Pirmasens hält es für richtig, nicht auf eine deutschlandweite Lösung gewartet zu haben und ist überzeugt, dass andere Kommunen von ihren Erfahrungen profitieren können.