Bezahlkarte für Asylbewerber Schwierige Abwägung zwischen Kosten und Nutzen
Mehrere Landkreise vermelden, dass die Einführung der Bezahlkarte bereits Asylbewerber dazu bewogen habe, auszureisen oder eine Arbeit anzunehmen. Welche Auswirkungen das Modell tatsächlich hat, ist jedoch umstritten.
Nach der Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerber seien 56 Flüchtlinge aus seinem Landkreis ausgereist, "die meisten vermutlich in ihre Heimat nach Georgien und in den Westbalkan". Weitere 43 gingen inzwischen arbeiten - das erklärte Werner Henning. Landrat im Eichsfeld, gegenüber der "Bild". Seine Greizer Kollegin Martina Schweinsburg berichtet ebenfalls von einer erfolgreichen Einführung.
Integrationsbeauftragte bezweifelt Effekt
Die Thüringer Beauftragte für Integration, Migration und Flüchtlinge, Mirjam Kruppa, sieht solche Aussagen jedoch kritisch. "Bei der Debatte um die Bezahlkarte für Geflüchtete werden immer wieder Argumente ins Feld geführt, die schlicht falsch oder nicht belegt sind", kritisiert sie in einer Stellungnahme.
Sie zieht in Zweifel, dass diese Entwicklung als "Erfolg" oder unmittelbare Konsequenz der Bezahlkarte gewertet werden könne: Ausreisen habe es immer gegeben und die Aufnahme von Arbeit entspricht unabhängig von der Bezahlkarte dem Wunsch der allermeisten Asylsuchenden.
Wohl keine "Wanderbewegungen"
Die Behauptung des Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein, dass es bereits "Wanderungsbewegungen" von Asylbewerbern aus Landkreisen, die die Karte eingeführt haben, in seine Stadt gebe, sei falsch: "Diese Aussage kann nicht stimmen. All diejenigen, die in den Thüringer Landkreisen eine Bezahlkarte ausgehändigt bekommen, sind Asylsuchende oder geduldete Menschen mit einer Wohnsitzauflage."
Migrationsforscher skeptisch
Herbert Brücker, Forschungsbereichsleiter im Bereich Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, glaubt nicht, dass die Bezahlkarte nachhaltig positive Effekte für die Landkreise haben wird.
Zunächst einmal erzeuge sie im Vergleich zur Überweisung auf ein Konto in mehrerlei Hinsicht einen höheren Aufwand: So müssten mit dem Finanzdienstleister, der die Karte ausgibt, Verträge geschlossen und an ihn Gebühren bezahlt werden, sowie, je nach Ausgestaltung, Verträge mit Geschäften wie zum Beispiel Supermarktketten. Lediglich in dem Fall, dass Sachleistungen durch die Bezahlkarte ersetzt werden, könnte er sich eine Entlastung vorstellen - um die würde es jedoch in diesem Fall aber häufig gar nicht gehen.
Experten sehen Reihe von Nachteilen
"Je stärker die Einschränkungen der Bezahlmöglichkeiten, umso größer wird der Verwaltungsaufwand", erklärt der Migrationsforscher gegenüber dem ARD-faktenfinder. Weiterhin gebe es durch das System indirekte Kosten, befürchtet Brücker: "Durch die Bezahlkarte wird die Mobilität und damit auch die Integration eingeschränkt: Die Jobsuche wäre schwieriger, die Asylbewerber von bestimmten Waren und Dienstleistungen abgeschnitten."
Ähnlich sieht das der Thüringer Flüchtlingsrat. Sowohl in Greiz als auch im Eichsfeld gebe es erhebliche Einschränkungen für die Betroffenen. So könne zwar in Supermärkten bezahlt werden, beim Friseur, in kleineren Geschäften oder beim Erwerb eines Deutschlandtickets gebe es aber Probleme.
Die Vertragshändler könnten zudem ihre Preise erhöhen, sofern sie eine Art lokale Monopolstellung in Bezug auf die Bezahlkartenanwender haben, befürchtet Migrationsforscher Brücker, der auch Professor für Volkswirtschaftslehre an der Humboldt-Universität zu Berlin ist. "Solche indirekten Effekte müssten seriöserweise bei der Bewertung mitberücksichtigt werden, auch wenn sie sich schwer messen lassen."
Rücküberweisungen in Herkunftsländer oft überschätzt
Brücker denkt zudem, dass die Summe, die in die Asylherkunftsländer überwiesen wird, oft massiv überschätzt wird. Die Bundesbank gibt den Betrag, der 2023 in die acht wichtigsten Asylherkunftsländer überwiesen wurde, mit 829 Millionen Euro an. Es deute viel darauf hin, dass der Großteil der Summe von Migranten transferiert werde, die in Deutschland regulär beschäftigt seien, so der Migrationsforscher.
So entsprächen die Rücküberweisungen rund fünf Prozent der Lohnsumme der Beschäftigten aus den Asylherkunftsländern in Deutschland. Auch sei die Summe, die Asylbewerber zur Verfügung stehe, viel zu gering, um Schlepper zu finanzieren: Wenn Asylbewerber zehn Prozent ihrer empfangenen Transferleistungen überwiesen, würde es etwa zehn Jahre dauern, bis aus den Mitteln eine Flucht finanziert werden könnte, bei einem Anteil von 20 Prozent etwa fünf Jahre.
Gelder eher für Familien als für Schlepper
Die Behauptung, dass über diese Gelder Schlepper direkt bezahlt werden, hält Brücker für wenig glaubhaft: Diese Fluchthelfer ließen sich grundsätzlich im Voraus und in bar bezahlen, um das Risiko des Verlustes möglichst kleinzuhalten - und sich kaum darauf einlassen, die 5.000 bis 7.000 Euro, die für die Flucht nach Europa bezahlt werden müssen, über einen derartig langen Zeitraum abzahlen zu lassen.
Vielmehr würden diese Gelder an Verwandte und Freunde gehen, die damit auch ihren Lebensunterhalt sowie Gesundheits- und Ausbildungskosten bezahlen. Dadurch würde sich in diesen Ländern der Migrationsdruck verringern, da sich die Lebensbedingungen vor Ort verbesserten.
Landkreistag widerspricht
Dieses Argument lässt Markus Mempel vom Deutschen Landkreistag nicht gelten: "Die Leistungen aus dem Asylbewerbergesetz sind zur Deckung der Lebenshaltungskosten in Deutschland vorgesehen", erklärt er gegenüber dem ARD-faktenfinder.
Er könne es nachvollziehen, dass Asylbewerber ihre Familien in der Heimat unterstützen wollen, dies sei aber nicht das Ziel der Leistung: Es sei richtig, dass der Gesetzgeber darauf achte, den gesetzlichen Zweck einzuhalten. Außerdem soll die Bezahlkarte verhindern, dass Geld für Schlepper ins Ausland transferiert werde.
Den Vorwurf der durch die Bezahlkarte eingeschränkten Mobilität lässt Mempel ebenfalls nicht gelten: Während des Asylverfahrens, aber auch bei einer Duldung oder Ausreisepflicht - also in den Fällen, in denen die Bezahlkarte ausgegeben wird -, gebe es in weiten Teilen eine Residenzpflicht. Deshalb dürfen Asylbewerber ohnehin nicht aus dem Bundesland oder dem Landkreis wegziehen, denn es solle eine einigermaßen gleichmäßige Verteilung der Flüchtlinge im Land sichergestellt werden.
Auch eine Frage der Gerechtigkeit
Eine Vereinfachung der Verwaltung durch die Bezahlkarte sieht Mempel als ebenfalls wichtigen Effekt. Zudem gehe davon eine Signalwirkung nach innen wie nach außen aus: "Es wird Klarheit geschaffen, wie die Bedingungen von Sozialleistungen der Leistungsnahme in Deutschland sind."
Konsequente und geordnete Strukturen in der Migrationspolitik seien letztlich auch eine Frage der Gerechtigkeit, so Mempel. Die Erfahrungen im Eichsfeld könnten möglicherweise darauf hindeuten, dass die dort weggezogenen Asylbewerber die Leistungen nicht primär zur Deckung ihres unmittelbaren Lebensbedarfs in Deutschland benötigt hätten.